Todesurteil ohne Vorwarnung So fühlt es sich an, von Drohnen gejagt zu werden

Politik

Der Pakistani Malik Jamal steht auf der «Kill List». Er berichtet, was das bedeutet, und beteuert, kein Terrorist zu sein.

Eine Reaper Drohne der Royal Air Force in Kandahar, Afghanistan.
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Eine Reaper Drohne der Royal Air Force in Kandahar, Afghanistan. Foto: (Open Government Licence v1.0)

26. April 2016
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Der Drohnenkrieg gegen den internationalen Terror bestehe aus präzisen, sauberen Tötungseinsätzen, versichert die US-Administration seit Jahren. Die unbemannten Drohnen würden nur Menschen töten, welche «die USA und ihre Bürger unmittelbar bedrohen».

Die Realität sieht anders aus. Dass die Treffergenauigkeit niedrig und die Anzahl der zivilen Opfer zu hoch ist, gibt selbst das Pentagon zu. Drohnen verbreiten Angst und Schrecken und terrorisieren die lokale Bevölkerung.

Todesurteil ohne Vorwarnung

Wie Menschen auf einer «Kill List» landen, ist ungefähr bekannt, seit das Portal «The Intercept» im Oktober letzten Jahres die sogenannten «Drone Papers» öffentlich machte. Wer als Todeskandidat markiert ist, bemerkt davon nichts.

Er wird nicht gewarnt, nicht verhaftet und nicht verhört. Es gibt keine Verhandlung, nicht einmal einen internationalen Haftbefehl.

Ein Todeskandidat ist der Pakistani Malik Jalal. Er hat die Angriffe bisher überlebt. Jalal beteuert, kein Terrorist zu sein. Aber jede Drohne kann sein Ende bedeuten, jederzeit. Viermal hat er es nach eigenen Angaben geschafft, zu entkommen. Dafür mussten viele andere sterben.

Derzeit befindet sich Jamal auf Einladung des früheren Generalstaatsanwalts Lord Ken MacDonald in London, um die «Westler» zu bewegen, seinen Namen von der Todesliste zu nehmen.

Unterstützt wird er dabei von der Menschenrechtsorganisation Reprieve, die sich mit juristischen Mitteln für Menschenrechte einsetzt.

Ich will nicht enden wie ein zermatschter Käfer

In der Rubrik «Voices» der Internet-Zeitung «The Independent» erzählt Jamal seine Geschichte:

«Ich stehe auf der «Kill List». Ich weiss davon, weil es mir gesagt wurde und weil immer wieder versucht wurde, mich zu töten. Viermal sind Raketen auf mich abgeschossen worden. Ich habe ausserordentliches Glück, am Leben zu sein.

Ich will nicht enden wie ein zermatschter Käfer. «Bugsplat», das ist das hässliche Wort für das, was von einem Menschen übrig bleibt, wenn er aus einer Predator-Drohne mit einer Hellfire-Rakte beschossen wurde. Vor allem will ich nicht, dass meine Angehörigen zu Opfern werden oder damit leben müssen, dass die Drohnen über ihren Köpfen sie jederzeit töten könnten.

Ich bin (diese Woche) in England, weil ich beschlossen habe, mit den Westlern zu reden, die mich töten wollen. Wenn sie sich nicht die Mühe machen, zu mir zu kommen und mit mir zu sprechen, sollte ich vielleicht zu ihnen gehen und mit ihnen reden. Ich werde meine Geschichte erzählen. Dann können sie selbst beurteilen, ob ich eine Person bin, die man ermorden sollte.

Ich komme aus Wasiristan, dem Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan. Ich bin einer der Führer des «North Waziristan Peace Committees» (NWPC), das sich aus Maliks, den Sprechern der lokalen Gemeinden, zusammensetzt. Das NWPC versucht, den Frieden in der Region zu erhalten. Wir sind von der pakistanischen Regierung anerkannt. Unser Hauptziel ist es, Gewalt zwischen den lokalen Taliban und den Behörden zu verhindern.

Im Januar 2010 habe ich meinem Neffen meinen Wagen geliehen. Salimullah sollte damit nach Deegan fahren um einen Ölwechsel zu machen und einen der Reifen überprüfen zu lassen. Der Himmel war klar und über unseren Köpfen kreisten Drohnen. Es gab Gerüchte, dass Drohnen auf bestimmte Fahrzeuge zielen und Telefonsignale verfolgen.

Der erste Angriff

Während mein Neffe Salimullah mit dem Mechaniker sprach, hielt neben seinem von mir geliehenen Auto noch ein anderes. Im Wagen sassen vier lokale Bergarbeiter. Eine Rakete zerstörte beide Fahrzeuge, tötete alle vier Personen und verletzte Salimulah schwer. Er verbrachte die nächsten 31 Tage im Spital.

In Wasiristan verfolgen Drohnen die Fahrzeuge von Leuten, die sie umbringen wollen. Ich dachte über den Vorfall nach und befürchtete, dass sie auf mich gezielt hatten.

Der nächste Angriff fand am 03. September 2010 statt. An diesem Tag war ich mit einem roten Toyota Hilux Surf SUV zu einer Jirga, einem Ältestentreffen, unterwegs. Ein anderes rotes Fahrzeug, das meinem sehr ähnlich war, war 40 Meter hinter mir. Als wir Khader Khel erreichten, traf eine Rakete das andere Fahrzeug und tötete alle vier Insassen. Ich raste davon, im Rückspiegel Trümmer und Flammen.

Keines der Opfer war ein Extremist

Zunächst dachte ich, der Wagen sei von Militanten benutzt worden, ich wäre nur zufällig in der Nähe gewesen. Später erfuhr ich, dass die Opfer vier Arbeiter vom Mada-Khel-Stamm gewesen waren. Keiner von ihnen hatte Verbindung zu militanten Gruppen. Nun sah es eher danach aus, dass ich das Ziel gewesen war.

Der dritte Drohnenangriff fand am 06. Oktober 2010 statt. Mein Freund Salim Khan hatte mich zum Abendessen eingeladen. Ich rief Salim an, um meine Ankunft mitzuteilen. Kurz bevor ich ankam, schlug eine Rakete ein und tötete drei Personen, unter ihnen mein Cousin Kaleem Ullah, ein verheirateter Mann, Vater und geistig behindert. Wieder war keines der Opfer ein Extremist.

Nun wusste ich sicher, dass sie hinter mir her waren.

Wer mich gewarnt hat, würde selbst zum Ziel

Fünf Monate später, am 27. März 2011, schlug eine amerikanische Rakete bei einer Jirga ein. Meine Freunde und Verbündeten arbeiteten dort daran, eine lokale Streitigkeit friedlich zu lösen. An diesem Tag starben 40 unschuldige Personen, einige davon ebenfalls Mitglieder des NWPC. Ich kam früh an diesem Ort des Horrors an.

Wie auch andere habe ich an diesem Tag Dinge gesagt, die ich bereue. Ich war wütend und ich sagte, wir würden uns rächen. Aber wie wollten wir das ernsthaft tun? Der Grund unserer Frustration ist, dass wir, die Ältesten unserer Dörfer, nicht mehr die Macht haben, unsere Leute zu beschützen.

Ich wurde gewarnt, dass die Amerikaner und ihre Verbündeten mich und andere aus dem «Peace Committee» auf ihre Todesliste gesetzt haben. Ich kann meine Quellen nicht nennen. Sie würden selbst zum Ziel, weil sie versucht haben, mein Leben zu retten. Aber ich habe keinen Zweifel, dass ich einer der Gejagten bin.

Ich fing damit an, meinen Wagen weit weg zu parken, um ihn nicht zur Zielscheibe zu machen. Meine Freunde lehnten meine Einladungen ab, weil sie Angst hatten, dass das Essen von einer Rakete unterbrochen werden könnte.

Ich gewöhnte mich daran, unter den Bäumen hoch über meinem Haus zu schlafen, um meine Familie aus der Schusslinie zu nehmen. Eines Nachts folgte mir mein sechsjähriger Neffe Hilal in die Berge. Er sagte, dass er sich ebenfalls vor dem nächtlichen Geräusch der Drohnenmotoren fürchtete.

Ich versuchte ihn zu beruhigen und sagte ihm, dass Drohnen nicht auf Kinder zielen, aber er glaubte mir nicht. Er sagte, dass Raketen schon oft Kinder getötet hatten. Da wusste ich, dass ich meine Familie so nicht weiterleben lassen konnte.

Ich weiss, die Amerikaner halten mich für einen Gegner ihres Drohnenkriegs. Sie haben Recht: das bin ich. Einzelne Menschen herauszupicken, die man ermorden will, und für jede Person, die verfolgt wird, neun unschuldige Kinder zu töten, ist ein ungeheures Verbrechen. Ihre Politik ist so dumm wie kriminell. Sie radikalisiert genau die Leute, die wir beruhigen wollen.

Ich weiss, dass die Amerikaner und ihre Verbündeten denken, dass das «Peace Committee» ein Gegner ist und dass wir ein Rückzugsgebiet für die pakistanischen Taliban schaffen. Dazu sage ich: Ihr habt Unrecht. Ihr wart nie in Wasiristan, wie könnt ihr das wissen?

Das Mantra des Westens, nicht mit «Terroristen» zu verhandeln, ist naiv. Es gibt kaum ein Beispiel, in dem Terroristen ohne Verhandlungen wieder in die Gesellschaft eingegliedert wurden. Erinnert euch an die IRA: damals haben sie versucht, eure Premierministerin umzubringen, heute sitzen sie im Parlament. Es ist immer besser zu reden als zu töten.

Ich bin um die halbe Welt gereist, um diese Auseinandersetzung auf eure Art zu lösen: durch Gesetze und Gerichte, nicht durch Waffen und Sprengstoff.

Fragt mich, was immer ihr wollt, aber beurteilt mich gerecht. Und bitte hört auf, meine Frau und meine Kinder zu terrorisieren. Und nehmt mich von dieser Todesliste.»

Red. / Infosperber

Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Artikels der Online-Zeitung «The Independent» und anderer Quellen erstellt. Schweizer Medien haben bisher nicht darüber berichtet.