Eine gefährliche Entwicklung Kolumbien: Ein Frieden für wen?

Politik

Der neue Friedensvertrag zwischen FARC-EP und Regierung Santos hat Potential ein Pyrrhussieg für die Guerilla zu werden und die reaktionärsten Teile der kolumbianischen Oligarchie durch die Hintertür zu stärken.

Gespräche zu den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-EP in New York, September 2016.
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Gespräche zu den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-EP in New York, September 2016. Foto: Gobierno de Chile (CC BY 2.0 cropped)

30. November 2016
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Es war eine Zitterpartie in den vergangenen Wochen. Nach dem überraschenden Negativausgang des Referendums über die Verträge von Havanna zwischen FARC-EP und der kolumbianischen Regierung war die Verunsicherung auf allen Seiten gross, während die radikale Rechte um Ex-Präsident Alvaro Uribe genüsslich ihren Sieg auskostete. Diese hatte den Kampf um das Plebiszit vor allem mit antikommunistischer Propaganda geführt. Der Sieg der radikalen Rechten war so ein Sieg der Angst. Uribe und seine rechtsradikalen Unterstützer vom Centro Democratico griffen dabei inhaltlich im Prinzip die Essenz der Verträge an. Denn es ging um die zentralen Punkte, die es der Guerilla überhaupt möglich machten, ihre nicht kleine Anhängerschaft von einem politisch vertretbaren Frieden zu überzeugen. Gleichzeitig sind es ebenjene zentralen Punkte, die als Grundlage für einen andauernden Frieden dienen können, da sie die Ursachen des bewaffneten Konflikts angehen.

Der erste Friedensvertrag

Da ist zum einen die ursprünglich vereinbarte Sondergerichtsbarkeit, die eine vom kolumbianischen Staat unabhängige Rechtsprechung vorsah, an der schwerpunktmässig internationale Richter mitwirken sollten um an Menschenrechtsverbrechen beteiligte Guerillas zu verurteilen. Diese Regelung nahm zur Kenntnis, dass der Staat kein neutraler, sondern höchst parteiischer Akteur im bewaffneten Konflikt war und daher auch aus einer bürgerlichen Perspektive kein „neutraler“ Rahmen zur Verhandlung der Menschenrechts-Vergehen der Guerilla darstellt. Eine solche unabhängige Gerichtsbarkeit ist natürlich nicht im Sinne der radikalen Rechten, die die Guerilla maximal bestraft sehen will, während ihr Hauptexponent Alvaro Uribe während seiner Präsidentschaft nahezu alle faschistischen Paramilitärs unter Strafimmunität gestellt hatte.

Zum anderen gibt es auch bzgl. der für die Guerilla zentrale Landfrage und der zukünftigen politischen Repräsentation der Guerilla einen kaum überbrückbaren Dissens. Die Friedensverträge sahen hier eine sozial nachhaltige Entwicklung des Lebensstandards der armen Landbevölkerung vor. Die vormals von Paramilitärs Vertriebenen sollten über einen Landfond von zur Disposition gestelltem Grund und Boden das Recht auf Entschädigung erhalten. Das läuft direkt den Interessen der Grossgrundbesitzer zuwider, die sich ebenjenen Grund und Boden widerrechtlich mittels Vertreibungen angeeignet hatten und diese Regelung nicht zu Unrecht als Enteignungsmöglichkeit begreifen.

Zuletzt ist die Frage der politischen Repräsentation zu nennen. Diese Frage wurde in den Friedensverträgen von Havanna mit einer festen Repräsentation der Guerilla in den offiziellen politischen Institutionen gelöst. Insbesondere diese Regelung nahm die radikale Rechte zum Anlass Stimmung gegen die Friedensverträge zu machen und polemisierte von einer möglichen kommunistischen Übernahme des Staatsapparats. Auch die in den Verträgen festgeschriebenen Frauen- und LGBT-Rechte waren Ausgangspunkt für die rechte Hetze.

Die Niederlage im Referendum hatte für die Position von Präsident Santos und jener der Guerilla gravierende Folgen. Präsident Santos hatte sich durch das Plebiszit den notwendigen Rückhalt erhofft, um unter Ausklammerung der radikalen Rechten und jenes Teils der kolumbianischen Oligarchie, der traditionell mit dieser Verbunden ist, die Friedensverträge umsetzen zu können. Die Guerilla war mit den oben benannten Regelungen bereits weite Kompromisse eingegangen. Die sozialdemokratisch anmutende Lösung der Landfrage traf und trifft sicherlich nicht bei allen Guerilleros auf vorbehaltlose Unterstützung. Santos geriet durch die Niederlage im Plebiszit in die Verlegenheit nun einen Ausgleich mit seinem vormaligen Verbündeten und nun Opponenten Alvaro Uribe und dessen Centro Democratico finden zu müssen.

Andererseits blieb die Schwierigkeit der FARC-EP nicht zu viele weitere Zugeständnisse abringen zu müssen, da sonst die Gefahr bestand, dass zwar die weiter kompromissbereite und friedenswillige Führung der FARC-EP einwilligen könnte, aber ein nicht geringer Teil der Basis das neue Abkommen als Verrat werten und sich zum Weiterkämpfen entschliessen würde.

Der zweite Anlauf

Der Kompromiss, der durch die Nachverhandlungen erzielt werden konnte und nun eben auch auf den Interventionen und Forderungen der radikalen Rechten in Kolumbien aufbaute, hat es nun auch in sich. Laut den offiziellen Verlautbarungen der Guerilla zu den Änderungen im neu aufgesetzten Friedensvertrag hat dieser zu den oben genannten zentralen Punkten folgende Veränderungen erlebt:

– Die Sondergerichtsbarkeit wird teilweise wieder an die kolumbianische Justiz gekoppelt, d.h. dem Verfassungsgericht wird eine Revisionsmöglichkeit bei Urteilen eingeräumt. Darüber hinaus sind es es nun wieder kolumbianische Richter, die die Verfahren führen werden. Es soll ausserdem die Möglichkeit zur Erschwerung der Haftbedingungen bestehen. Das Vermögen der FARC-EP wird nun komplett eingezogen und Opfern des bewaffneten Konflikts zur Verfügung gestellt.

– Das Recht auf Privateigentum ist nun in die Verträge festgeschrieben. Das erschwert zumindest die faktischen Enteignungsmöglichkeiten über den Landfond. Darüber hinaus wurde die Landreform erneut zur Disposition gestellt. Eine Expertenkommission, in der nun eben auch die Grossgrundbesitzer vertreten sein werden, soll diese erneut diskutieren. Ausserdem sollen bereits faktisch beschlossene Umverteilungsregelungen entfallen, die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen betroffen hätten. Eine weitere Einschränkung besteht zusätzlich darin, dass die geplante Förderung von lokalen ländlichen Produktionsformen keine Beeinträchtigung für die Entwicklung der Grossindustrie und des Tourismus darstellen dürfen.

– Damit nicht genug: Auch in der Frage der Repräsentation der neuen politischen Partei, die aus der FARC-EP hervorgehen soll, kam es zu Konzessionen. Die Guerilla liess sich auf eine Streichung ihrer fest zugeschriebenen Vertretungen in Regionalparlamenten ein, bestand jedoch auf der fixen Repräsentation in den landesweiten Kammern. Allerdings: Die Friedensverträge von Havanna, die zuvor Verfassungsrang erhalten sollten und damit für künftige Regierungen eine Blockade allzu neoliberaler Erschliessungspolitiken bedeutet hätte, werden nun nicht mehr auf die Ebene der Verfassung erhoben.

Eine gefährliche Entwicklung

Summa summarum bahnt sich hier eine Entwicklung an, die für die Guerilla einen Pyrrhussieg bedeutet und die radikale Rechte nachhaltig stärkt. Denn zu den zentralen Konfliktlinien des bewaffneten Konflikts gehört das Problem der ungelösten Landfrage und damit der sozialen Ungleichheit. Nicht umsonst hatte die Guerilla immer wieder wieder betont, dass es keinen nachhaltigen Frieden geben werde, wenn der Friedensprozess nicht zu einer sozial gerechteren Gesellschaftsordnung führen werde. Daneben ist die Frage der politischen Repräsentation und der Beteiligung der sozialen Bewegungen der zweite zentrale Schlüssel, um eine Grundvoraussetzung für eine Verringerung des sozialen Sprengpotentials, das den bewaffneten Konflikt immer befeuerte, herbeizuführen. In beiden Konfliktpunkten zeigt sich aber ein nicht irrelevanter Teil der kolumbianischen Oligarchie widerwillig, und zwar nicht nur jener Teil um die Ultrarechten, sondern auch im von Santos angeführten Friedenslager.

So verhinderte die Regierung Santos auf vielen Ebenen die Partizipation der sozialen Bewegungen am Friedensprozess, während sie zugleich immer wieder äusserst repressiv gegen Streiks und Grossdemonstrationen im ganzen Land vorging. Zuletzt bekannt geworden ist die von der kolumbianischen Anti-Riot-Einheit ESMAD gewalttätig durchgeführte Räumung des Friedenslagers auf dem Plaza de Bolivar in der Hauptstadt Bogota. Die Bedeutung des Paramilitarismus hingegen wurde durch Santos immer wieder heruntergespielt, statt eine Aufarbeitung in den staatlichen Institutionen über deren Verwicklung in paramilitärische Aktivitäten anzustossen.

Die Konsequenz ist blutig wie eh und je: Seit Anfang des Jahres wurden laut einem Brief der FARC-EP an die Regierung bereits über 200 AkltivistInnen durch paramilitärische Milizen ermordet. Die nun durch den Triumph der Ultrarechten eingeschränkten Friedensverträge öffnen der kolumbianischen Oligarchie darüber hinaus Tür und Tor, um die Errungenschaften der FARC-EP in den Verhandlungen Schritt für Schritt zu tilgen. Die Revision der zentralen Agendapunkte der Guerilla durch die radikale Rechte lässt jedenfalls nichts Gutes für die Zukunft erwarten.

Jan Ronahi / lcm