Laboratorium der wechselnden Allianzen Das syrische Schlachtfeld und der Westen

Politik

Nach der Rückeroberung Aleppos zeichnet sich – zum Leidewesen der EU-Spitze und der EU-Medien – langsam ein Sieg der Koalition rund um den syrischen Präsidenten ab.

Flüchtlinge in Aleppo, Dezember 2016.
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Flüchtlinge in Aleppo, Dezember 2016. Foto: Fathi Nezam (CC BY 4.0 cropped)

11. Januar 2017
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Damit setzt sich die Position durch, die Russland seit Anfang des Konflikts international und diplomatisch und seit vorigem Jahr auch militärisch vertreten hat: Syrien ist als Staat in seinen bisherigen Grenzen wiederherzustellen und Baschar Al-Assad ist der rechtmässige Präsident Syriens.

I. Syriens Freunde

Ganz verkehrt und sehr tendenziös ist das pseudo-besorgte Fazit des Israel-Korrespondenten von „El País“:

„Weit entfernt davon, den Krieg gewonnen zu haben, bleibt der Präsident unter der Vormundschaft Russlands und des Irans, als Anführer eines Landes, das sich auf eine Spaltung hin orientiert … Es herrscht kein Zweifel, dass das Regime seinen beiden grossen Paten in Moskau und Teheran zutiefst verpflichtet ist, nachdem sie ihm zu seinem grössten Triumph verholfen haben.“ (El País, 16.12. 2016)

Erstens hat Russland mehrmals deutlich gemacht, dass es eine Teilung Syriens nicht akzeptieren würde. Zweitens hat Russland keinerlei Forderungen an die syrische Regierung, die deren Interessen widersprechen würden. Im Gegenteil. Russland kann sich sicher sein, dass Syriens Regierung, und mehr noch dann, wenn es gelingt, die völlige Souveränität über sein Territorium wiederzuerlangen, Russland in Zukunft alles an Unterstützung, Stützpunkten usw. gewähren wird, auf die Russland Anspruch erhebt. Sogar mit besonderem Eifer: bitte bleibt da und beschützt uns! Und Assad und Russland können sich auch sicher sein, dass der grösste Teil der syrischen Bevölkerung hinter dieser Bündnispolitik stehen wird. Davon zeugen die in unseren westlichen Medien nicht sehr populären Videos von Freuden- und Freundschaftskundgebungen der Bevölkerung syrischer Städte gegenüber Russland.

Auch der Iran und die Hisbollah werden keine masslosen Ansprüche an Syrien stellen – ihnen wird es genügen, eine den Schiiten gegenüber freundliche und mit dem Iran verbündete Macht wiederherzustellen, die ihnen gegen die Prätentionen der Golfstaaten auf völlige Unterwerfung der Schiiten den Rücken stärkt. Auch materielle Zuwendungen können diese beiden Partner von dem zerstörten Land nicht erwarten – im Gegenteil, eher wird auch ein befriedetes Syrien ihrer Unterstützung beim Wiederaufbau bedürfen.

Schliesslich, in dem oben zitierten Ausblick in „El País“ wird die Türkei als ebenfalls vorhandener Mitspieler in diesem neuen „Great Game“ des Nahen Ostens nicht erwähnt. Das hat gute Gründe. Bei der Türkei ist nämlich überhaupt nicht klar, welchen Interessen sie dient und welche Interessen sie selbst verfolgt. Weder kann sie als Statthalter westlicher Interessen betrachtet werden – das war übrigens schon vor dem Putsch so – noch kann sie ohne weiteres der Koalition zur Wiederherstellung Syriens zugerechnet werden. Dazu später.

II. Die Feinde und Aasgeier Syriens

Die – relativ typischen – Kassandrarufe des El País-Kommentators malen unbekannte Gefahren an die Wand, weil er sich den Gegnern Assads verpflichtet fühlt und zähnekrirschend deren Felle davonschwimmen sieht. Unter anderem hat er die Interessen Israels vor Augen.

1. Israel

Israel hat den Aufstand gegen Assad mit Freuden zur Kenntnis genommen und vielleicht sogar vorbereiten geholfen. Darüber wird möglicherweise irgendwann in der Zukunft einiges ans Tageslicht kommen. Israel könnte offenbar sehr gut mit einem radikal-islamischen Staat oder Territorium unklaren Status' vor seiner Haustüre leben, wenn es dafür endgültig die Golan-Höhen seinem Territorium einverleiben könnte.

Israel hat sich auch aktiv am Krieg gegen Assad beteiligt, hat Ziele in Syrien bombardiert, um Assad und die Hisbollah zu schwächen, und hat auch verletzte Kämpfer des Islamischen Staates in seinen Gesundheitseinrichtungen wieder zusammenflicken lassen.

Man muss sich das nur vor Augen halten, dass derjenige Staat, der regelmässig Gaza bombardiert und sich als säkuläre und tolerante Oase gegen den islamischen Fundamentalismus präsentiert, ohne weiteres mit diesen Halsabschneidern gemeinsame Sache macht, wenn es den eigenen geostrategisch-nationalen Interessen dient. 2. Saudi-Arabien und Katar Diese beiden Staaten massen sich aufgrund ihres Ölreichtums und ihrer (bisherigen) Rückendeckung durch die USA eine Position in der arabischen bzw. muslimischen Welt an, die ihnen aufgrund ihrer wahren Grösse und kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung gar nicht zukommt. Sie würden gerne die gesamte Region mit Regierungen vollpflastern, an deren Spitze ihnen verpflichtete, also sunnitische religiöse Fanatiker stehen, denen sie je nach Belieben und mittels Öffnen des Geldbeutels ihre Interessen diktieren können.

Gegen diese Anmassung der Beherrscher Mekkas und des Stecknadelkopfes auf der Landkarte wehren sich übrigens nicht nur Syrien, Jemen und der Iran, sondern unter der Hand, also nicht offiziell und laut, auch der Irak, der gesamte Maghreb, Ägypten und Jordanien; inzwischen sogar Pakistan und Afghanistan. Alle diese Staaten sehen ihre nationalen Interessen durch die Interventionen, Waffenlieferungen und diplomatischen Vorstösse dieser beiden Staaten gefährdet. Assad, Russland und der Iran können sich daher eines Haufens derzeit noch geheimer Sympathien sicher sein, die sich möglicherweise offener äussern könnten, wenn die USA ihre Nahostpolitik ändern.

3. Die USA

Während bei den staatlichen Akteuren der Region die Interessen relativ klar sind, so gibt die Weltmacht Nr. 1 hier etwas grössere Rätsel auf. Es handelt sich nämlich um einen Zickzack-Kurs, dessen Richtung sich öfter ändert.

Zunächst steht der angestrebte Sturz Assads in einer Reihe mit angestrebten Regime-Changes in der Welt: man räumt missliebige, sich den Interessen der USA entgegenstellende Regierungen weg und setzt eigene Hurensöhne ein, die dann nach der Pfeife Washingtons tanzen.

Dieses sehr brutale Ideal und Vorgehen orientiert sich an den Erfolgen, die die USA und die EU seinerzeit in den 90-er Jahren in etwas holpriger Zusammenarbeit auf dem Balkan erzielt haben.

Die Umsetzung in der muslimischen Welt hingegen ist recht gründlich missglückt. Im Irak und in Afghanistan sind ebenso schwache wie ungeeignete Regierungen an die Macht gehievt worden, die dennoch mit viel Aufwand gestützt werden mussten und nach wie vor müssen, wenn man das völlige Scheitern der eigenen politischen Absichten verhindern will.

Diesen Misserfolgen der Direktintervention folgten dann die Versuche, mit der Unterstützung regionaler Staaten und Gruppierungen das ganze besser über die Bühne zu kriegen, und dieser Politik verdankt die Welt die Kriege und das Chaos, die seit dem „arabischen Frühling“ im Nahen Osten und Nordafrika an der Tagesordnung sind.

Dem – zumindest bis zum Ende der Ära Obama intakten – Ziel, Assad zu stürzen, entsprach die direkte und indirekte Unterstützung islamischer Fanatiker, die seither in der Region und in ganz Europa Angst und Schrecken verbreiten. Der ideologisch nicht ganz einfache Spagat, die eigene Unterstützung für diese schamlosen Mörder zu rechtfertigen, besteht in dem von den breiten Massen nicht gut aufgenommenen Versuch, sie in gute – Moderate – und böse – Extremisten – zu unterscheiden. Dann wurden Jordanien und die Türkei ermuntert, sich zur Aufmarschbasis und zum Hinterland der mit dem Kosenamen „Rebellen“ versehenen Assad-Gegner zu machen, und Israel ebenfalls darin bestärkt, die „Moderaten“ mit Rückendeckung Washingtons zu unterstützen. An ihrer Weigerung, dabei mitzumachen, zerbrach um ein Haar die ohnehin brüchige Regierungskoalition des Libanons.

Als der IS durch das medial wirksame Enthaupten eines amerikanischen Journalisten und anderer Propaganda-Videos klare Zeichen setzte, dass er keineswegs Vollstrecker amerikanischer Interessen sei, sahen sich die USA genötigt, in eine Art 2-Frontenkrieg einzutreten, da sie neben der nun notwendig gewordenen Bekämpfung des IS ihr ursprünglches Ziel, Assad zu stürzen, keineswegs aufgeben wollten.

Im Rahmen dieses Widerspruchs ermunterten die USA die Kurden Syriens (in der Sprache der kurdischen Nationalisten „Westkurdistans“), sich von Syrien loszusagen und an einer Vereinigung aller Kurdengebiete zu arbeiten. Damit wollten sie sowohl Assad schwächen als auch sich den USA verpflichtete Bodentruppen gegen den IS schaffen.

Ohne diese ihre Ziele zu erreichen, brachten die USA damit die Türkei (in den Augen der kurdischen Nationalisten Okkupant „Nordkurdistans“) und die besitzenden Eliten des irakischen Kurdistans („Südkurdistans“) gegen sich auf. Sie schufen also weitere Fronten, ohne ihrem Ziel näherzukommen, und zerstörten dabei die ebenfalls sehr fragmentierte regionale Koalition gegen Assad.

Mit dem Eingreifen Russlands traten die USA als Akteur endgültig in den Hintergrund, da sie ausserstande waren, trotz militärischer und geheimdienstlicher Präsenz in der Region an irgendwelchen Fäden zu ziehen. Verschiedene ehemalige Verbündete nahmen zwar weiterhin gerne Geld und Unterstützung in Anspruch, machten aber, was sie wollten.

Wenn die neue US-Regierung sich daher aus diesem Schlachtfeld zurückziehen will, so tut sie das aus der Einsicht heraus, dass für sie als Weltmacht dort kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist.

4. Die EU

Unter den erklärten Gegnern Assads ist die EU schliesslich diejenige Macht, die die allerschlechteste Figur abgibt.

Die Hetze gegen Assad und die militärischen Einsätze in Syrien haben nämlich erstens die EU aussenpolitisch sehr alt aussehen lassen und dazu geführt, dass keine der Parteien in diesem Konflikt sie mehr ernst nimmt. Aussenpolitisch-militärisch war also das gesamte Engagement der EU eine einzige Blamage. Nach ihrer ebenfalls eher bescheidenen Performance in der Ukraine, wo die EU ein Mauerblümchen neben den beiden grösseren Mächten abgab und jetzt eine durch und durch korrupte Elite an der Macht erhält, war ihre Positionierung im Syrien-Konflikt ein weiterer Schuss ins Knie, der die EU nach aussen wie nach innen unglaubwürdig gemacht hat.

Zweitens hat dieses Engagement gegen die Regierung Assads der EU im Inneren jede Menge Schaden und Probleme beschert, an denen sie mehr denn je laboriert und die ihre Zersetzung beschleunigen.

Da sind zunächst die Anschläge islamischer Extremisten in Europa, die sich erstens gegen die Anti-IS-Interventionen verschiedener EU-Staaten im Nahen Osten und Nordafrika und zweitens sehr generell gegen eine gewisse kompensatorische Party- und Konsumkultur richten, mit der viele Bürger der EU ihr stimmungsmässiges Auskommen finden, während sie materiell schon stark am Zahnfleisch gehen.

Zur Vorgeschichte dieser Anschläge gehört, dass sich in der EU selbst ein radikaler Islam entwickeln konnte, mit teilweiser Begünstigung von Behörden und Geheimdiensten, die hofften, damit junge Leute von Drogen wegzukriegen und sich künftige Einflussnahme in der islamischen Welt zu sichern. Diese Politik der freundlichen Nasenlöcher gegenüber dem Islam, Moscheen und Imamen begann ebenfalls mit den Jugoslawienkriegen. Damals wurde z.B. Alija Izetbegovic, der eigentlich die Scharia in Bosnien einführen wollte, der Weltöffentlichkeit als „Gemässigter“ verkauft, der ja nur die Freiheit der Religionsausübung verteidigte. Nachdem die religiösen Geister einmal gerufen worden waren, erwies es sich als Illusion, sie EU-konform zu gestalten und Radikalisierung zu Selbstmordattentätern zu verhindern.

Dann wären da als zusätzliches Problem der EU die Flüchtlinge, die sowohl die Abschottungs- als auch die Asyl- und Aufnahmepolitik der EU heillos überforderten. Da man im Meer keine Zäune und Mauern bauen kann und auch nicht alle Leute bereit waren, unterwegs zu ertrinken – und auch Staaten und Private nicht willens waren, dabei zuzuschauen – gefährdete der Flüchtlingsstrom die offenen Grenzen der EU und den internen Freihandel. Weiters scheiterte das Florianiprinzip, immer den Nachbarstaaten die überschüssigen Flüchtlinge zurückzuschieben. Drittens scheiterte die Abschiebung ins EU-Ausland am Widerstand anderer Staaten. Und schliesslich kamen die Flüchtlinge in eine EU, die immer mehr eigene Bürger nicht mehr benötigt, für überflüssig erklärt und in eine nach unten offene Armutsverwaltung abschiebt. Mit den syrischen Flüchtlingen steht weiters die EU und vor allem Deutschland vor dem Problem, wie weiter mit ihnen zu verfahren sei. Sie nach Syrien abschieben geht allein schon deshalb nicht, weil man dazu ja ein Schubabkommen mit Assad schliessen und ihn dadurch als rechtmässigen Regierungschef anerkennen müsste. Es ist übrigens nicht auszuschliessen, dass – als weiteren Schritt der Desintegration der EU und Brüskierung des deutschen Führungsanspruchs – einzelne EU-Staaten solche bilateralen Abkommen schliessen könnten, wenn Syrien endgültig befriedet ist und seine Bürger vielleicht zurückhaben möchte. Ungarn, Tschechien, Polen, Italien oder Griechenland bieten sich hier als Kandidaten an …

Diese Berg von ungelösten und letztlich auch im Sinne der Verfasstheit der EU und nach dem Willen ihrer Politiker gar nicht lösbaren Problemen versuchte die deutsche Kanzlerin durch das Abkommen mit der Türkei zu in den Griff zu bekommen.

Womit wir zum letzten bedeutenden Akteur des syrischen Dramas kommen.

III. Die Türkei

Die Politiker der AKP sind schon seit einiger Zeit der Ansicht, dass ihnen ihr Staat, ihre Nation sowohl nach internationalem Einfluss zu schwach als nach territorialer Ausdehnung zu klein ist. Wie alle Politiker, die ihr Hoheitsgebiet gerne erweitern würden, gehen sie auf die Suche nach historischen Vorbildern und werden bei ihrem Vorgängerstaat fündig. Dieser Neo-Osmanismus wurde durch den „arabischen Frühling“ zusätzlich beflügelt. Die AKP sah sich berufen, sich als künftige Führungsnation gemässigter islamischer Regierungen in Spiel zu bringen.

Damit geriet sie in Gegensatz zu Saudi-Arabien und Katar, die sich diese Rolle für radikal moralwachtelige Regierungen auserkoren hatten. Dieses Duo infernal sah sich also erstens in ihren Führungsambitionen in der muslimischen Welt bedroht, und zweitens kam ihnen die Türkei auch bei ihren Vorstellungen, wer in diversen Staaten zukünftig regieren dürfte, in die Quere.

Die Türkei war aber auch zusehends in ihrer ihr von der NATO zugedachten subalternen Rolle als NATO-Frontstaat genervt. Hin und wieder für die USA und die EU die Kartoffeln aus dem Feuer holen zu dürfen, und im Gegenzug dafür etwas Schulterklopfen zu kriegen – das schmeckte Erdogan, Davutoglu usw. nicht. Um so mehr, als ihre gelegentlichen Grenzeinsätze gegen kurdische Separatisten zwar genehmigt, aber weder durch gebietsmässigen Erweiterungen noch eine richtige, NATO-unterstützte Einmarscherlaubnis belohnt wurden.

In dieser Situation ging der Bürgerkrieg in Syrien los. Nach anfänglichem Zögern beschloss die türkische Führung, sich zunächst zum Vorposten des Westens zu machen und die Aufständischen und eingesickerten Kämpfer nach besten Kräften zu unterstützen. Die Türkei brachte sich als Kriegspartei so richtig ein, öffnete den islamischen Halsabschneidern ihre Grenzen, versorgte sie in Spitälern, belieferte sie mit Waffen und kaufte ihnen das Erdöl ab, mit dem sie sich finanzierten. Die Politiker der Türkei hofften, sich als Lohn für diese Dienste an der Neuordnung Syriens beteiligen und Teile Syriens einverleiben zu können. Gerne stellte sie auch ihren Flughafen für diverse NATO-Einsätze zur Verfügung, in der Hoffnung, einmal die NATO-Staaten für ihre eigenen Ambitionen einsetzen zu können.

Dabei gerieten sie aber zusehends in Gegensatz zu den USA und der EU, die nach ihrem Schwenk zur Bekämpfung des IS die Kurden als Gegengewicht sowohl zum IS als auch zur syrischen Regierung entdeckten und nach besten Kräften unterstützten. Das hintertrieb die Annexionsbestrebungen der Türkei, bescherte ihr eine unruhige Südgrenze und verstärkte separatistische Bewegungen im Südosten. Als dann die USA sich auch noch einen eigenen Stützpunkt im syrischen Kurdengebiet einrichtete, um sich von der Türkei unabhängig zu machen, schlug das in den Augen von Erdogan & Co. dem Fass den Boden aus.

Noch mehr machte ihr zunächst das Eingreifen Russlands zu schaffen. Während schon die Unterstützung des Iran für Assad ärgerlich genug war, aber der Türkei, so ihre Erwartung, noch mehr Unterstützung durch die NATO bringen würde, so war Russland doch ein dickerer Brummer. Als die türkische Luftwaffe ein russisches Flugzeug abschoss, hofften die türkischen Politiker vermutlich auf einen Gegenangriff und die Ausrufung des Bündnisfalles. Die türkische Führung war derartig wütend über das Durchkreuzen ihrer Pläne, dass sie auch den III. Weltkrieg riskiert hätte, um ihre Machtphantasien Wirklichkeit werden zu lassen.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Der islamische und kurdische Terror in der Türkei ebenso wie der missglückte Putsch hatten eine radikale Abwendung von USA und NATO zur Folge. Auch der Auftritt von der EU-Mutti in der Türkei, bei dem sie Erdogan den Bauch pinselte und mit dem Scheckbuch wedelte, damit die Türkei die EU vor dem Massenansturm von Habenichtsen bewahren möge, zeigten dem Neo-Sultan deutlich die Armseligkeit und Zerstrittenheit der EU. Es machte nicht nur ihm, sondern auch der breiten Öffentlichkeit deutlich, dass die Türkei von der EU nichts zu erwarten habe. Die verhaltenen Reaktionen nach der Niederschlagung des Putsches taten ein Übriges, um eine sehr grundlegende Abwendung der türkischen Regierung von der EU hervorzubringen.

Die russische Diplomatie und Spionagetätigkeit vollendeten schliesslich die Kehrtwende. Heute sucht die Türkei ihr Heil im Anschluss an Russland. Vermutlich wird sie auch da eine herbe Enttäuschung erleben. Es kann natürlich auch sein, dass ein Lernprozess eintritt und Erdogan seine aussenpolitischen Ambitionen zurücksteckt, um sich an der Macht und die Türkei zusammenzuhalten.

Fazit

Das syrische Schlachtfeld nimmt Konturen an. Fast alles, was in der Weltpolitik Rang und Namen hat, hat sich dort herumgetrieben. Jetzt ist Aufräumen angesagt. Syriens Regierung und ihre Verbündeten haben sich vorgenommen, den ursprünglichen Zustand Syriens wiederherzustellen.

Das heisst: Liquidierung des IS und aller anderen religiösen Aufständischen.
Angebot der Begnadigung, sofern sie die Waffen niederlegen.
Reintegration der autonomen Kurdengebiete in die syrische Staatsverwaltung. Künftige teilweise Selbstverwaltung und deren Ausgestaltung sind Verhandlungssache.
Vertreibung aller feindlichen ausländischen Armeeangehörigen aus dem Staatsgebiet Syriens.
Schliessung der Stützpunkte aller Staaten, die nicht der Pro-Assad-Koalition angehören.
Dauernde und verstärkte militärische Präsenz Russlands in Syrien.
Wiederaufbau und exquisite Handelsbeziehungen Syriens im Rahmen der Eurasischen Union.


Es bleibt abzuwarten, wie die neue US-Regierung, die EU und die Staaten des Nahen Ostens darauf reagieren werden.

Amelie Lanier