Über Kolonialismus und Abhängigkeit Rückzug aus Afrika

Politik

„Europa zieht seine letzten Truppen aus der Sahelzone ab und überlässt Russland das Feld“ – so lautet heute eine Überschrift in El País und so ein Satz sollte zu denken geben.

Ein C17-Transportflugzeug landet auf dem Flughafen Gao (Mali), um den letzten niederländischen Chinook-Hubschrauber abzuholen und nach Woensdrecht zurückzubringen, April 2017.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Ein C17-Transportflugzeug landet auf dem Flughafen Gao (Mali), um den letzten niederländischen Chinook-Hubschrauber abzuholen und nach Woensdrecht zurückzubringen, April 2017. Foto: Jasper Verolme (PD)

2. April 2024
0
0
6 min.
Drucken
Korrektur
Warum waren überhaupt europäische Truppen in der Sahelzone?

Kolonien

Es ist heutzutage in linken Kreisen üblich, als Kritik das Wort „Kolonialismus“ zu verwenden, wenn das imperialistische Gehabe der Alten und Neuen Welt bezeichnet werden soll, der Interventionismus und die Kriege, die diese Nationen anzetteln, betreuen und sich einmischen.

Weite Teile Afrikas waren ja auch einmal Kolonie. Portugiesen, Engländer, Holländer, Franzosen, Belgier, Deutsche und Italiener keilten sich um die dortigen Rohstoffe, massakrierten die Bewohner Afrikas, beteiligten sich in verschiedenen Formen am Sklavenhandel und taten auch andere unschöne Dinge, die hierzulande unbekannt oder vergessen sind, an die sich aber die Nachfahren der damaligen Betroffenen in Afrika sehr gut erinnern.

Der Kolonialismus war jedoch erstens für die Mutterländer ein kostspieliges Geschäft. Sie mussten ständig mit militärischer Präsenz vor Ort tätig sein, eine Verwaltung unterhalten, um den Abtransport von Rohstoffen, Agrarprodukten und Menschen zu überwachen. Das war – zumindest seit dem 18. Jahrhundert – eine staatliche Vorleistung für die aufstrebende Industrie in den Mutterländern, die diese Stoffe brauchten, um ihren Konkurrenten auf dem Weltmarkt Paroli bieten zu können und gleichzeitig Absatzmärkte für ihre Waren zu haben. Es sind übrigens beide Seiten wichtig, die Rohstoffe genauso wie die Märkte. Grossbritannien war deswegen so lange führend, weil es sich mit seinen Kolonien und Kanonenbooten auch Märkte erschlossen hatte, über die es seinen Warenreichtum ausgiessen konnte.

Man soll aber auch die Kosten nicht unterschätzen. Grossbritannien finanzierte seine Herrschaft über Indien grösstenteils aus dem Opiumhandel mit China. Die letzte europäische Kolonialmacht, Portugal, musste ihre Kolonien aufgeben, weil sie sich einfach nicht mehr leisten konnte.

Die besondere Nützlichkeit der Kolonien war die ausschliessliche Verfügung des Mutterlandes über dieselben. Es gab ihm die Möglichkeit, die anderen rivalisierenden imperialistischen Mächte von seinen Territorien auszuschliessen.

Hinterhöfe

Rund um den II. Weltkrieg störte sich die aufstrebende Weltmacht USA an dieser Form der exklusiven Nutzung. Nicht, dass den USA der Kolonialismus fremd gewesen wäre. Puerto Rico, Hawaï, die Philippinen, die Panamakanalzone und viele Inseln im Atlantik und Pazifik waren oder sind nach wie vor US-„Territorien“, wie sie verschämt benannt werden. Heute haben sie aber vor allem strategische Bedeutung.

Die USA setzten gegenüber ihren Verbündeten durch, ihre exklusiven Zonen aufzugeben. Die treibende Macht hinter der „Entkolonialisierung“ waren die USA – die Befreiungsbewegungen der III: Welt konnten sich meist nur dank diesem Rückhalt schliesslich durchsetzen – sofern sie den USA genehm waren.

Das neue System sah die Entlassung in die Unabhängigkeit vor. Mit etwas Unterstützung aus den Mutterländern sollten sich diese Staaten selbst regieren und selber dafür sorgen, dass sie weiterhin als Rohstofflieferanten und Märkte zur Verfügung stehen – allerdings nach freier Wahl ihrer Patrone.

Die Konkurrenz um die neue Beherrschung Afrikas (und auch anderer Teile der Welt) ging los. Genehme Politiker wurden installiert, nicht genehme beseitigt. Die alten Kolonialmächte versuchten die Hand auf ihren ehemaligen Kolonien zu halten und in die vormals exklusiven Territorien ihrer Rivalen einzudringen.

Afrika im Kalten Krieg

Als vermeintlicher Rettungsanker dieser vom Regen in die Traufe geratenen afrikanischen Gebiete erwies sich die Sowjetunion, die Guerillabewegungen unterstützte, Staudämme und Kraftwerke baute und sich als antikoloniale Macht präsentierte. Der Pferdefuss dieser sowjetischen Unterstützung war erstens, dass sie die Feindschaft der europäischen Mächte und der USA als Weltpolizist zur Folge hatte und diesen Staaten deshalb erhöhte Verteidigungskosten aufbürdete.

Das zweite, weitaus Entscheidendere war jedoch, dass die Unterstützung der SU nur insofern interessant war, als sie diesen Staaten, die in der westlichen Ideologie „Entwicklungsländer“ genannt wurden, eine bessere Startposition für den Weltmarkt verschaffen sollte. Die dortigen Regierungen bedienten sich der sowjetischen Hilfe, um dann neue Produkte anbieten zu können, zu besseren Bedingungen für die einheimische Staatskasse, aber doch, um sich am internationalen Warenaustausch beteiligen zu können und sich in Richtung ihrer Vorbilder – der europäischen Staaten, ihrer ehemaligen Unterdrücker – zu entwickeln.

Die Kolonisierten wollten zu den Kolonisatoren aufschliessen – unter diesem Ideal wurden Brunnen gebohrt und Kredite vergeben, Kriege geführt und Militär- und Entwicklungshilfe über die afrikanischen Staaten ausgeschüttet.

Afrika nach dem Kalten Krieg

Mit dem Abdanken der Sowjetunion und dem Ende des ganzen RGW-Austausches hörten sich jede Menge Hilfen und Unterstützungen auf.

Als erstes der prosowjetischen Regimes kollabierte im Mai 1991 dasjenige Mengistus in Äthiopien, das neben der SU vor allem von der DDR unterstützt worden war.

Aber noch einige Monate vorher musste der Herrscher Somalias, Siad Barre, seinen Hut nehmen und das Land verlassen. Er hatte sich aufgrund von Territorialstreitigkeiten mit Äthiopien von der SU ab- und den USA zugewendet. Nach dem Ende der SU und dem absehbaren Sturz Mengistus strichen jedoch die USA die Zuwendungen an Somalia, weil sie Barre nicht mehr brauchten.

Ähnlich ging es in anderen Teilen Afrikas zu. Die einst prosowjetischen Regierungen wurden entweder gestürzt oder zusehends repressiver, um sich an der Macht zu halten. Manche Staaten, wie Somalia oder Ruanda, kollabierten überhaupt, manche zerfielen, wie der Sudan, und die Verteilungskämpfe wurden härter, sodass vielerorts Bürgerkriege ausbrachen. Die werden in den hiesigen Medien mit Traditionen und Stammesbindungen erklärt, und das alles schreit nach einem: Betreuung! „Wir“ müssen dort hin, um für Ordnung zu sorgen!

So kam es zu verschiedensten Interventionen kürzerer oder längerer Dauer, durch die USA und im letzten Jahrzehnt verstärkt durch EU-Staaten, die sich Afrika als Hinterhof zugerichtet haben und mit den Folgen dieser Zurichtung in Form von islamischem Terrorismus und Flüchtlingswellen unzufrieden sind: „Frankreich führt seit 50 Jahren permanent Krieg“.

Aus Deutschland tönt hochoffiziell: „Dort, wo Menschenrechte bedroht sind und die Rechtsstaatlichkeit keineswegs gesichert ist, fehlt das Fundament für Investitionen, Arbeitsplätze und Ausbildung.“ Da müssen daher unbedingt deutsche Soldaten hin.

Sogar das neutrale Österreich hat sich in Afrika schon wichtig gemacht: „Bundesheer in Mali“.

Grossbritannien hat noch über das Commonwealth einen allerdings sehr schwindenden Einfluss in Afrika. Das mag einer der Gründe sein, warum es sich mit solchem Eifer am Sturz Ghaddafis beteiligt hat – um zu zeigen, dass es doch noch eine Hand auf dem Kontinent hat.

Manchmal gelingt es, die nationalen Ambitionen der Nachbarstaaten zu benützen, um unangenehme Regierungen zu stürzen, wie in Gambia 2017, sodass die Friedensmacht EU nicht direkt intervenieren muss.

Das alles wäre schon noch zu bewältigen, wenn den Hütern von Menschenrechten und Entwicklung in den letzten Jahrzehnten nicht Störenfriede in die Quere kommen würden, die von dem ganzen Schmarrn nix halten und ähnliche, aber auch unterschiedliche Interessen in Afrika haben – und auch die Mittel, sie zu verfolgen: Russland und China.

Amelie Lanier