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Aufbrüche Foto: Mario Sixtus (CC-BY-NC-SA 2.0 cropped)

9. November 2022
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Der Mensch ist ein Wesen der Möglichkeit (Giorgio Agamben).

Wie unbefangen manche Lieblosigkeiten sind, wenn sie durch
den Raum schreiten, als seien sie Einsatzkommandos zur Sperrung der Innenstadt,
mit einer blitzschnell aus dem Halfter gezogenen Grossspurigkeit, die jedes
Lächeln zum Erliegen bringt, auftrumpfende Belanglosigkeiten, die noch mit
ihrer Unempfindlichkeit prahlen, sich nur mit aufsteigenden Härtegraden
abgeben, den höchsten Scheinheiligtümern. Und danach? - Eine in aller
Öffentlichkeit stattfindende Vermehrung von Sichtweisen, die es knallen lassen
wie Rammböcke, selten reichen die Ideen zwei Tage weiter, auf diese Weise
kommen sie ans Ziel. So wächst in uns der Alltag heran und wird erwachsen.

Aber unsere Zärtlichkeiten halten zusammen, als ginge es
ums Überleben, und unsere Nähe belebt uns, wenn die Nächte den Sätzen die
Lichter ausblasen. Ja, mit einer einzigen Berührung kleben wir unsere
Gedankenwelten aneinander, damit unsere Sehnsucht - oft nass und frierend -
sich darunter verkriechen kann wie unter einer dicken Decke. Und wenn draussen
die Einschläge abklingen, führt uns die Verzweiflung darüber hinaus und
beginnt, unsere Ratlosigkeit aufzubrechen, die ist wie blickdichtes Glas. Wenn
wir sehen wollen, müssen wir Unterwürfigkeiten sprengen, müssen wir Scheiben
durchstossen.

Und wenn wir heraustreten, dann sprechen wir keine
Halbheiten mehr nach, ja, dann rücken wir Stühle zusammen und breiten unsere
Sätze unter freiem Himmel aus. Wir tasten uns vor in die Luftschichten unserer
Hoffnungen und kommen zugleich mit unseren Umarmungen auf die Anfänge zurück,
nehmen unsere Worte beim Wort. Wir möchten nicht kleinlich sein, doch halten
wir die Lautstärke klein, denn wir wollen es nicht knallen lassen, uns nicht
mit steigenden Härtegraden erniedrigen, sondern die Zukunft erweichen, als wäre
es das erste, das wir als Menschen tun, - mit nichts zum Nachahmen als einen
Wassertropfen, der zu Boden fällt.

Ralf Burnicki

aus: Ralf Burnicki, Lichtaspirin. Anarcho-Poetry (Edition AV, 2022)