Züri brännt: Texte zur Bewegung Gewalt und Polizei - Interview mit Sara Schaer

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TNT war eine Punkband, die sich 1978 gegründet hat, aus der Vorgänger-Punkband Dogbodies. Es waren drei Mitglieder, ich habe den Sänger ersetzt.

Gewalt und Polizei von Sylvain Monney.
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Gewalt und Polizei von Sylvain Monney. Foto: strapazin

31. Juli 2022
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00:00 Ich war 14, im September 78 und im Oktober hatten wir schon ein Demotape und im Dezember haben wir das erste Mal gespielt im Volkshaus und haben ziemlich Furore gemacht.

00:44 Und wir haben die Leute ziemlich weggespielt. Wenn ich die Aufnahmen heute höre… es war schon einfach Lärm. Aber sehr intensiv. Und es hat wohl sehr Eindruck gemacht.

01:04 Mein Name ist Sara Schar, ich war früher Sängerin von TNT, von Kick, dann Souldawn und heute von One Two Three, das ist ein Frauentrio, das demnächst wieder auf die Bühne geht. Wir sind am Limmatquai und schauen auf die Schipfi, was heute ein Touristenmagnet ist, was schön renoviert ist alles und wenn man da so auf die Gemüsebrücke schaut, die ganz schwarz ist und abgegrast, so hat es eigentlich da überall ausgesehen in den 80er Jahren.

01:49 Es ist ein interessanter Ort, denn hinter uns haben die Demonstrationen stattgefunden, am Limmatquai. Wenn man die Fotos anschaut aus der Zeit, es war ein bisschen ein Einerlei, alle sahen gleich aus, ein bisschen grau, mit grossen Brillen. Dafür konnte man wirklich noch provozieren. Ich war mehrheitlich schwarz angezogen, hatte meine Igelfrisur, aber schon längere Haare. Ich war 16, 1980 und habe mich vor allem in Übungsräumen und auf Bühnen herumgetrieben.

02:38 Mein Vater war ein sehr fortschrittlicher Mensch, was Musik angeht, er hat mich eigentlich zum Punk gebracht. Eines Tages, ich war 13, knallt er mir eine Single hin, von The Damned. New Rose war das, und hat gesagt, da, hör das mal. Und dann hat es mich sofort gepackt, die Musik. Wenn ich in der Stadt herumgelaufen bin, gab es vereinzelt Gruppen von Leuten, die so cool aussahen, mit Schliessgurten auf ihren Jacken, mit aufgestellten Haaren, die so herumgelümmelt sind, das fand ich spannend.

03:12 So habe ich mich denen angeschlossen. 76, 77, 78, 79 war die erste Welle, 80 ist die schon zu Ende gegangen. Die erste Punk-Welle war recht offen, ein Haufen Leute konnten sich einfach anschliessen, von verschiedensten Richtungen, die geprägte war von Experimentierfreude, von Zusammenhalt, von Lust und Freude und Spass, würde ich sagen.

03:49 Dann 1980 ist die Welle abgeebbt. Die meisten sind dann da gestanden und haben sich gefragt, wo ist es hin? Und dann hat es angefangen mit der zweiten Welle, hat sich politisiert, die Punkmusik und ist viel ernster geworden, viel zielgerichteter, hat sich stark mit der Hausbesetzerbewegung vermischt und jüngere Leute sind dazugekommen, die das anders interpretiert haben. Und so ist es dann weitergegangen.

04:35 Ich habe in der WG meines Vaters gewohnt, in Küsnacht. Bin dann nach Zürich gekommen, bin da vorbeigefahren, habe ein paar Leute gesehen mit Transparenten, eine ganz kleine Kundgebung. Ein paar Leute. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und bin proben gegangen, wir haben mit TNT geprobt und sind abends in die Bierhalle Wolf, eins trinken.

05:02 Und dann irgendwann hören wir es knallen. Dann sind wir rausgerannt, haben gedacht, was ist da los, haben gezahlt und sind Richtung Motorrad gelaufen, mein Freund hatte sein Motorrad am Limmatquai geparkt. Dann kam uns jemand entgegen und sagte, da vorne ist alles voller Bullen und Tränengas und so und wir dachten, oh hoppla, was ist jetzt los? Und wir haben uns ins Getümmel gestürzt.

05:35 Wir haben geschaut, was ist da überhaupt los, sind hin und her gerannt. Wenn es geknallt hat und das Tränengas kam, sind wir weggerannt. Es ging die ganze Nacht so. Ich habe Demonstrationen schon als Kind mitbekommen, meine Eltern haben mich mitgenommen zum 1. Mai, zu Anti-Vietnam Demonstrationen, ich kannte das. Allerdings, wenn es mit Tränengas losging, ist meine Mutter mit uns Kindern ins Restaurant gegangen und ab und zu kam der Papa, sich die Augen mit Zitronen auswachsen, gegen das Tränengas. Anscheinend hat das dann geholfen.

06:21 Demos kannte ich, in dem Sinn war das nichts Neues für mich. Aber ich war nicht aktiv im politischen Prozess involviert, in Gruppen oder so, das nicht. Effektiv bin ich auf der Bühne gestanden und im Übungsraum. Für mich war es organisch, jetzt passiert das halt aus den und den Gründen. Aber dass es so heftig wird, hat mich schon überrascht.

07:02 Also es war Krieg! Wegen der Polizei, natürlich, nicht wegen der Demonstranten! Es war Krieg, schau die Fotos an! Gummigeschosse, Wasserwerfer, Knüppeleinsatz… da hat man schon Angst gekriegt.

07:27 „Bubble Guns“ handelt genau von dem Bild, wo wir uns den vermummten Polizisten gegenüber gesehen haben an den Demonstrationen, von dem Gefühl handelt der Song.

07:50 Der Song geht so: If you see them there, standing in the streets with guns in hands, masks on their ugly faces, your body takes a freeze and you shout out: Go to hell! And you feel like… kicking one of them, sagen wir jetzt mal.

08:16 Eben, für mich ist es nicht immer einfach über diese Zeit… es ist nicht einfach ein Geschichtsbuch und für die meisten Leute, die dabei waren, ist es wahrscheinlich… es wurden Leute verletzt, haben dauerhafte Schäden erlitten und in dem Sinn hat die Zeit viele traumatisierte Leute hinterlassen. Es war nicht einfach lustig. Es gab Verhaftungen, Repressionen, es hat Verletzte und auch Tote gegeben.

08:55 Unter den Toten waren mein Bruder und mein Stiefbruder, die in dem Klima von Gewalt und Repression ums Leben gekommen sind und darum ist das für mich immer etwas schwierig, das wieder aufzurollen. Die ganze Gewalt und die Repression, die Stimmung in der Stadt ist nichts Erfreuliches, also ich schaue nicht gern darauf zurück.

09:40 In Zürich mit den ganzen Demonstrationen, die gelaufen sind, haben wir schon etwas erreicht. Die Rote Fabrik ist hängengeblieben und andere Projekte und Sachen. Und ich habe bedauert, die letzten paar Jahre ist mir das immer mehr aufgefallen, dass Jugendliche eigentlich immer weniger Möglichkeit haben, sich auszudrücken.

10:07 Mich hat es extrem gefreut, zu sehen, wie sie wieder auf die Strasse gehen und eigentlich das Gefühl wieder haben können, hey, ich kann etwas machen, ich kann was erreichen. Das gefällt mir sehr gut, dass sie wieder spüren, dass sie wirklich etwas bewirken können. Es freut mich auch, dass es mit weniger Gewalt geht.

Interview aus Strapazin NO:137