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Punk Szene Schweiz: Güllens Grabenhalle Gigs 1984 bis 1990 (Teil 2)

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Aufbruch, Kampf, Dialog, Befreiung und Vernetzung der St.Galler Jugendbewegungen Punk Szene Schweiz: Güllens Grabenhalle Gigs 1984 bis 1990 (Teil 2)

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Kultur

Mit Teufelskraut Ltd. & Jogis Skunk-Shrunk-Spaice-Jahren gegen die Ruhe in der östlichen Provinz.

Normahl in der Grabenhalle St. Gallen, 1985.
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Normahl in der Grabenhalle St. Gallen, 1985. Foto: Christian Braun

Datum 16. Mai 2025
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Jogi atmet kurz durch und legt im Frühling 1986 enthusiasmiert mit zwei völlig unbekannten deutschen Neo-Sixites-Bands nach. Anfängerfehler! Das Minus in der Kasse ist gross, das Katzengejammer laut. Was Jogi liebt, kennt Heiri noch lange nicht. Nach den Shiny Gnomes ist nicht nur die Kasse leer, auch alle Freunde mit Auto sind schon weg. Egal, also Stöppeln. Die lustige Mod-Punk-Band Stunde X ist am 5. Juli extra aus Düsseldorf runter gedüst und muss nach dem Konzert auch noch 30 Kilometer ins Rheintal fahren. Bei einer Schulfreundin, die sturmfrei hat, wird ein Matratzenlager aufgebaut.

1986

29. März, Shiny Gnomes (Nürnberg), Pneumonia Party (Aarau) und Faceless (Basel). Am 6. April organisiert Tom Frey in Zusammenarbeit mit Post Tenebras Rock aus Genf die englische Post Punk-Band The Three Johns für die Grabenhalle. Für diesen Anlass gab Jogi seinen «guten Namen» wie er sagt. The Three Johns sind ein Seitenprojekt von Jon Langford, dem Gitarristen und Sänger von The Mekons. Laut Marcel Elsener war es ein spezielles Konzert, das mit einer zehnminütigen, sehr trunkenen Version von Madonnas Like A Virgin begann. Als Vorgruppe spielte der Böse Bub Eugen aus Thayngen (SH). Jon Langford wird ab kommendem Jahr ihre weiteren Alben produzieren.

Am 17. Mai organisiert Pat Federli aus Rorschach mit Lorenzo Weibel von The Valets sein erstes Konzert in der Grabenhöhle, dies mit den Idiots und Rim Shout, beide aus Dortmund. Im Jahr darauf erscheint ihr zweites Album «Cries Of The Insane». Auf der Rückseite befinden sich vier Photos von Pat der Bandmitglieder vom Grabenhalle Gig (das eine oder andere auch auf dem Insert). Ein Kredit dafür sucht man vergeblich.

Teufelskraut Ltd. organisiert am 31. Mai ein weiteres grosses Punk und Rockabilly Festival in der «Remise» in Bregenz. Mit von der Partie sind die Boyfriends aus Feldkirch, jetzt wieder mit Slaughter (ehemals Chaos & Ex Chaos) und Trixy Chicken, beide aus dem Ländle, Jolly Roger (BRD) und abermals Normahl. Headliner ist die Neo Rockabilly Band Batmobile aus Holland (eine Videokassette mit Live Ausschnitten von Batmobile erschien bei Teufelskraut Ltd.). Laut Alex gingen wir mit unseren Kräften an die Grenzen des Möglichen. Fix und fertig sind wir um fünf Uhr morgens mit der ganzen Eintrittskohle in die Schweiz zurückgekehrt.

3. Juli, Direct Hits (GB), Paul Roland (GB) und nochmals Perfumed Garden. Auch diesen Anlass gab Jogi seinen «guten Namen» her. Das Konzert wurde aber von Marcel Elsener organisiert und laut Pat Federli ist der britische Singer-Songwriter, Autor und Journi Paul Roland aus Kent für seinen Auftritt nicht anwesend gewesen, obwohl auf dem Plakat aufgeführt.
5. Juli, Stunde X (Düsseldorf) und Domina & The Slaves (Zürich). Mittlerweile etablierte sich in Zürich der Aargauer Biggi Brunner mit seiner Agentur «Konzertbüro». Am 28. September buchten wir von Teufelskraut Ltd. über ihn die US-Westküstler The Wipers. Ihr charismatischer Sänger und Gitarrist Greg Sage beeindruckt Alex am Morgen nach dem Konzert mehr als am Gig selber: "Er ist ein Indianer!" Seine Alben sind heute Meilensteine. Lurker gestaltete ein weiteres Mal ein Schaufenster im Bro Records mit einem surfenden Teufel, auch das Konzertplakat ist von ihm.

13. Dezember, My Bloody Valentine (GB) mit der Vorgruppe The Turncoats (GB) und den Zürchern When the shit hits the Fan (nicht auf dem Plakat aufgeführt), die später eine 12" unter dem Namen The Fan rausgebracht haben. Auch für diesen Anlass gab Jogi seinen «guten Namen». Das Konzert wurde wiederum von Marcel Elsener organisiert.

27. Dezember, The Maniacs (Genf) und Freds Freunde (Romanshorn). Zwischen Weihnachten und Neujahr gibt's immer eine welsche Band mit lokalem Support. Jogi macht aber erstmal Matura.

1987

Jogi muss näher ans Geschehen ran. Er zieht im Herbst 1987 in die «Arschspalte» (Zitat Andreas Niedermann), in ein Loch in der Hinterlauben, und bekniet Bro-Alex solange um einen Job bis er ihn bekommt: Endlich im Himmel! Jetzt kann es losgehen: Bands anschreiben, Plakate & Flyer basteln und verteilen, Defizitgarantien ansuchen, R&R buchen, an der Kasse zittern, mit den Füssen wippen, alle auszahlen, Halle förben.

10. Januar, The Stingrays (UK) und The Commercials (Dornbirn) - Abgesagt! Jogi gab wiederum seinen «guten Namen» für das von Marcel Elsener organisierte Konzert her. Marcel meint: "Auf die Stingrays freute ich mich wie irr und entwarf ein selbstgemaltes Plakat - schwarz mit weissen Buchstaben. Es wurde bei Röbi in der Schwalbendruckerei hergestellt und kostete ein Vermögen. In der letzten Minute sagten die Stingrays aber ab."

Im November 1986 erschien das Bad Brains Album «I Against I» auf SST Records. Dieses wurde in unseren Kreisen total euphorisch aufgenommen. Im Frühling 1987 kehrt Lurker für einige Zeit in der Schweiz zurück und stieg bei der Oi!-Band Micky und die Mäuse als Sänger ein. Sie nannten sich neu The Geekstompers und probten in dem von ihnen besetzten Raum hinten in der Aktionshalle der Roten Fabrik in Zürich. Am 15. Mai – das absolute Highlight – Bad Brains aus Washington D.C. sind wieder auf Tour.

Sie spielten am 28. Mai 1983 mit R.A.K. und Micky und die Mäuse in der Roten Fabrik zum ersten Mal in der Schweiz, ein hammermässiger Gig. Jetzt gaben sie einen weiteren Gig im «Z33» in Zürich (17.Mai). Zwei Tage davor spielten sie in der Grabenhöhle in Güllen. Die zwei Gigs liefen über das Konzertbüro von Bigi Brunner. Alex und Lurker war mit Teufelskraut Ltd. für den Gig in der Grabenhöhle zuständig. Lurker gestaltete und druckte ein riesiges Siebdruck-Plakat für die beiden Anlässe. Zusammen mit Alex plakatierten sie die Dinger im ganzen Bodenseeraum. Die Kraft, die diese Band umgab, fuhr ihnen schon bei der Ankunft der Roadcrew in die Knochen. Sie brachten eigene Boxen-Türme mit, beim Soundcheck flatterten die Hosenbeine. Die Halle war so voll, dass sich die Leute kaum bewegen konnten.
Als Vorgruppe sollten die Geekstompers auftreten. Dort sass ein ehemaliger, sagen wir – geläuteter – Skinhead-Rudelchef am Schlagzeug. Als Lurker den Bandmitgliedern an einem Probeabend die gute Nachricht verkündigte, als Vorband von Bad Brains zu spielen, meinte dieser nur, er werde sicher nicht als Vorband von «Negern» auftreten. Soviel zu seiner «Läuterung»!

Zu der Zeit erreichte die «Glatzen-Belästigung» an Konzerten ihren Höhepunkt. Lurker hatte nun die geniale Idee, für das Konzert eine Truppe Skinheads als Ordner anzuheuern. So waren sie beschäftigt und zettelten für einmal keine Massenschlägerei vor der Bühne an. Man muss sich das heute mal vorstellen!? Schlussendlich funktionierte diese Idee eher schlecht als recht.

Am 26. Dezember organisiert Jogi mit Le Faster aus Genf und Marlene Marders (ehemals Kleenex/Liliput) neuer Band Dangermice aus Zürich kurz vor Jahresende einen weiteren Anlass in der Grabenhalle. Am Bass spielte die coole Suzanne Zahnd. Sie moderierte auch die Radio-Sendung «Sounds».

1988

Teufelskraut Ltd. und mit ihnen Lurker – eigentlich waren sie schon von der Bildfläche verschwunden, organisierten am 21. Oktober einen letzten Gig für die Zürcher Geekstompers (ohne Lurker am Gesang, er war da schon wieder in NYC) und eines der ersten Konzerte mit den Basler Lombego Surfers in der Grabenhalle.

Jetzt übernimmt Jogi das Ruder und veranstaltet 1988 in der Grabenhöhle weitere 12 Konzerte bis in den Frühling hinein noch unter dem Fanzine-Namen Shrunk. Nachdem das Fanzine eingestellt wird, muss ein neuer «Nom de Guerre» her: Spaice music, ein Kofferwort aus Space und Spice. Jogi programmiert streng nach seinem subjektiven Geschmack.

11. März, Les Thugs (F) und abermals mit den Domina & The Slaves (Zürich). 08. April, The Fuzztones aus New York (USA) und Billion Bob & The Family (Dornbirn). Lurker geniesst in New York die Garagen-Luft und schreibt für das Skunk Nr. 3 einen Artikel über die US-Garagen-Szene. Jogi behauptet bis heute steif und fest, dass Lurker auch das Plakat zu diesem Konzert gestaltet habe, was dieser genauso steif und fest verneint: Lurker war ja gar nicht anwesend und kann sich somit erinnern.

23. Mai, Miracle Workers aus Portland (Oregon/USA) und Steven's Nude Club (Luzern). Dem Miracle Workers-Bassisten Robert Butler gefällt es in der Schweiz so gut, dass er in Bern bleibt und bei Bishops Daughter einsteigt. Als Roadie mit auf der Tour war der damals noch total unbekannte Zeichner Joe Sacco.

Im Frühjahr 1988 tourte die Band exzessiv in Europa und spielte ebenfalls diesen Gig in der Grabenhalle. Im gleichen Jahr erschien auf «Glitterhouse» Records ein offizielles Live-Album, das im ostwestfälischen Forum Enger (in der Nähe von Bielefeld) aufgenommen wurde. Das Album-Cover wurde von Joe Sacco gestaltet und die Tour-Erlebnisse später in seinem Comicbuch «In The Company of Long Hair» festgezeichnet. Für das Konzertplakat bediente sich Jogi einer Comic-Figur des deutschen Zeichners Markus Frede, die aus einem exklusiv für ihn gezeichneten Comic stammt. Zufälle gibt es!

23. Juni, Hungry For What (Biel) und Chin-Chin (Biel). Jetzt Wechsel zu SPAICE music präsentiert: 6. Juli, The Celibate Rifles (AUS) und Pull My Daisy (Biel).
1.September, Union Carbide Productions (SWE) und Hi-Grip (Aarau). Beim ersten (und einzigen?) Konzert der Stooges-Epigonen Union Carbide Production lässt sich der Sänger Ebbot Lundberg von den zwanzig Menschen im Publikum nicht entmutigen, entledigt sich nach dem ersten Song seiner gesamten Kleider und gibt den Iggy.

24. September, Les Sheriff (F), Huah! (Hamburg) und Boyfriends (Feldkirch). 21. Oktober, Zürcher Geekstompers (ohne Lurker am Gesang) und einen der ersten Gigs der Basler Lombego Surfers in der Grabenhalle. Diese werden in den kommenden drei Jahrzehnten noch öfters in der Grabenhalle spielen.

22. Oktober, Der Böse Bub Eugen (Thayngen) und Baby Jail (Zürich). Auf der Nimmerland Tour '88 «Kein Schlaf bis Bümpliz» gaben die drei Musiker von Der Böse Bub Eugen über 40 Konzerte in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Sie schauten auch in der Grabenhalle vorbei. Anfangs desselben Jahres erschien kurz vor den Olympischen Winterspielen in Calgary die Single-Auskopplung «Pirmin». Der Skirennfahrer Pirmin Zurbriggen reiste als Favorit nach Kanada. Der Songtext über Pirmins schönes Lachen und seine Papstbesuche hüpften allerdings weit deutlicher zwischen übertriebenem Lob und leisem Spott hin und her. Ab 1989 übernimmt Jogi das Booking der Bösen Buben.

29. Oktober, Dinosaur Jr. (USA), KÖB (Wien) und My Orchid was a Creeper (Wil). Das lauteste Konzert von allen kommt von leisen Menschen. Jogi schmeisst bei den Zugaben von Dinosaur Jr. die Nerven weg und nötigt Tom vom PA-Platzhirsch «R&R» die Feedback Orgie per Kassettenzuspielung zu beenden. Ach ja, kann sich noch jemand an KÖB erinnern – dies war Hans Platzgumers Prä-H.P. Zinker Gitarrenband mit dem einem Album «Wake Up Square!» auf dem Hamburger Punklabel «Buback».

19. November, The Needles (Genf) und The Maniacs (Genf). 03. Dezember, The Inmates (GB), Bellybutton and the Knockwells (Friedrichshafen) und The Loosers (Wien). Jogi organisiert eine Pub-Rock-R&B-Power-Pop-Ska Nacht mit den heute komplett vergessenen Bands The Inmates aus London, Bellybutton and the Knockwells aus Friedrichshafen und den The Loosers aus Wien – aber ohne die bis heute noch bekannten Dr. Feelgood.

9. Dezember, The Young Gods (Fribourg) und Dezerter (POL). Computer auf der Bühne: Das geht für Stammgäste der Grabenhalle gar nicht! Sie sabotieren den Abend durch mutwillige Plakatentfernung.

Lurker/Jogi/Alex/Pius/Disco/Pat

Auszug aus der Publikation Güllens Grabenhalle Gigs 1984 bis 1990.