Interview mit John Lydon (Johnny Rotten) „Leider wurde das Punk-Manifest ohne meine Zustimmung geschrieben“

Kultur

John Lydon über die Vorteile des Alterns, Lampenfieber vor dem Konzertauftritt, Klischeebands und ihre Klischeefans, das Verbrennen von Sex-Pistols-Souvenirs und die Weltpolitik.

John Lydon im Hammersmith Odean in London, 2008.
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John Lydon im Hammersmith Odean in London, 2008. Foto: Ed Vill (CC BY 2.0 cropped)

16. Juni 2016
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Herzlichen Glückwunsch, Punk. 2016 wirst du 40 Jahre alt – zumindest wenn man das Auftauchen der Sex Pistols als Zeitrechnung heranzieht. Natürlich gab es Vorboten, besonders im amerikanischen Raum, wie MC5, The Stooges und Velvet Underground in den späten 60ern und natürlich die Ramones in den frühen 70ern.

Aber als öffentliches Phänomen, dass es von der Untergrundszene in die Medien und schliesslich zu einer grossen heterogenen Bewegung machte, waren die Sex Pistols die Stunde Null. Das was im Jahr 1976. Exakt 40 Jahre später ist ihr Sänger Johnny Rotten jetzt wieder unter seinem bürgerlichen Namen John Lydon bekannter und seit 2009 wieder sehr aktiv mit seiner zweiten Band Public Image Ltd (kurz: PiL). Und nach wie vor ist er sehr selbstbewusst.

PIL gegen wieder auf Tour. Wie bereitest du dich darauf vor?

Mit grossen Schwierigkeiten. Am schlimmsten ist das Koffer packen. Man kann ja nicht mehr mit der Menge an Zeug reisen, die man für eine Tour braucht. Keine Fluglinie lässt einen mehr an Bord mit vier oder fünf Koffern. Für mich ist das ein echtes Problem! Ich muss mich vorher entscheiden, was ich anziehen will. Ich glaube ich muss sogar meine Unterwäsche unterwegs kaufen.

Vor einigen Monaten bist du 60 geworden. Welchen Unterschied macht das für deine Arbeit? Fällt es dir leichter oder ist es schwerer als früher?

Es ist leichter im Vergleich zu früher, weil ich jetzt mit besseren Leuten arbeiten kann. Wir kennen uns alle schon seit langer Zeit und vertrauen uns gegenseitig. In der Vergangenheit habe ich mit einigen Bandmitgliedern sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Das machte es sehr schwierig, wirklich Spass mit der Band zu haben. Das hat sich nun geändert. Wir behandeln uns gegenseitig gut und das macht es wesentlich besser. Ich wache jetzt morgens voller Eifer auf, wenn ich Abends auf die Bühne darf. Obwohl ich immer noch totales Lampenfieber habe, kann ich es kaum erwarten. Das freut mich sehr, auch wenn ich dafür erst 60 werden musste. Bis hierhin war es eine sehr interessante und positive Reise. Ich habe die Welt der Musikindustrie, eine Welt voller Unglück, nach meinen ersten Bands gelernt zu überleben. Auch diese Erfahrungen waren für mich sehr nützlich. Und das meine ich nicht selbstmitleidig. Das Leben hat nun einmal keine Versicherung. Du musst hart arbeiten. Und das tue ich!

Wie würdest du diese Arbeit beschreiben?

Kompromisslos ehrlich! Reicht dir das als Beschreibung? Über allem steht bei mir Ehrlichkeit. Ausserdem will ich mit meiner Arbeit meine tiefe Liebe zu meinen Mitmenschen ausdrücken. Ohne die würde ich das alles nicht tun. Meine Leben wurde mir bereits einmal fast genommen in meiner Kindheit [John hatte eine gefährliche Meningitis im Alter von 7 Jahren]. Aber ich bin noch hier als Überlebender und ich hoffe vielen mit meinen Songs Antworten zu liefern.

Auf der nächsten Tour spielt ihr in Grossbritannien vornehmlich in kleineren Städten, um näher bei den Fans zu sein.

Oh ja, das lieben wir!

Aber in Deutschland spielt ihr wieder eher in grösseren Städten. Warum macht ihr es hier nicht wie auf der Insel?

Wir können uns das in Deutschland nicht aussuchen. Wir müssen das nehmen, was die Veranstalter uns anbieten und wir können den Veranstalter auch nicht so leicht wechseln. Es braucht ja auch Zeit und viel Aufmerksamkeit, ein funktionierendes Business aufzubauen. Für uns ist das besonders schwierig, weil wir kein grosses Label mehr im Rücken haben. Und dann gibt es diese ganzen Probleme mit Versicherungen und Garantien, dass wir auch wirklich auftauchen, obwohl es fast noch nie passiert ist, dass wir nicht kommen. Dazu müssen wir uns noch mit allem möglichen Unsinn hier rumschlagen. Mir kommt es manchmal so vor, als würde in jeder deutschen Stadt der örtliche Feuerwehrchef darauf warten, uns Probleme bereiten zu können.

Was für Probleme?

Naja, es wurden schon Konzerte von uns abgesagt, weil das Gebäude zu voll gewesen sei oder unser Equipment angeblich eine Brandgefahr darstellte.

Was ist denn wirklich mal schief gelaufen?

Bei einem Festival, ich glaube in Ungarn, ist die Bühne aufgrund eines Blitzeinschlags zehn Minuten vor unserem Auftritt zusammengebrochen. Da kann vieles passieren. In Griechenland wäre ich fast mal zwischen Fussballhools geraten. Vor einigen Jahren spielten wir in Athen. Zwei Gangs der örtlichen Teams haben sich entschieden, sich dort gegenseitig mit Raketen zu beschiessen. Das war jetzt natürlich nicht meine Schuld und ich bin auch nicht auf der Bühne geblieben, um dieses Geschenk in Empfang zu nehmen!

Du wirst auf der nächsten Tour auch wieder in Berlin sein. Es ist die einzige Stadt, in der du 2015 auch schon mal warst. Warum kommst du nochmal wieder?

Es macht einfach Spass hier zu spielen und vor allem ist es schlicht möglich ist und ich bin willkommen.

Welche Verbindung hast du zu Berlin?

Es ist die erste Stadt, in der ich damals während der Sex-Pistols-Zeit mit Sid Urlaub gemacht habe. In London hatten wir überall Hausverbot, daher sind wir in ein Flugzeug gestiegen und nach Berlin geflogen. Besonders vor dem Mauerfall habe ich diese Stadt geliebt! Sie war rund um die Uhr verrückt. Die ganze Geschichte und alles. Ich fühle das immer noch und es lässt mein Herz höher schlagen, wann immer ich in Berlin bin. Ich liebe es. Berlin ist so ein spannender Ort, auch emotional.

Was hast du denn hier so gemacht? Wo bist du hingegangen?

Die Clubs dort waren sensationell. Sie haben viel verrücktes Zeugs gespielt, aus dem später Techno wurde. Es war sozusagen deren Vorgänger. Sehr interessant. Eine Kombination aus Disco und Umpapa-Musik. Sowas habe ich immer geliebt.

In diesem Jahr wird Punk 40. Joseph Corre, der Sohn eures Ex-Managers Malcolm McLaren und von Vivienne Westwood hat angekündigt, öffentlich Sex Pistols-Souvenirs zu verbrennen. Du hälst das für keine gute Idee, auch weil es Umweltverschmutzung ist. Was sollte er stattdessen damit tun?

Er sollte das alles verkaufen und das Geld den Bedürftigen spenden. Das ist alles. Alles andere ist ein lächerlicher Pomp. Wer gibt denn einen Fick darauf, was der Typ über irgendwas denkt? Wer ist der überhaupt? Niemand! Er war nicht dabei, als es passierte. Ich denke, er will sich nur von den Sünden des Vaters reinwaschen!

Er will also nur Aufmerksamkeit?

Natürlich. Und das leider in einer in einem sehr Malcolm-McLaren-artigen Weise. So kannten wir Malcolm bereits. Wir haben ihn immer Malcolm McClownish genannt.

Er könnte das ganze ja auch einem Museum geben. Gehört Punk nicht eh langsam mal ins Museum?

Haha, du vielleicht! Ich nicht! Ich bin noch sehr lebendig.

Ich hab auch nicht von dir gesprochen.

Ja, aber ich bin ja die Nummer eins. Ich habe das ganze Ding gestartet. Egal, was andere behaupten. Und all die Leute, die jetzt über den 40. Geburtstag von Punk rede, sind für mich Arschlöcher. Sie waren nicht dabei und gehören nicht dazu.

Was ist deine Verbindungen zur heutigen Punkszene?

Public Image Ltd ist zunächst sehr lebendig. Leider werden aber viele, die heute dabei sind, festgehalten in einem Gefängnis aus Klamotten, Mode, Phrasen und Klischees. Das ist traurig, denn ich habe von meinem ersten Tag als der König der Punks verkündet, dass jeder ein Individuum sein sollte. Wir sollten keine Uniformen anziehen. Wenn man eine Uniform will, sollte man zur Armee gehen. Die machen das auch besser. Aber diese Kleingeistigkeit beleidigt meine Integrität.

Wenn du mal zurückblickst: Was ist das Schlimmste im Erbe vom damaligen Punk?

Die Klischeebands und ihre Klischeefans. Die haben nie verstanden, was eine Do it yourself Attitüde wirklich bedeutet: Etwas wirklich individuell zu machen und keine andere Punkband nur zu imitieren. Diese endlosen Reihen von Bands sehen doch alle gleich aus und klingen auch alle gleich. Das ist der gleiche Mist, gegen den ich damals in den 70ern rebelliert habe. “Don't you give me any orders. For people like me there is no order!” Das ist ein Zitat aus dem Lied “Problems”, das sehr aufschlussreich ist, wie ich finde. Es zeigt was das Publikum geworden ist: Ein Problem! Viele von uns gehen weiter und machen die Welt zu einem besseren Ort. Aber das tut man nicht, wenn man seinen Horizont verschliesst. Ich mag keine Menschenblöcke, in denen jeder gleich aussieht und das gleiche denkt. Das halte ich für sehr destruktiv. Leider wurde das Punk-Manifest ohne meine Zustimmung geschrieben. Also ist es falsch. Lustiger weise wird mir das oft als Arroganz ausgelegt, dabei ist es nur die Wahrheit!

Jetzt mal von Punk abgesehen waren die letzten Monate hart für die Popwelt, Lemmy Kilmister, David Bowie oder kürzlich Prince sind gestorben…

Ja, aber ich sehe lieber über diesen Tellerrand hinaus. Menschen aus allen sozialen Schichten sterben jeden Tag. Für mich ist die grössere Tragödie das, was im Nahen Osten, Syrien oder oder auch mit den Flüchtlingen in Deutschland passiert und wie man damit umgeht! Und ehrlich gefragt: Ist der Tod eines Popstars wirklich so wichtig? Ich vermisse sie wirklich alle und bedauere den Tod eines jeden menschlichen Wesens. Aber das Leben ist nun für die Lebendigen und die müssen versuchen, den Hass und die Kriege zu überwinden.

Ich wollte deine Meinung dazu wissen, weil du irgendwie auch ein Popstar bist.

Das bin ich nicht und ich habe alles daran gesetzt, keiner zu sein! Ich bin eher das genaue Gegenteil, weil ich ehrlich bin und Integrität habe! Ausserdem habe ich Werte, die ich nie aufgegeben habe. Ich fühle eine Verantwortung gegenüber meinen Eltern, meiner Familie, meiner Kultur und dem, was ich sage. All das macht mich zu etwas anderem als ein Popstar. Ich mache das nicht fürs Geld. Wenn dem so wäre, wäre vieles leichter. Ich hab mich schon früh gegen Engstirnigkeit gewendet und mich früh davon abgewendet. Dieses ganze Aufbauen eines Images ist verdorben! Ich bin immer noch ein Mensch, der Lieder für seine Mitmenschen schreibt und damit die Welt zu einem besseren Ort machen will.

Du hast die deutsche Politik angesprochen. Verfolgst du, was hier gerade so abgeht?

Das muss ich doch! Ich muss im Auge behalten, welchen Schaden Politik überall auf diesem Planeten anrichtet und mein Bestes geben. Ich muss deutlich zu machen, wo auch immer ich mich befinde, dass die Bekloppten, die dieses Irrenhaus führen, beseitigt werden müssen. All diese Kämpfe im Nahen Osten sind doch von Politikern ausgegangen. Und unsere Schuld ist es, dass wir es zugelassen haben. Nun haben wir mit den Konsequenzen eines echten Krieges zu leben. Das ist für jeden tragisch und es gibt keine Gewinner. Die wird es niemals geben. Ich habe mich lang genug mit der Geschichte beschäftigt, um das zu wissen!

Wenn du die Gelegenheit hättest, eine einzige Sache in der Weltpolitik zu verändern: Was wäre das?

Ich würde die Idee, dass wir politische Gruppen brauchen, die uns unsere Grundsätze diktieren, verschwinden lassen. Dieses rechte-versus-linke-Demokraten-Ding ist idiotisch. Wir sollten und alle für das gleiche einsetzen: Fairness auf diesem Planeten. Ein Prozent der Menschheit regiert die Welt. Ein lausiges Prozent bestimmt alles. Das muss sich ändern!

Du warst ebenso immer für deine harte Kritik an Religion bekannt…

Ja, Religion habe ich immer als meinen Gegner verstanden. Sie ist eine Diktatur, die uns unsere Individualität nimmt und nicht erlaubt, irgendetwas zu hinterfragen. In ihrem Kern ist Religion Unterdrückung. Moderne Politik ist die klügere Variante dieses Prozesses. Im Endeffekt geht es nur um Manipulation.

Wie würdest du deine eigene politische Einstellung bezeichnen?

In meinem Herzen ist kein Hass! Ist bin von Natur aus Pazifist! Wenn ich einen Helden hätte, dann wäre es Gandhi mit seinem passiven Widerstand. Das ist meine Linie, meine Motivation. Man muss keine Menschen töten oder Bomben werfen um etwas durchzusetzen. Fakt ist für mich: Wenn du für deine Ziele Menschen umbringen musst, bist du immer auf dem falschen Weg. Du zerstörst von vornherein deine Absichten, an die du glaubst.

Das Magazin, für das wir dieses Interview machen nennt sich „lower class magazine“. Du selbst beschreibst dich selbst als Angehöriger einer unteren Klasse. Was bedeutet das für dich?

Es ist zunächst einmal die Gemeinschaft, in der ich aufgewachsen bin. Die Zeiten waren sehr hart und rau, aber es gab auch viel gegenseitigen Respekt. Wenn ein Kind etwas falsch gemacht hat, konnte es Ärger mit jedem anderen in der Nachbarschaft bekommen. Ich glaube, dass wir so gegenseitig auf uns aufgepasst haben, machte uns schlussendlich zu besseren Menschen. Das sind die Prinzipien und Werte, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich hoffentlich in mein späteres Leben übernommen habe. Ich weiss, wer ich bin. Es ist ein wertvoller Ansatz aufeinander aufzupassen. Empathie anstatt Trennung durch Politik und Religion, Hautfarbe oder was auch immer. Ich habe ja einen sehr gemischten kulturellen Hintergrund. In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin [im Norden von London], haben sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen gelebt, die miteinander klarkommen mussten.

Was bedeutet der Begriff “Klasse” für dich heute?

Eine Trennung. Und die sollte nicht existieren. Ich habe sehr hart dafür gekämpft den Menschen zu vermitteln, dass wir die Klassengrenzen durchbrechen und lernen müssen zu teilen! Wie ich ja bereits früher erwähnte: Dieses eine Prozent der Menschen, dass die Kontrolle über das Geld und die Wirtschaft hat, hasst uns! Und wenn wir uns noch untereinander hassen, hilft denen das nur diese Kontrolle zu behalten.

Letzte Frage: Wie hast du den 90. Geburtstag der Queen verbraucht?

Ach, ich wusste davon gar nichts, bis es mir jemand erzählt hat. Es ist schon toll, wenn man 90 wird. Ich hoffe, dass ich das schaffe. So sehe ich das eigentlich. Ich hasse diese Institution, der sie angehört, aber ich hasse sie nicht als Mensch. Davon bin ich weit entfernt. Ich bin sogar etwas stolz darauf, dass es ihr noch so gut geht. Möge sie lang leben aber nicht so lang regieren!

Franz Degowski / lcm