Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick über das politische Wirken und Agieren des bis heute in vielen Kreisen gefeierten Schweizerisch-Französischen Architekten geben.
Rechtsextreme Netzwerke und eine autoritäre Ideologie
Bereits in den 1920er/30er Jahren war Charles-Édouard Jeanneret, genannt Le Corbusier, politisch aktiv und interessiert. Zu seinen engen Freunden zählten Pierre Winter und Hubert Lagardelle – beides ehemalige Syndikalisten, die mit linken Ideologien brachen und sich faschistischen Organisationen anschlossen. Pierre Winter, einer seinen «engsten Freunden» war ein praktizierender Arzt und Führer der ersten faschistischen Partei Frankreichs. Winter wird Le Corbusier aufgrund ihrer gemeinsamen Gesinnung jahrelang intensiv unterstützen.Er propagierte etwa Le Corbusiers Plan Voisin für die Umgestaltung von Paris ausdrücklich als Ergänzung zu einem zukünftigen „faschistischen Neuen Staat“ – beide Visionen passten in sein nationalrevolutionäres Weltbild. Eine solch radikale Ideologie hinterlässt Spuren. Seit der Bekanntschaft mit Pierre Winter, war das Werk von Le Corbusiers durchzogen von der Idee der Eugenetik. Gemeinsam gründeten sie die erzkonservative, städtebauliche Fachzeitschrift Plans und Prélude, in denen Le Corbusier offen Elemente des italienischen Faschismus und antisemitische Ressentiments befürwortete.[1]
Die „Syndikalistische Aktion“, welcher Le Corbusier in den 30'er Jahren angehörte, unterhielt direkte Kontakte zu Mussolini und seinen faschistischen Schergen. Während Le Corbusier immer wieder bemüht war zu betonen, kein erklärter Faschist gewesen zu sein, zeichnen Zeugen und Akten ein ganz anderes Bild. Er bewegte sich offensichtlich in Netzwerken, in denen nationalistische, antikommunistische und technokratische Ideale hochgehalten wurden. Des öfteren solidarisierte er sich offen mit den Diktatoren seiner Zeit – da bleibt kein grosser Spielraum für Interpretationen.
Bildungsreise zum Duce
Le Corbusiers Rolle als passiven Nazi-Fan-Boy zu bewerten, würde deshalb seinem Engagement für die Rechte Sache entschieden nicht gerecht werden: Tatsächlich wird heute die Prélude, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte, heute klar als faschistisch eingestuft. Sein jahrelanger Mitstreiter bei der Prélude und enger Verbündeter im regionalen Syndikalismus, Hubert Lagardelle, welcher während des Krieges Le Corbusier unterstützte und später der Vichy-Regierung als Arbeitsminister diente, arrangierte 1934 Le Corbusiers Reisestipendium nach Italien.Tatsächlich bereiste Le Corbusier Italien mehrfach, um den faschistischen Städtebau zu studieren und sich der Architekten-Szene um den Duce anzunähern. Sein 1934 geführtes Tagebuch dokumentiert minutiös, wie er sich mit Mussolinis imperialen Bautrends auseinandersetzte: Er bewunderte etwa das neue EUR-Viertel und notierte, dass viele Italiener „ideale Städtebauprojekte mit klarer Trennung von Funktionszonen“ entwarfen – ähnlich seinen eigenen Visionen.
Auf dieser Reise traf er sich nach eigenen Aufzeichnungen auch mit zahlreichen Akteuren des italienischen Regimes[2]. Geplant war sogar eine persönliche Audienz bei dem vom Architekten so hochgeschätzten Duce: Ein italienischer Vertrauter arrangierte ein Treffen für Ende Juni 1934. Doch Mussolini liess Corbusier vergeblich warten – nach 17 Tagen verlor der Schweizer offenbar die Geduld – er reiste unverrichteter Dinge ab.
Le Corbusier im Vichy-Regime
Ein genauerer Blick auf Le Corbusiers Veröffentlichungen und Briefe zeigen aus heutiger Sicht eine klare und verstörende Nähe zum braunen Totalitarismus. Die Machtübernahme der deutschen Wehrmacht 1940 sah Le Corbusier mit pathetischer Erleichterung. In Briefen an seine Mutter feierte er die Niederlage Frankreichs als „wunderbaren französischen Sieg“ und antizipierte eine Säuberung der Gesellschaft von Juden und Freimaurern. Und weiter: „Hätten wir (Frankreich) gesiegt, würde die Fäulnis triumphieren, nicht Sauberes könnte mehr Anspruch auf Leben erheben.“ In der Folge suchte er – teils erfolglos – Anstellungen im Kollaborationsregime von Marschall Pétain.Er „antichambrierte“ angeblich regelrecht bei Petain, um Bauaufträge zu erhalten. So verfasste er 1941/42 das Essay L'Urbanisme de la révolution nationale für die Vichy-Regierung, scheiterte aber daran, tatsächlich grössere Planungsaufträge zu bekommen. Ihm wurde lediglich ein Sitz in einem städtischen Planungsausschuss und zeitweilig die Mitarbeit an der vom Eugeniker Alexis Carrel geleiteten „Fonds pour l'étude des problèmes humains“ zuteil – einem Institut zur Durchsetzung völkischer Bevölkerungspolitik im Sinne des Vichy-Regimes.
Le Corbusier lieferte immer wieder auch ausdrücklich antisemitische Argumente. Beispielsweise schrieb er 1940 in einem Brief: „Das Geld der Juden, die Freimaurer … werden sich dem gerechten Gesetz beugen. Diese schändlichen Festungen werden geschleift. Sie haben alles dominiert.“[3]. Solche Passagen sind in seinem Nachlass zu finden und belegen, dass er die anstehenden „Säuberungen“ der Vichy-Politik begrüsste. Somit ist ihm wohl definitv eine Nähe zur faschistischen Kriegsordnung vorzuwerfen, die viel zu lange Zeit unter den Tisch fiel.
Autoritäre Stadtplanung und Technikfetischismus
Die ausgeprägte autoritäre Gesinnung spiegelte sich auch direkt in Le Corbusiers Architektur- und Planungsprinzipien. Seine Vorstellung von einer Ville Radiuse oder Stadt des Tages war in vieler Hinsicht von einem klassistischen Totalitarismus inspiriert: Er verkehrte in einem Weltbild, in dem eine „technokratische Elite“ das Zentrum bewohnen und „Arbeiter“ an die Ränder abgeschoben würden.[4]So erstaunt es auch nicht, dass seine auf dem Reissbrett entworfenen Siedlungen aufs extremste standardisiert sind und einen offensichtlich sozial entfremdenden Effekt haben. Im Klartext – sie sind diametral gegen eine natürliche urbane Vielfalt gerichtet. „Le Corbusiers Stadtvision war autoritär, unbeugsam und schlicht“, fasste der Architekturhistoriker Witold Rybczynski pointiert zusammenen. Andere Architekten wie Jane Jacobs und Lewis Mumford warnten ebnfalls vor dieser von oben verordneten Ordnung, die lebendige Nachbarschaften nur zerstören würden.
Le Corbusier hingegen war besessen von Effizienz und Ordnung – ein Rationalist und Funktionalist, wie er im Buche steht. Ein zeitgenössischer Kritiker notierte schon in den 1920er Jahren, Le Corbusier und seine Gleichgesinnten hätten Städte wie Versuchslabore betrachtet, die rigider mathematischer Planung unterworfen werden müssten. Seine unbedingte Technikgläubigkeit und sein Elitendenken passten wie die Faust aufs Auge zum autoritären Zeitgeist.
Verdrängung und Aufarbeitung in der Schweiz
In der Schweiz verlief die Diskussion um Le Corbusiers Vergangenheit bedauernswerterweise lange Zeit landesüblich eher zurückhaltend. in seinem Geburtsort La Chaux-de-Fonds etwa war man seit Jahrzehnten über seine politischen Affinitäten informiert. Doch der offizielle Umgang in der Schweiz blieb weitgehend unkritisch.In Zürich etwa feiert man nach wie vor sein Andenken: 1967 eröffnete das «Centre Le Corbusier» (heute Pavillon Le Corbusier) als Museum der Nachlassarchitektur, betrieben von Museen Zürich, ohne dass der Name ernsthaft infrage gestellt wird. Sieben seiner Bauten sind in der Schweiz als nationales Kulturgut ausgewiesen, und sein Porträt prangte in den neunzigern auf der Schweizer Zehn-Franken Banknote. Von einer systematischen Aufarbeitung ist bis zum heutigen Tag erschreckenderweise wenig zu spüren.
Der Pächter des Pavillons in Zürich, die Stadt Zürich, hat sich von Le Corbusiers Vergangenheit nie öffentlich distanziert. Die ursprüngliche Stifterin Heidi Weber führte bis 2014 das Museum als Privateinrichtung, und selbst nach Übernahme durch die Stadt gab es keine Namensänderung – trotz zwischenzeitlicher Streitigkeiten um Kulturförderung und Trägerschaft. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde Le Corbusier lange als integraler Teil der Schweizer Moderne gefeiert, seine dunklen politischen Abgründe blieben und bleiben oft verborgen.
Eine Aufklärung über die faschistischen Vorlieben dieses gefeierten Schweizer Architekten und dessen Bezug und Wirkung auf die heutige Zeit ist in unserer Epoche des widererstarkenden Autoritarismus und Rechtspopulismus wohl oder übel zwingend angebracht.