Zatoichi - Der blinde Samurai „Even with my eyes wide open ... I can't see a thing.”

Kultur

Kann er nun oder kann er nicht – sehen? Zatoichi sieht, wie auch immer.

Japanisches Schwert im Zatoichi-Stil.
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Japanisches Schwert im Zatoichi-Stil. Foto: scott feldstein (CC BY 2.0 cropped)

27. Juli 2020
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Und Kitano erhebt wohl eine der berühmtesten japanischen Legenden, den ab den 60er Jahren von Katsu Shintaro erfundenen und bis 1997 von ihm auch in etlichen Filmen verkörperten Kämpfer Zatoichi, dessen Geschichten von Kan Shimozawa aufgeschrieben wurden, in den Stand eines nun weltweit bekannten Helden.

Im Spannungsfeld zwischen Blindheit, seherischen Fähigkeiten, die sich nicht nur auf die Kampfkraft und Geschicklichkeit beziehen, und der Frage, ob er nicht vielleicht visuell wahrnehmen kann, streift ein ruhig wirkender Mann, der mit Worten ebenso sparsam, aber auch präzise umgeht wie mit dem Schwert, durch das Japan des 19. Jahrhunderts. Und Kitano ist sich in keiner Weise zu schade, diesen Mann als alten Mann, als einen dem man das Alter am wippenden Gang wie an den blonden Haaren ansieht, zu spielen – den Kopf meist gesenkt, als wenn er blind zur Erde schauen würde, einer, der des öfteren (wie in der Eingangsszene) am Wegesrand sitzt und zu schlafen scheint. Vieles scheint Schein an diesem Helden, einem Masseur und Würfelspieler, der zu den einen freundlich wirkt und sie anlächelt, andere ohne Zögern in Blitzesschnelle ins Jenseits befördert – so etwa die Strassenräuber, die ihm (dem Schlafenden) durch einen Jungen sein Schwert wegnehmen lassen, um Zatoichi den Garaus zu machen, und bis auf wenige, die fliehen, selber das Zeitliche segnen.

Zatoichi schaut seinen Feinden nicht in die Augen; schliesslich ist er blind, könnte man sagen. Aber nicht nur das. Er schaut eher dem Schicksal entgegen, an dem es für ihn keinen Zweifel zu geben scheint. Eines Tages, wie es so schön heisst, kommt Zatoichi in ein Nest, in dem rivalisierende Banden miteinander um die Herrschaft ringen und die arbeitenden Bauern und Handwerker ausplündern. Zunächst aber hilft Zatoichi einer Frau beim Tragen, O-Ume, die ihn in ihr Haus aufnimmt und sich eine Massage verpassen lässt. Ihr Holz hackt und stapelt (indem er es über den Rücken nach hinten wirft) der Masseur ebenso präzise, wie er mit dem Schwert umgeht.

Im Dorf herrschen der Bandenführer Ginzo im Verein mit Ogi einerseits, der Clan der Funahachis auf der anderen Seite. Und Ginzo hat sich fest vorgenommen, Funahachi und seine Anhänger auszumerzen. Ein Ronin, Hattori, der Arbeit sucht, um durch das verdiente Geld seiner schwer kranken Frau O-Shino zu helfen, kommt Ginzo gerade recht, als der ihm seine Dienste anbietet. Hattori hat sein Handwerk gelernt.

Noch andere Neuankömmlinge sieht das Dorf, die Geschwister O-Sei und O-Kinu, die als Geishas durchs Land ziehen, wobei O-Sei ein Mann ist, der – um beiden Geld zu verschaffen – als kleiner Junge auf den Strich gegangen war. Sie erzählen Zatoichi, der am Geruch gemerkt hat, dass O-Sei ein Mann ist, ihre Geschichte. Sie suchen nach den Mördern ihrer Eltern, Banditen, die das Vermögen ihrer Familie vor zehn Jahren gestohlen haben.

Und dann wäre da noch der Neffe von O-Ume, der etwas dickliche, sympathische Shinkichi, der seine Zeit lieber in der örtlichen Würfelstube vertreibt und viel Geld verliert, anstatt nützlicheren Tätigkeiten nachzugehen. Zatoichi und Shinkichi kommen sich über das Würfelspiel näher. Denn Zatoichi hört am Fallen der Würfel, ob eine ungerade oder gerade Zahl gewonnen hat. Shinkichi ist begeistert.

Während die Geschwister Ogi als einen derjenigen verdächtigen, der am Mord ihrer Eltern beteiligt war, und ihm seine Dienste anbieten, um Klarheit zu gewinnen, räumt Zatoichi mit dem Schwert in der Würfelstube auf, als man ihn betrügen will. Inzwischen hat Ginzo den Ronin Hattori auf Funahachi und seine Männer angesetzt. Doch Ginzo weiss, dass es noch eine andere Gefahr für seine unumschränkte Herrschaft am Ort gibt: Zatoichi. Im Ort selbst versteckt sich zudem noch jemand, der die wahre Identität Zatoichis kennt und dem der blinde Masseur auf den Fersen ist – bedächtig, behutsam und zielstrebig – wie immer ...

Wer glaubt, diese Geschichte sei bitter ernst, täuscht sich gewaltig. Immer wieder löst Kitano die Brutalität in Komik auf, etwa durch den verrückten dicken Sohn irgendeines Nachbarn von O-Ume, der in knapper Kleidung wild schreiend durch die Gegend rennt, weil er ein Samurai werden will. Oder durch Shinkichi, der drei jungen Dorfbewohnern den Schwertkampf beibringen will (den er selbst nicht beherrscht) und sich dabei (durch eine Übung, die er selbst „erfunden” hat) Prügel einhandelt.

Überhaupt ist der Film ein gelungener Genre-Mix, dem man die Mischung allerdings nicht ansieht, weil die Inszenierung so homogen ist, dass es Freude macht. Kindheitstrauma, Familiengeschichte (Zatoichi, O-Ume, die beiden Geschwister und Shinkichi), Samurai-Film, Komödie – und zum Schluss lässt Kitano das gesamte Ensemble – einschliesslich der im Film bereits Getöteten – auf der Bühne zum Tanz antreten, ein ebenso gelungenes wie überraschendes Finale.

Die Dramatik der Samurai-Geschichte – im Dreieck Zatoichi, Hattori, Ginzo – ist für sich genommen klassisch und erinnert in vielem an Kurosawas „Die sieben Sumarai”, aber eben mit der spezifischen Erzählweise und Dramaturgie Kitanos. Die Kampfszenen sind extrem kurz, keine langen Schwertkämpfe, wie man sie aus Martial-Art-Filmen gewohnt ist, dafür in der Knappheit umso effektiver. „Zatoichi” ist kein bluttriefendes Spektakel, sondern in aller erster Linie eine durchdachte, konsequent durchgehaltene Geschichte, in der ein Schwertkämpfer zum Helden eines kleinen Dorfes wird. Die Tragik des Films liegt vor allem in dem Subplot über den Ronin Hattori, der sich auf die Seite der Verbrecher stellt, um seiner Frau zu helfen. Tadanobu Asano, einer der bekanntesten japanischen Jungschauspieler, glänzt in der fast stoisch gespielten Rolle des Hattori.

Wer einen rasanten Schwertkampf-Film erwartet, wird durch „Zatoichi” sicherlich enttäuscht. Das, was an Kampf gezeigt wird, ist allerdings durchaus sehenswert. Kitano legt Wert auf Geschichte und Charaktere, auf eine ihm eigene Mischung aus Tragik und Komik sowie auf eine Moral, die sich nicht in heldenhaft in Szene gesetzten Personen realisiert, sondern sich aus der Geschichte, aus dem Gezeigten selbst ergibt. Gerade der tänzerische und musikalische Schlussakkord lässt spüren, dass Kitano die Sache selbst nicht so ernst nimmt – zumindest nur „zur Hälfte”.

Ein Film voller Gegensätze, voller Zweifel, und doch auch voller Klarheit. Blind oder nicht blind, Samurai, der nicht käuflich ist, kontra Samurai, der sich verkauft hat. Mann als Frau verkleidet. Ein Verbrecher, der sich für etwas anderes ausgibt und im Hintergrund die Fäden zieht. Ein Samurai, der seiner Frau helfen will, aber ihr nur schadet, ein anderer, der einer Frau hilft, indem er das Richtige tut. Eine Linie ist gerade deswegen erkennbar. Ein Hausbau am Schluss zeigt den (filmisch) gelungenen Weg aus der Barbarei und die aus der Geschichte selbst sich erschliessende Zusammenfügung einer neuen Familie.

Ulrich Behrens

Zatoichi – Der blinde Samurai

Japan

2003

-

116 min.

Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano

Darsteller: Takeshi Kitano, Tadanobu Asano, Michiyo Ookuso

Produktion: Tsunehisa Saitō, Masayuki Mori, Takio Yoshida, Masanori Sanada, Shinji Komyia

Musik: Keiichi Suzuki

Kamera: Katsumi Yanagishima

Schnitt: Takeshi Kitano, Yoshinori Oota