Valley of Love – Tal der Liebe Das Spiel mit der Realität

Kultur

„Valley of Love – Tal der Liebe“ erzählt von einem Ex-Paar, das sich Monate nach dem Selbstmord des gemeinsamen Sohnes im Tal des Todes trifft – auf Bitte des Verstorbenen.

Der französische Schauspieler Gérard Depardieu spielt in dem Film die Rolle von Gérard.
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Der französische Schauspieler Gérard Depardieu spielt in dem Film die Rolle von Gérard. Foto: Siren-Com (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. Juli 2021
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Der Film ist einerseits klassisches Trauerdrama, verzichtet dabei jedoch auf Kitsch oder oberflächliche Katharsis, sondern baut stattdessen Mystery-Elemente ein. Das Spiel mit dem Spirituellen wird nicht jedem gefallen, ist aber berührend gespielt und toll bebildert.

Lange ist es her, dass Isabelle (Isabelle Huppert) und Gérard (Gérard Depardieu) sich das letzte Mal gesehen haben. Noch länger, als die beiden ein Paar waren. Inzwischen haben die beiden berühmten französischen Schauspieler längst neue Familien, mit denen sie mal mehr, mal weniger zu kämpfen haben. Und doch ist es die gemeinsame Vergangenheit, welche sie noch einmal zusammenführt: Ihr Sohn hat sich vor einigen Monaten das Leben genommen, ihnen zuvor aber Briefe geschrieben. In denen bittet er sie, zu einem bestimmten Datum im Tal des Todes zu sein und Orte zu besuchen, die er ausgewählt hat, um sich noch einmal nahe zu sein …

Ein bisschen trügerisch ist der Titel ja schon. Valley of Love – Tal der Liebe, da denkt man eher an einen neuen Film aus der Herzkino-Reihe. Mit Kitsch hat das französische Drama jedoch wenig am Hut, nur selten kommt es zu grösseren Ausbrüchen. Das ist erstaunlich, würde das Thema der Trauerarbeit doch genau das eigentlich naheliegend machen. Zwei Menschen, die zusammenkommen, um den Tod des verstorbenen Sohnes zu verarbeiten, das ist wie gemacht für die ganz grossen Gefühle. Tatsächlich ist der Film aber recht leise, zurückhaltend, arbeitet sich erst nach und nach bis zum Inneren fort.

Das Spiel mit der Realität

Regisseur und Drehbuchautor Guillaume Nicloux (Die Nonne, To the Ends of the World) zeigt sich dabei gleich in mehrfacher Hinsicht als jemand, der gern mit der Realität spielt. Zum einen verkörpern die beiden französischen Schauspiellegenden in dem Film selbst Schauspieler, tragen zudem ihre realen Vornamen. Immer wieder meint man auch, Valley of Love – Tal der Liebe sei in erster Linie eine Beschäftigung mit dem Duo, in einer Mischung aus Reminiszenz und Ironie. Da werden Erinnerungen an Der Loulou von 1980 wach, als die beiden schon mal ein Paar spielten. Eine Vertrautheit herrscht zwischen den beiden, wobei offen bleibt, wie viel auf die Figuren, wie viel auf die Menschen dahinter zurückzuführen ist.

Die zweite Grenze, welche Nicloux auflöst, ist die zwischen der physischen Welt und einer spirituellen. Von Anfang an gibt der Franzose seinem Werk eine betont rätselhafte Aura. So lässt Valley of Love – Tal der Liebe offen, weshalb der Sohn sich das Leben genommen hat. Auch die familiäre Vorgeschichte bleibt im Dunkeln. Während nach und nach jedoch Mosaiksteine hinzukommen, die einen zumindest ahnen lassen, wer die zwei Menschen sind und welche Vergangenheit sie verbindet, ist das Anliegen des Verstorbenen unklar. Wenn dieser in seinen Briefen ankündigt, dass es zu einem Wiedersehen käme, dann provoziert das die Frage, ob es sich um ein tatsächliches Wiedersehen in einem Fantasy-Umfeld handelt oder doch eins im übertragenen Sinn.

Gefühlvoll und seltsame Distanz

Dieses Spiel stiess nicht überall auf Gegenliebe. Wenn das Trauerdrama zunehmend Mystery-Elemente aufnimmt, an einer Stelle auch an David Lynch erinnert, dann wird das den einen zu viel, den anderen nicht genug sein. Valley of Love – Tal der Liebe begibt sich auf eine spirituelle Ebene, ohne dabei jemals bestimmt dort aufzutreten. Wer sich also tatsächliche Antworten erhofft, wissen will, was real geschehen ist, der wird verwirrt bis frustriert enden. Und auch wenn das Drama, das 2015 in Cannes Weltpremiere hatte, durchaus etwas Kathartisches hat, wenn sich Isabelle und Gérard langsam öffnen und ihren Gefühlen stellen, so behält der Film seine Seltsamkeit bei, fordert zeitgleich immer zum Nachdenken auf, anstatt sich ganz den Emotionen hingeben zu können.

Das wird nicht jedem gefallen, ist aber doch sehr sehenswert. Neben den betörenden Aufnahmen einer vertrockneten, lebensfeindlichen Umgebung – das Tal heisst nicht umsonst eigentlich Tal des Todes –, durch die diese beiden Fremdkörper auf der Suche nach Antworten stapfen, sind es natürlich die schauspielerischen Urgesteine selbst, die fesseln. Huppert und Dépardieu, die für ihre Leistungen jeweils für einen César wie auch einen Prix Lumière nominiert waren, bilden ein ungleiches Ex-Paar, vertraut und doch fremd, geeint durch eine Trauer, der sie unterschiedlich begegnen. Dass die Frau ihr Heil in einer Übersinnlichkeit sucht, während der Mann einfach verdrängt, ist zwar ein wenig interessantes Klischee. Doch die zwei gewinnen mit der Zeit an Kontur, finden begraben unter Geröll eine Sehnsucht und Trauer, die tief berührt. Finden den Schrecken, den Schmerz und die Liebe, welche eine Verbundenheit schafft, nachdem alle Worte gescheitert sind, tausend Briefe keine Antwort fanden.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Valley of Love – Tal der Liebe

Frankreich

2015

-

91 min.

Regie: Guillaume Nicloux

Drehbuch: Guillaume Nicloux

Darsteller: Isabelle Huppert, Gérard Depardieu

Produktion: Sylvie Pialat

Musik: Charles Ives

Kamera: Christophe Offenstein

Schnitt: Guy Lecorne

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.