The Insider Zweikampf à la Michael Mann

Kultur

Ein Geständnis zu Anfang: Michael Manns Filme, darunter „The Insider“, „Manhunter“, die erste filmische Adaption des Romans „Roter Drache“ von Thomas Harris und „Heat“ gehören zu meinen Lieblingsfilmen.

Der US-amerikanischer Regisseur Michael Mann, Dezember 2012.
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Der US-amerikanischer Regisseur Michael Mann, Dezember 2012. Foto: Col. Hans Landa (CC BY-SA 3.0 cropped)

1. Juli 2020
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Das liegt v.a. an der besonderen Art von Mann zu filmen, seinen Schnitten, seiner Musikauswahl, der spezifischen Atmosphäre, die seine Inszenierungen erzeugen.

„The Insider“ beruht auf einem Artikel der amerikanischen Journalistin Marie Brenner in der Zeitschrift „Vanity Fair“ mit dem Titel „The Man Who Knew Too Much“ über den ehemaligen Forschungsleiter des amerikanischen Zigarettenkonzerns Brown & Williamson, Dr. Jeffrey Wigand (Russell Crowe), der gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber aussagte, weil der mit unlauteren Mitteln die Wirkung des Nikotins in Zigaretten und damit die Suchtwirkung beträchtlich erhöhte.

Dr. Wigand wird entlassen. Er hatte gegen die heimliche Beimischung chemischer Substanzen im Tabak, um die Wirkung des Nikotins zu erhöhen, in einem Memorandum an den Firmenchef von Brown & Williamson, Sandefur (Michael Gambon), protestiert. Vor einem Ausschuss des Kongresses hatten Sandefur und die Direktoren anderer Zigarettenfirmen unter Eid ausgesagt, Nikotin mache nicht abhängig, so dass die Firmen auch nicht für gesundheitliche Schäden haftbar gemacht werden könnten. Wigand ist durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung gezwungen, über die dubiosen Praktiken auch nach seiner Entlassung zu schweigen.

Lowell Bergman (Al Pacino) von der Nachrichtensendung „60 Minutes“ (CBS) kontaktiert – gerade aus dem Iran zurück – Wigand, um Informationen zu ihm zugespielten Material zu bekommen, das er nicht versteht. Dabei bemerkt er, dass Wigand offensichtlich mehr weiss, als er sagen will. Doch Bergman lässt nicht locker. Er verdeutlicht Wigand die Alternative, entweder alles zu sagen, was er weiss, oder für immer zu schweigen. Er bietet ihm an, mit dem Anwalt Richard Scruggs (Colm Feore) zusammenzuarbeiten, der in Mississippi einen Prozess gegen die Tabakkonzerne vorbereitet, um für Opfer der Nikotinsucht Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Wigand, der anfangs zögert, zumal sich seine Frau Liane (Diane Venora) von ihm abwendet, die nicht versteht, wie ihr Mann die Existenz ihrer Familie aufs Spiel setzt, fasst Vertrauen zu Bergman, der offensichtlich ehrliche Absichten hat.

In einer nicht öffentlichen Anhörung vor einem Gericht in Mississippi sagt Wigand aus. Auch die Drohungen der Anwälte der Tabakindustrie, die eine einstweilige Verfügung gegen Wigand in der Hand hat, die ihm bei Strafe untersagt, seine Verschwiegenheitspflicht zu verletzen, können ihn jetzt nicht mehr daran hindern. Bergmans langjähriger Kollege Mike Wallace (Christopher Plummer) interviewt Wigand für „60 Minutes“.

Doch für Wigand hat seine Aussage dramatische Konsequenzen. Er und seine Familie werden bedroht. Die Tabakindustrie kramt in seiner Vergangenheit und entfacht eine Schmutzkampagne gegen den Wissenschaftler. Wigands Frau, die dem Druck nicht mehr standhält, verlässt ihren Mann und reicht die Scheidung ein. Wigand denkt an Selbstmord. Und dann wird Bergman von der CBS-Rechtsabteilung erklärt, man könne das Interview mit Wigand nicht ausstrahlen, weil man einen Prozess von Brown & Williamson befürchten müsse. Wallace und der Leiter von „60 Minutes“ Hewitt (Philip Baker Hall) machen einen Rückzieher. Bergman steht allein da. Die Sache scheint auf ganzer Linie gescheitert. Und Wigand gibt Bergman die Schuld an den persönlichen Konsequenzen, die seine Aussage für ihn und seine Familie hatte ...

Michael Mann hielt sich in seiner Adaption nicht immer an die Fakten. So hatte der wirkliche Hewitt sich durch den Druck der CBS-Führung nicht auf deren Seite geschlagen, sondern war nur machtlos. Wigand wurde von der Tabakindustrie auch nicht bedroht. Und es war nicht Bergman, der das Wall Street Journal manipulierte (so schreibt es jedenfalls Roger Ebert in seiner Besprechung des Films).

Doch diese Abweichung von den Fakten ändert nichts daran, dass „The Insider“ in einer exzellenten Art und Weise in einer Mischung aus Thriller und Drama die Geschichte zweier Männer erzählt, die gegen alle Versuche der Vertuschung, des Betrugs, gegen alle Risiken und Konsequenzen für die eigene Zukunft standhaft bleiben. Sind Wigand und Bergman Helden? Mann stellt sie nicht als Helden dar. Russell Crowe, der mit Bauchansatz und grauem Haar eine im Vergleich zu seinen sonstigen Rollen ungewöhnliche Figur darstellt, und Al Pacino als nicht korrumpierbarer Journalist gehen eine schwierige Symbiose ein, wobei für beide nicht klar ist, welche Richtung die ganze Sache nehmen wird. Sie spekulieren, wägen ab, geraten sich in die Haare, Wigand steht oft am Rande der Verzweiflung. Was beide jedoch eint, ist ein tief sitzendes Gefühl, das widerwärtige Spiel der Tabakindustrie, mit chemischen Zusatzstoffen die Nikotinsucht zu verstärken, nicht widerstandslos hinzunehmen. Bergman kann es zudem nicht ertragen, dass sein eigener Sender wegen Verkaufsabsichten der CBS-Führung die Ausstrahlung des Interviews mit Wigand blockieren will.

Vieles an dieser Geschichte erinnert an Pakulas „Die Unbestechlichen“ (1976) über die beiden Journalisten der „Washington Post“, Woodward und Bernstein, die den Watergate-Skandal aufdeckten. Mann zeichnet seine beiden Hauptfiguren nicht als Helden bzw. Bergman als penetrant-skrupellosen Journalisten, der nicht locker lässt. Beide sind nicht integer aufgrund irgendeines (konstruierten) Heldenmuts. Crowe und Pacino spielen sie überzeugend als Menschen, die gar nicht anders handeln können – trotz aller Konsequenzen, die das möglicherweise nach sich zieht –, weil ihr Innerstes sie daran hindert.

Der Look des Films – überzeugend ergänzt durch die ihm eigene Auswahl an Filmmusik – ist typisch Michael Mann. Altmeister Dante Spinotti taucht die Bilder entweder in eine fast pop-moderne Atmosphäre, in ein farbenfrohes, helles Licht, oder er stellt die Figuren in eine neongetränkte düstere Umgebung, etwa wenn Wigand in seinem Hotelzimmer stumm und unbeweglich, verzweifelt an seine Kinder (und an Selbstmord) denkt.

Gefahrensituationen inszeniert Mann hier nicht über actiongeladene Abläufe. Typisch dafür ist etwa eine Szene, in der Wigand abends auf dem Golfplatz unter Scheinwerferlicht übt und ein Mann, der ihn offenbar beobachtet, ca. 50 Meter hinter ihm im Anzug den Golfball schlägt. Die Situation ist ungewiss. Wird der Mann im Anzug ihn überfallen, beobachtet er Wigand nur oder hat er mit der Sache nichts zu tun? Für Mann ist Stille ein zusätzliches Mittel, um Spannung zu erzeugen, und manchmal erinnert das an Hitchcock. Die Gegenseite, der Tabakkonzern und seine Vertreter, bleiben fast völlig im Hintergrund, werden nicht sichtbar gemacht, es sei denn über Spekulationen, die Wigand in bezug auf Verfolger hat. Es bleibt allerdings auch hier immer unklar, ob Wigand sich dies nur einbildet oder er tatsächlich observiert wird.

Pacino und Crowe stehen im Mittelpunkt dieses Thrillers, der zugleich Drama ist, und werden durch eine Reihe hervorragender Darsteller in Nebenrollen überzeugend unterstützt. Zu nennen sind hier insbesondere Christopher Plummer, der zwei, drei ausgezeichnete Auftritte absolviert, Diane Venora als Wigands Frau, Philip Baker Hall und Bruce McGill, der als weiterer Anwalt bei der Anhörung Wigands glänzt. Ein Fazit erübrigt sich angesichts solcher Begeisterung, oder? Allerdings muss man Michael Manns Art des Filmens wirklich mögen. Auch sein „Manhunter“ (1986) stiess auf ein geteiltes Echo, und seit Ratners „Roter Drache“ (2002) streiten sich die Gelehrten, welche Adaption des Harris-Stoffs denn nun besser ist. „The Insider“ ist spannend und Mann bleibt strikt bei der Devise: Geschichte und Personen sind das wichtigste, das Technische hat beiden zu dienen. Crowe und Pacino sind jeder auf seine Weise einmalig, so dass ich jedenfalls die 157 Minuten nicht als irgendwie strapaziös empfunden habe.

Ulrich Behrens

The Insider

USA

1999

-

157 min.

Regie: Michael Mann

Drehbuch: Eric Roth, Michael Mann, nach einem Artikel von Marie Brenner in „Vanity Fair“

Darsteller: Al Pacino, Russell Crowe, Christopher Plummer

Produktion: Michael Mann, Pieter Jan Brugge

Musik: Lisa Gerrard, Pieter Bourke

Kamera: Dante Spinotti

Schnitt: William Goldenberg, Paul Rubell, David Rosenbloom