Slalom Ein Leben voller Opfer

Kultur

In „Slalom“ träumt eine 15-Jährige von einer Karriere als Skiläuferin und kommt dabei ihrem manipulativen Lehrer immer näher.

Das französische Sportler-Drama spielt in dem Ski-Ressort Bourg-Saint-Maurice.
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Das französische Sportler-Drama spielt in dem Ski-Ressort Bourg-Saint-Maurice. Foto: Florian Pépellin (CC BY-SA 4.0 cropped)

12. Januar 2021
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Der Film ist einerseits typisches Coming-of-Age-Jugenddrama, kombiniert das aber mit einer Missbrauchsthematik, wenn sexuelles Erwachen mit dem Überschreiten von Grenzen einhergeht.

Für die 15-jährige Lyz (Noée Abita) scheint ein Traum wahr geworden zu sein: Sie wurde an einer exklusiven Schule in den französischen Alpen aufgenommen, wo die Skiprofis von morgen trainiert werden. Anfangs tut sich die Jugendliche etwas schwer in dem sehr von Wettbewerben und Konkurrenzdenken geprägten Umfeld. Doch nach und nach gelingt es ihr, sich durchzusetzen und erste Erfolge einzufahren. Das führt dann zwar zu ersten Verwerfungen mit den anderen Schülern und Schülerinnen, lässt sie dafür aber Fred (Jérémie Renier) näherkommen, der früher selbst Profisportler war und nun unterrichtet. Näher, als sich Lehrer und Schülerin kommen sollten …

Wie viel bin ich bereit, für meinen Traum zu opfern? Kann ich als junger Mensch überhaupt ein normales Leben führen, wenn es mein Ziel ist, in einem hart umkämpften Berufsfeld Karriere zu machen? In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Filmen um Jugendliche, die eine künstlerische Laufbahn einschlagen. Vor allem der musikalische Bereich wurde oft in all seiner Gnadenlosigkeit dargestellt, siehe etwa Nocturne, Prélude und vor allem Whiplash. Filme, in denen auf angehende Künstler und Künstlerinnen ein derart hoher Druck aufgebaut wird, bis sie an diesem entweder zerbrechen oder die Reissleine ziehen. Wer es dort zu etwas bringen will, muss bereit sein, ständig zu trainieren, das Privatleben aufzugeben, alles andere zu opfern.

Ein Leben voller Opfer

Zumindest anfangs sieht es etwas danach aus, als wäre Slalom das Sportpendant zu diesen Filmen. Der Ton ist rau an der Schule, die Erwartungen hoch. Wer nicht die notwendigen Leistungen bringt, wird von anderen verspottet und schikaniert. Vor allem aber Fred trägt dazu bei, dass diese Laufbahn nicht so wirklich erstrebenswert erscheint. Seine Vorstellung von Pädagogik beschränkt sich darauf, die jungen Menschen zu terrorisieren und zu brechen. Positive Hilfestellung für das Leben? Nicht mit ihm. Das macht ihn zum natürlichen Antagonisten, zumal das Drehbuch ihm keinerlei gewinnenden Eigenschaften zugesteht. Jérémie Renier (Der andere Liebhaber) interpretiert ihn als skrupelloses Monster, frei von jeglichem Charme.

Aber manchmal braucht man diesen auch nicht, um Gefühle zu entwickeln. Fred ist gutaussehend, Lyz in dem Alter, in dem sexuelle Bedürfnisse sich zunehmend breitmachen. Was mit einem flüchtigen scheuen Blick beginnt auf den unter der Dusche stehenden Lehrer wird bald zu mehr. Wobei Regisseurin und Co-Autorin Charlène Favier die Annäherung als einen gegenseitig Prozess aufzeigt, in dem beide aktiv sind. Eine eindeutige Verurteilung des Trainers, der hier Grenzen überschreitet, liefert sie nicht mit. Sie überlässt es dem Publikum, eigene Schlüsse zu ziehen und einen Standpunkt zu entwickeln, zeigt uns eine Welt, die nicht nur geografisch isoliert ist und sich eigene Regeln aufbaut.

Zwischen Neugierde und Missbrauch

Slalom steht dabei einerseits natürlich schon in dem Kontext der #MeToo-Diskussion um die auch sexuelle Ausbeutung von Frauen durch Männer in Machtpositionen. Man muss dafür noch nicht einmal ein einflussreicher Millionär sein. Es reicht, wenn die Frau in einer gewissen Abhängigkeit steht. Während Fred dabei eher schematisch gehalten ist, mehr ein Symbol als eine wirkliche Figur, wird Lyz in all ihrer Widersprüchlichkeit aufgezeigt. Sie bringt die Neugierde des Alters mit, die damit verbundene Entdeckerlust, aber auch die Orientierungslosigkeit und den noch immer beschränkten Horizont. Über vieles ist sie sich noch gar nicht bewusst, weiss nicht, was es bedeutet, wird es erst viel später nachvollziehen.

Noée Abita, die schon vor drei Jahren in Ava begeisterte, überzeugt hier erneut, spielt zum zweiten Mal in einem interessanten Coming-of-Age-Film die Hauptrolle. Slalom, das auf mehreren Filmfesten lief, darunter die Hofer Filmtage 2020, nutzt diese individuelle Entwicklungsgeschichte jedoch, um auch eine gesellschaftliche Komponente und grundsätzliche Fragen einzubauen. Das Jugend- und Sportdrama führt vor, wie Jugendliche schnell in etwas hinabgleiten können, was sie auf ewig prägen wird, ohne dass Schutzmechanismen greifen. Ob Lehrer oder die eigene Mutter, da ist niemand, der sie vor dem Abgrund bewahrt. Dass dies vor einer so idyllischen Aussicht wie der Berglandschaft geschieht, mit einem weissen Schnee als Symbol der Unschuld, macht diese Erfahrung natürlich noch ein Stück weit bitterer.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Slalom

Frankreich

2020

-

92 min.

Regie: Charlène Favier

Drehbuch: Charlène Favier, Marie Talon

Darsteller: Noée Abita, Jérémie Renier, Marie Denarnaud

Produktion: Edouard Mauriat

Musik: LoW Entertainment

Kamera: Yann Maritaud

Schnitt: Maxime Pozzi-Garcia

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.