Manhunter The lacks of culture

Kultur

23. Januar 2020

Michael Manns erste filmische Adaption des Romans von Thomas Harris hat nicht gerade eine überwältigende Anhängerschaft gefunden.

Der US-Filmregisseur Michael Mann im Juli 2014 in San Diego.
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Der US-Filmregisseur Michael Mann im Juli 2014 in San Diego. Foto: Gage Skidmore (CC BY-SA 2.0 cropped)

23. Januar 2020
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Aber so ist das mit Manns Filmen: Sie sprechen eine sehr eigene Sprache, und vor allem zählt bei ihnen das, was in der Werbebranche der „Look“ genannt wird. Der Verdacht, der Look stehe über dem Plot, ist für so manchen Betrachter dann schon fast unumstössliche Wahrheit. Aber der Look ist bei Michael Mann nie Selbstzweck. Er dient, und zwar Plot und Charakteren, so auch in „Manhunter“, den ich der Version „Roter Drache“ (2002) von Brett Ratner vorziehe.

FBI-Agent Will Graham (William L. Petersen) hat sich nach traumatischen Erfahrungen während der Fahndung nach und der Festnahme des psychopathischen Killers und Ex-Psychiaters Dr. Hannibal Lecktor (Brian Cox) aus dem Dienst zurückgezogen. Er lebt mit seiner Frau Molly (Kim Greist) und seinem Sohn Kevin (David Seaman) friedlich und abgeschieden in Florida. Sein alter Kollege beim FBI und Freund Jack Crawford (Dennis Farina) besucht ihn eines Tages und bittet ihn inständig um seine Hilfe. Ein psychopathischer Mörder hat zwei Familien bestialisch ermordet. Der Killer „arbeitet“ immer bei Vollmond, und Jack hat nur knapp einen Monat Zeit, um auf seine Spur zu kommen.

Will fühlt sich gezwungen, Crawford zu helfen, obwohl er Angst hat, wieder in eine Situation wie vor Jahren zu geraten, als er sich emotional in die Situation Lecktors hineinversetzte und darüber krank wurde. Er inspiziert das Haus der Familie, die zuletzt ermordet wurde, macht sich Notizen, besucht auch das Haus der anderen Familie und stösst dort auf ein chinesisches Glückszeichen an einem Baum, von dem aus der Mörder seine Opfer beobachtet haben muss: das Symbol für einen roten Drachen. Graham arbeitet akribisch, geht jeder noch so kleinen Spur nach, setzt die besten Experten ein, um das Profil des Täters zu ermitteln.

Das allein jedoch bringt Will nicht weit genug an eine mögliche Identifizierung des Mörders heran. Er entscheidet sich, Lecktor um Hilfe zu ersuchen, der in einem Hochsicherheitstrakt seine Strafe verbüsst. Lecktor liest die Ermittlungsakte und versucht, heimlich Kontakt mit seinem Anhänger aufzunehmen. Es gelingt ihm zudem, die Adresse von Grahams Familie durch einen verschlüsselten Text auf Klopapier an die Zahnfee – so nennen Leute vom FBI den bislang unbekannten Serienkiller, weil er in den getöteten Frauen Bissabdrücke hinterlässt – weiterzugeben.

Will und Jack versuchen, dem Unbekannten über den skrupellosen Journalisten Freddy Lounds (Stephen Lang) eine Falle zu stellen. Aber das misslingt nicht nur; Lounds wird zudem von Dollarhyde (Tom Noonan) – so heisst der Killer – gekidnappt und als brennendes Fanal dem FBI zurückgeschickt. Dollarhyde hat sich derweil mit der blinden Reba (Joan Allen), die in einem Fotolabor arbeitet, angefreundet. Die Zeit drängt und Jack und Will müssen sich einiges überlegen, um nicht die nächste Familie brutal ermordet vorzufinden ...

Mann spielt mit Farben, Schnitten, Musik und visuellen Effekten. Er inszeniert ein Drama, einen Thriller, der eine ganz andere Atmosphäre erzeugt als Brett Ratners „Roter Drachen“. Schon die Anfangsszene, die in der Schlussszene wieder aufgenommen wird, taucht Mann in Farben, die visuell Erinnerungen an die 60er Jahre hervorrufen. In der ersten Szene sitzen Will und Jack am Meer, wie in einer Werbeszene von Nivea; und tatsächlich wird hier geworben. Jack wirbt um Wills Mitarbeit. In der letzten Szene sieht man Will, Molly und Kevin wieder am Strand in denselben Farben, warme Farben, doch zugleich trügerische Farben, die ihre Wärme nur dem Umstand zu verdanken scheinen, dass sie den Schrecken übertünchen. Man hat den Horror der vergangenen Wochen hinter sich gelassen, aber am Schluss von „Manhunter“ ist so klar wie nur klar sein kann: Der Horror kann wieder kommen.

Zu diesen „friedlichen“ Farben gehört auch das Blau, mit dem eine Liebesszene zwischen Will und Molly sowie nächtliche Szenen im Haus der Grahams bedacht werden. Lecktors Zelle ist in grelles, monotones Weiss getüncht, durchbrochen nur von einigen farbigen Gegenständen, einem Buch in knalligem Lila etwa. Der Look, der „Manhunter“ damit verpasst wird, ist kein Selbstzweck. Mann hat immer versucht, die Bedeutung von Werbung für unsere Kultur auf einer anderen Ebene zu diskutieren bzw. zu visualisieren, als dies üblicherweise geschieht (z.B. auch in „The Insider“, 1999, „Heat“, 1995, und „Ali“, 2001). Werbung eben nicht nur als Werbung, sondern als eine auch ausserhalb davon stehende Eigenschaft unserer Kultur, dem Authentischen eine Maske zu verpassen, weil „das Authentische“ eben „als solches“ nicht existiert.

Es liegt nicht einfach verborgen hinter einer Fassade, die es nur einzureissen gilt; diese Illusion erzeigt nur der analytische Verstand. Das Authentische kann nur als eine solche „Fassade“ erscheinen, ansonsten bleibt es unsichtbar und nicht ergründbar. So, wie wir Kleider am Leib tragen, um unsere Blösse zu verdecken, kaschieren wir unser „So-Sein“. Allgemein kann man dies als Akt der Zivilisierung bezeichnen, der vor allem für die „anthropologischen Konstanten“ in unserer Kultur gilt. Wir „zwängen“ unsere elementaren Bedürfnisse und Notwendigkeiten in die Form der (zivilisierten) Kultur. Das mag jetzt negativ klingen, ist aber gar nicht so gemeint.

Sobald allerdings innere Konflikte auftreten, die dem Individuum das Leben schwer machen, und Emotionalität sich in psychischen Sackgassen verfängt, kommen wir an einen Punkt, an dem Entscheidungen gefragt sind: Kann ich destruktiven Tendenzen widerstehen, sie in den Griff und Begriff bekommen und mit ihnen leben, ohne dass sie mich letztlich zerstören, oder reagiere ich psychopathisch. Diese Entscheidung kann nie rein auf den einzelnen und vom einzelnen getroffen werden; dazu sind wir zu sehr in Gesellschaft. Die psychopathische Reaktion ist der („krankhafte“) Versuch, das Authentische in einer Art Rückgriff auf Urgewalten, das Archaische, bar jeder Kaschierung durch Kultur zurückzugewinnen. Das kann nur gewaltsam versucht werden.

Lecktor ist die intellektuelle Antwort auf die lacks of culture. Welche Gründe ihn dazu treiben, bleibt verborgen. Dollarhyde rächt sich an immer den gleichen Frauentypen für Lacks in seiner Biografie (Verhältnis zur Mutter). Sein Verhältnis zu den beiden Frauen, die er tötet, ist zwiespältig: Er will sie (das heisst seine Idee von Frau) lieben und von ihnen geliebt werden. Aber er kann sie nicht lieben, weil sie ihn nicht lieben (analog seiner Mutter). Und dann trifft er auf Reba, die er sehen kann, die ihn – weil blind – aber nicht sehen kann. „Die Sehnsüchte liegen in den Spiegeln verborgen“, erkennt Will Graham, als er die Glasscherben findet. Dollarhyde wollte sich in seiner Mutter spiegeln, das bedeutet, seine Individualität anerkannt sehen durch den ersten Menschen, der einem Kind etwas bedeutet. Diese unabdingbare Voraussetzung und Bedingung von Menschsein, Subjekt sein, ist bei Dollarhyde nicht erfüllt worden.

Er entwickelt unendlichen Hass und unendliches Verlangen zugleich. In Reba glaubt er für kurze Zeit, der Möglichkeit, seine Sehnsüchte stillen zu können, näher zu kommen. Er erfüllt Reba einen Traum: Sie streichelt einen betäubten Tiger, dem ein Zahn gezogen werden soll. So, wie für Reba das gefährliche Raubtier zu einem zeitweilig harmlosen Kätzchen wird – Reba bezwingt die Wildheit –, ist die blinde Reba – so scheint es – kurzzeitig für Dollarhyde die ungefährliche (weil blinde) Frau, die reine, authentische, unschuldige Frau – er bezwingt die „Frau als Idee“. Als er Reba mit einem Kollegen an der Haustür sieht – sie küssen sich zum Abschied –, zerbricht für Dollarhyde diese Möglichkeit. Es bleibt für ihn nur noch die Gewalt. Die „Idee der authentischen Frau“ zerbricht als vertrackte Illusion.

Will Graham kennt diese psychopathische Reaktion, nicht aus Lehrbüchern, sondern weil er sich in die Gefühlswelt von Lecktor und Dollarhyde hineinversetzt hat. Graham steht auf der „Kippe“. Er kennt das Risiko, in das er sich begibt; er weiss um die Gefahren für seine Familie. Er wird mit den Fragen seines Sohnes konfrontiert, der Angst hat, als er aus den Zeitungen erfährt, dass sein Vater in psychiatrischer Behandlung war. Die Angst dringt ein in die Familie Graham.

Lecktor (hier statt Lecter) bleibt – im Gegensatz zu der Trilogie „Das Schweigen der Lämmer“, „Roter Drache“ und „Hannibal“ – in „Manhunter“ scheinbar im Hintergrund. Das hat seinen Grund darin, dass Michael Mann zwar mit Elementen des Thrillers und Horrors arbeitet, aber die psychologische Tiefe in den Vordergrund stellt. Lecktor bleibt auch in diesem Film eine zentrale Figur, weil er die Fäden zieht und Dollarhyde, seinen „Fan“, kontaktiert und ihm die Adresse der Grahams verschlüsselt mitteilt.

„Manhunter“ ist ganz anders strukturiert als Ratners „Roter Drache“, der vor allem Horror und Thriller ist. Mann inszeniert Horror und Furcht, Schrecken und Angst als Permanenz. Die Schlusssequenz des Films – die Familie Graham am Meer in den bunten Farben, die wieder an den Look von Werbung erinnert – ist nur ein bedingtes Happyend. Der Horror ist bei Mann zeitlos und lauert weiterhin, noch unbekannt, noch nicht wieder personifiziert, aber in Wartestellung. Dollarhyde wird einen Nachfolger haben. Ein trügerischer Frieden.

Ulrich Behrens

Manhunter

USA

1986

-

109 min.

Regie: Michael Mann

Drehbuch: Michael Mann

Darsteller: William L. Petersen, Brian Cox, Joan Allen

Produktion: Dino De Laurentiis, Richard A. Roth

Musik: Michel Rubini

Kamera: Dante Spinotti

Schnitt: Dov Hoenig