Roter Drache Spannender Aufguss, aber auch nicht mehr

Kultur

„Roter Drache“ erfüllt all unsere Erwartungen an ein Sequel. Er ist durchschaubar, glasklar. Das ist sozusagen gleichzeitig das Problem solcher Filme.

Anthony Hopkins, Juni 2012.
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Anthony Hopkins, Juni 2012. Foto: Towpilot (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

5. August 2022
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Die Box konnte gefüllt werden – die DVD-Box mit „Das Schweigen der Lämmer“, „Hannibal“ und eben dann „Roter Drache“. Die angebliche Fortsetzungsgeschichte erwies sich allerdings als trügerisch. Denn Brett Ratners ganzkörpertätowierter Psychopath mit den Spiegelscherben hat mit den anderen beiden Filmen ebensowenig zu tun wie Lecter selbst, der nur noch eine Ahnung davon vermittelt, dass es einmal „Das Schweigen der Lämmer“ gab. Und: Fortsetzung von was eigentlich? Nein, „Red Dragon“ ist eine der Sequels, die vor allem die Kasse der entsprechenden Industrie füllen wird. Nun mag man einwenden, dass dies über die Qualität des Films noch nichts aussage. Richtig. Und wenn man bedenkt, dass Ratner mit „Money Talks“ (1997), „Rush Hour“ zum ersten und zum zweiten (1998, 2001) einen ganz anderen Geschmack bedient hat, ist „Red Dragon“ im Verhältnis dazu eine wahre Leistung.

Ein Konzertsaal. Lalo Schifrin dirigiert. Die Kamera schwenkt in das Publikum. Hannibal Lecter (Anthony Hopkins) schaut mit seinem ihm typischen Grinsen Richtung Orchester. Die Kamera zeigt einen Flötisten. Szenenwechsel. Lecter serviert Gästen ein superbes Mal. Was die Herrschaften (noch) nicht wissen: Es setzt sich aus den Innereien und einigen anderen köstlichen Teilen des verschwundenen Flötisten zusammen.

Lecter erhält wenig später Besuch von FBI-Agent Will Graham (Edward Norton), der ihn um Rat in einem Mordfall fragt. Er entdeckt ein Kochbuch bei Lecter. Der weiss nun Bescheid, dass Graham Bescheid weiss, und stösst ihm ein Messer in den Bauch. Graham, schwer verletzt, kann Lecter trotzdem überwältigen.

Lecter wird verhaftet, verurteilt und in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht. Graham überlebt und zieht mit Frau (Mary-Louise Parker) und Kindern nach Florida, quittiert seinen Dienst und repariert Bootsmotoren.

Jahre später. Irgendein Psychopath – wie sich herausstellt: ein Mr. Dolarhyde, der rote Drachen – hat zwei Familien bestialisch ermordet. Grahams früherer Chef Jack Crawford (Harvey Keitel) bittet Graham, der sich in die Gedankenwelt von Serientätern hineinversetzen kann wie kein anderer, um Hilfe. Graham schliesst angesichts der Umstände der Taten darauf, dass der Mörder es hauptsächlich auf die Mütter abgesehen hatte. Zudem drückte er den Opfern Glasscherben in die Augen. Die Taten wurden bei Vollmond begangen, so dass Graham und Crawford nur wenig Zeit bleibt. Crawford schlägt vor, Graham soll Lecter zu Rate ziehen ...

Der gute alte Rainer Werner Fassbinder hat zu seiner Art, Filme zu drehen, einmal gesagt: „Was ich möchte, ist ein Hollywood-Kino, also ein Kino, das so wunderbar und allgemeinverständlich ist wie Hollywood, aber gleichzeitig nicht so verlogen“ (RWF, Werkschau Programm, Berlin 1992, S. 204). „Red Dragon“ ist ein Musterbeispiel für die Mechanismen, die Hollywood verwendet. Eines ist sicher: Der Film ist (zumeist) spannend, wenn auch vielleicht etwas zu lang. Die Schauspieler agieren routiniert, nicht nur Anthony Hopkins, der in die Rolle Lecters geradezu hineingewachsen zu sein scheint (auch ein Problem), sondern auch Edward Norton, Ralph Fiennes und vor allem Emily Watson. Man könnte auch sagen: Das, was sie spielen, spielen sie in Massen ganz gut. Aber was spielen sie eigentlich?

Die Spannung zum Beispiel erzeugt Ratner zum erheblichen Teil über Effekte. Als Norton über Fotos der beiden Mordfälle sitzt und überlegt, setzt Ratner plötzlich die Musik derart ein, dass man zusammenzuckt. Aber nicht ein Mörder betritt Grahams Zimmer; er hat einen Gedankenblitz aufgrund eines der Fotos. Die Dialoge zwischen Graham und Lecter basieren auf einem Betrug. Lecters Gefühle gegenüber Graham bestehen in einer Mischung aus Bewunderung (weil er ihn festgesetzt hat) und Verachtung (weil er sich Graham trotzdem überlegen fühlt; er lässt ihn seine Verachtung spüren, indem er ihn z.B. auf sein angeblich unangenehmes Rasierwasser verweist). Soweit so gut. Nur ist von vornherein klar, dass Lecter Graham helfen wird. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Der ganze Film beruht auf dieser Voraussetzung. Insofern ist Grahams Standhaftigkeit gegenüber Lecter lediglich ein dramaturgischer Effekt, der absolut nichts besagt. Klar ist auch, dass Lecters Hilfe gepaart sein wird, seinem „Schüler“ da draussen Hinweise zu geben, wie der weitermachen kann. Klar ist auch, dass Lecter die Situation auszunutzen versuchen wird, um sich in der ihm eigenen Art an Graham zu rächen. Eigentlich ist von Anfang an alles ziemlich klar.

Der Film hangelt sich von einer Szene zur nächsten und versprüht nur eine Ahnung von Atmosphäre, hat aber keine. Es fehlt an dem, was ich die Eingebundenheit des Publikums in Handlung und Charaktere nennen würde. Lecter scheint der alte zu sein. Aber auch das ist nur Schein. Hopkins lebt sozusagen von der vorgeschriebenen Rolle in „Das Schweigen der Lämmer“. Nur, von diesem feinfühligen, erschreckenden Charakter bleibt in „Red Dragon“ nicht viel übrig als der Hauch einer Ahnung. Hopkins Lecter hat seinen Reiz verloren. Das, was er spielt, wissen wir entweder schon oder es erschöpft sich in einem weiteren Betrug: Lecters typisches Grinsen, sein Intellekt, seine elegante Art – das alles verkommt mehr zu einer Assoziation an „Das Schweigen der Lämmer“, dass es zur atmosphärischer Dichte beitragen würde.

Die beiden FBI-Agenten Norton und Keitel, zwei hervorragende Schauspieler, schlafwandeln durch den Film, als wenn es nicht um Serienmord, sondern um die Aufklärung einer Serie von Ladendiebstählen gehe. Sie spielen routiniert, aber ohne Ambition, etwas wirklich Neues zu kreieren. Wie auch, bei dem Drehbuch?

Über Ralph Fiennes Psychopathen weiss man schon ganz früh Bescheid. Einer, der missbraucht und erniedrigt wurde und in dem sich ein Frauenbild verfestigt hat, das ihn zum Mord treibt – an Familien, deren Väter und Kinder er von ihrem Leid erlöst und deren Mütter er büssen lässt – oder so ähnlich. Diese psychologische Konstruktion ist nicht sehr neu und daher auch nicht besonders spannend. In Emily Watson als blinder Reba McClane stösst Dolarhyde „zufällig“ – auch so ein dramaturgischer Betrug, der die Geschichte voranbringen, sprich: den Ermittlern Zeit verschaffen soll – auf eine Frau, die seinem verinnerlichten Bild des anderen Geschlechts überhaupt nicht entspricht. Die Blinde und der Psychopath, nicht nur hier bedient sich Ratner einem filmischen Vorbild: Audrey Hepburn in „Wait Until Dark“ („Warte, bis es dunkel ist“, USA 1967).

Gegenüber Reba wird Dolarhyde zum zahmen oder besser: vorübergehend lahmgelegten, friedlichen Mann, der sie sogar in den Zoo mitnimmt, weil sie Tiere so gerne mag, wo sie einen gerade betäubten Tiger streicheln darf. (Dem greift sie an die Genitalien. Was soll das? Ist es ihr Herzenswunsch nach Sex, den sie Dolarhyde auf diese Weise vermitteln will?) Allerdings hat der Film in diesen Szenen der Beziehung zwischen der nichts ahnenden Reba, die von dem wenig kommunikativen Psychopathen fasziniert ist, weil er ihr so ganz anders erscheint als die anderen Männer, die sie kennt und die hinter ihr her sind, und Dolarhyde seine besten Momente, wenn Fiennes in eine für ihn unerträgliche Situation kommt: Er will den roten Drachen als Symbol für seine Taten los werden, kann andererseits aber von seinem Empfinden nicht ablassen. Er konzentriert sich auf Grahams Familie – auch ein dramaturgischer Kniff, der fast von Anfang an bekannt ist.

„Roter Drache“ erfüllt all unsere Erwartungen an ein Sequel. Er ist durchschaubar, glasklar. Das ist sozusagen gleichzeitig das Problem solcher Filme (zumal die Geschichte 1986 von Michael Mann in „Manhunter“ schon einmal (überzeugender) inszeniert wurde). Ratner hat aufgegossen, spannend zumeist, routiniert, nach dem Motto „Keine Experimente“, handwerklich „perfekt“. Und der Showdown geizt zwar auch nicht mit allerhand neuen Ideen, ist aber trotzdem spannend gemacht. Zwei Stunden Kino, um sich zu unterhalten, ist ja auch was wert. Und so leben wir eben mit Hollywood, wie wir es immer (oder zumeist) getan haben.

Ulrich Behrens

Roter Drache

USA

2002

-

124 min.

Regie: Brett Ratner

Drehbuch: Ted Tally

Darsteller: Anthony Hopkins, Edward Norton, Ralph Fiennes

Produktion: Dino De Laurentiis, Martha De Laurentiis

Musik: Danny Elfman

Kamera: Dante Spinotti

Schnitt: Mark Helfrich