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Letzte Runde

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Letzte Runde Eine letzte Tat für Jack

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Kultur

„Letzte Runde“ ist aus mehreren Gründen ein aussergewöhnlicher Film.

Der australische Regisseur Fred Schepisi in San Francisco, 1984.
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Der australische Regisseur Fred Schepisi in San Francisco, 1984. Foto: Nancy Wong (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 22. Februar 2023
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Entgegen allen Trends zu Action und Effekten drehte der australische Regisseur Fred Schepisi eine ruhige, dialog- und charakterbestimmte Studie über vier Männer, eine Frau und ihre Erinnerungen. Zu diesem Zweck beschäftigte er die Creme de la Creme der britischen Schauspielerzunft. Und zum dritten hatte er das Glück des Tüchtigen. Denn Graham Swift war bei der Auswahl des richtigen Regisseurs für eine Adaption seines Romans sehr wählerisch, weil er befürchtete, man könne seine Geschichte verhunzen. Leider verliert der Film in der synchronisierten Fassung an Reiz. In der Originalfassung sprechen die Schauspieler jenes Cockney, das selbst für Engländer, die „Her Majesty's English“ sprechen, oder Amerikaner oft schwer verständlich ist.

Ray (Bob Hoskins), Jack (Michael Caine), Vic (Tony Courtenay) und Lenny (David Hemmings) sind seit Jahrzehnten miteinander befreundet. Aufgewachsen im Osten Londons trafen sie sich regelmässig in ihrer Stammkneipe Coach & Horses. Jetzt ist einer von ihnen gestorben, Jack, der Metzger, der mit Amy (Helen Mirren) verheiratet war, und der in seinem Testament verfügt hat, man solle seine Asche im Meer bei Margate verstreuen. Dort hatte Jack mit Amy nach dem Krieg die Flitterwochen verbracht; dort wollte er ein kleines Haus kaufen und sich mit Amy zur Ruhe setzen. Amy will an diesen Ort nicht wieder zurück. Sie bittet Ray, Jacks letzten Willen zu erfüllen. Und so machen sich Ray, Vic, Lenny und Jacks Sohn Vince (Ray Winstone), von Beruf Autohändler, mit dem Auto auf nach Margate.

Schepisi drehte einen Road-Movie der besonderen Art. Die beeindruckenden Bilder von Brian Tufano zeigen vier Männer und eine Frau, die anlässlich des Todes ihres geliebten Freundes Jack in Erinnerungen schwelgen. Dieses Erinnern ist aber keine seichte Nostalgie, keine Verklärung der Vergangenheit, kein rührseliger Kitsch. Behutsam und zugleich kompromisslos enthüllt sich in den Erinnerungen sowohl eine tiefe Freundschaft, als auch die Tragik von Ereignissen, die das Leben der Handelnden bestimmte. Schepisi setzt auf diese Weise, unterstützt durch geschickt gesetzte Rückblenden, ein Gesamtbild ihres Lebens zusammen – wie in Puzzle –, das uns die Biografien verständlich und durchschaubar macht, ohne aufdringlich oder gekünstelt zu wirken.

Jack, der Metzger, und Amy haben eine geistig behinderte Tochter, June (Laura Morelli), die seit 50 Jahren in einem Heim untergebracht ist. Während Amy sie fast jede Woche dieser vielen Jahre besucht hat, hat Jack June nie akzeptiert. Kein Besuch. Er wollte sie aus seinem Gedächtnis streichen. Für Amy eine doppelte Katastrophe: Ihr Mann verleugnete June, und June hat mit ihr aufgrund ihres Zustandes nie ein Wort gesprochen. Amy weiss nicht einmal, wie ihre Besuche auf die Tochter gewirkt haben. Sie sprach mit ihr, bekam aber nie eine Antwort. Vince, den Jack und Amy gross zogen, ist nicht beider leiblicher Sohn. Sie holten ihn aus einem brennenden Haus, seine richtigen Eltern kamen bei dem Brand um. Jacks Herzenswunsch war es, dass Vince einmal sein Geschäft übernimmt. Doch Vince wollte dies nie.

Dann ist da noch die Geschichte zwischen Amy und Ray. Jack und Ray hatten sich im Krieg kennen gelernt. Amy hatte später eine heimliche Beziehung zu Ray, diesem gutmütigen, liebevollen Mann, dessen Frau ihn verlassen hatte.

Weitere Geheimnisse werden auf der Fahrt nach Margate gelüftet. Die Urne mit der Asche von Jack wechselt von einem zum anderen, während Amy ihre Zeit bei June verbringt und darüber nachdenkt, wo die vier Männer sich wohl gerade befinden. Nein, nein, das ist nicht Jack in der Urne. Sie lächeln, wenn sie die Urne anschauen, oder weinen heimlich: Ray verschwindet auf der Toilette, er erinnert sich daran, wie Jack im Krieg ihm das Leben gerettet hat.

Immer wieder ins Zentrum ihrer Erinnerungen rückt Coach & Horses, wo die vier alten Männer und Vince Stunde um Stunde bei viel Bier und Whisky verbracht hatten, wo immer einer die letzte Runde zahlen musste, bevor sie nach Hause torkelten. Nun drehen sie die letzte Runde für Jack. In Margate angekommen stehen die Männer am Kai und schauen auf das Meer – eine überwältigende Szene in diesem Film, in der mir diese Männer unheimlich nah waren. Dank Schepisi.

Bob Hoskins, als ständig nach Bier dürstender Mann, der beim Pferderennen wettet und Wohnmobile liebt, Michael Caine, der überraschenderweise als Metzger genauso überzeugend ist wie in anderen, gewohnten Rollen, der ruhige Tom Courtenay und David Hemmings, der Fotograf aus „Blow Up“, spielen diese vier unterschiedlichen Freunde mit einer unnachahmlichen Kraft und Lebendigkeit, mit fesselndem Charme und einer guten Portion Humor. Selbst im Streit ist man sich bewusst, dass ihre Freundschaft unzerstörbar ist. Helen Mirren ist einfach Helen Mirren, eine Schauspielerin, die sich ganz offensichtlich sehr sorgfältig ihre Rollen auswählt. Die Szenen mit Laura Morelli als June oder auch mit Bob Hoskins, wenn beide auf der Bank sitzen und erzählen oder in Rückblenden sich an ihre heimlichen Treffen erinnern, sind phantastisch.

Ein Lob gilt auch den Schauspielern, die für die Jugendjahre von Ray, Vic, Lenny und vor allem Jack ausgewählt wurden. J. J. Feild sieht nicht nur annähernd wie der jungen Michael Caine aus, ihm gelingt auch in Verhalten und Mimik eine überzeugende Verbindung zur Rolle des alten Jack.

Insgesamt ein überzeugender „Wurf“ Fred Schepisis, bestimmt nicht jedermanns Geschmack, aber zwischen dem ganzen Lärm des Mainstream-Kinos eine wohltuende und nahe gehende Geschichte mit wirklich exzellenten Schauspielern. Ein Film zum Lachen, Schmunzeln und Weinen.

Ulrich Behrens

Letzte Runde

England, Deutschland

2001

-

109 min.

Regie: Fred Schepisi

Drehbuch: Fred Schepisi

Darsteller: Michael Caine, Tom Courtenay, David Hemmings

Produktion: Nik Powell

Musik: Paul Grabowsky

Kamera: Brian Tufano

Schnitt: Kate Williams