Homeboy Kampf gegen den Körper

Kultur

Michael Seresins „Homeboy“ ist ein tolles Sportlerdrama und grosses Schauspielerkino.

Mickey Rourke am Toronto Film Festival 2008.
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Mickey Rourke am Toronto Film Festival 2008. Foto: gdcgraphics (CC-BY 2.0 cropped)

23. August 2023
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Mit einem tollen Ensemble und einem Drehbuch, welches mit glaubhaften Figuren wie auch vielen berührenden Momenten aufwartet, ist „Homeboy“ ein sehr sehenswerter Film, mit einem Mickey Rourke, der selten besser war.

Schon seit Jahren träumt Johnny Walker (Mickey Rourke) von der grossen Chance im Boxring, doch bisher reichte es nur für Provinzkämpfe, in denen er meist auf die Worte und die Vorgaben abgekarteter Promoter hören musste. Die Erfolglosigkeit nagt an Johnny, der sich mit der Zeit hat sehr hängen lassen, raucht und trinkt sowie generell die Hoffnung auf eine Karriere ausserhalb der Provinz aufgegeben hat. Nach einem Kampf freundet er sich mit dem Kleinganoven Wesley (Christopher Walken) an, der sich mit kleinen Diebstählen und einem Job als Sänger über Wasser hält. Mit Johnny will sich Wesley den Traum von dem einen grossen Coup erfüllen, den er schon seit langem plant und nach dem er sich zur Ruhe setzen will.

Zur selben Zeit lernt Johnny Ruby (Debra Feuer) kennen, der ein Karussell gehört, das sie von ihrem Grossvater geerbt hat. Aus der Bekanntschaft wird mehr und die beiden fühlen sich stark zueinander hingezogen, sodass Johnny beschliesst, die Einnahmen seines nächsten Kampfes in ihre gemeinsame Zukunft zu investieren. Jedoch könnte dieser Kampf auch sein letzter sein, denn nach einem Arztbesuch auf Anraten Wesleys wird diesem mitgeteilt, Johnny leide an einer Schädelfraktur, die, wenn er weiterhin in den Ring steigen will, für ihn tödlich enden kann.

Ein Cowboy und Boxer

Die Idee zu der Geschichte um den erfolglosen Boxer Johnny Walker trug Mickey Rourke schon lange mit sich herum, wie sich beispielsweise sein Co-Star Christopher Walken erinnert, der bereits beim Dreh zu Heaven's Gate von seinem Kollegen von der Idee zu der Geschichte hörte. Schliesslich gab man Rourke, der in den 80er Jahren durch Rollen in Alan Parkers Angel Heart und Adrian Lynes 9 ½ Wochen zu einem enormen Ruhm gelangte, grünes Licht für sein Herzensprojekt, das er mit Michael Seresin, mit dem er schon in Angel Heart zusammengearbeitet hatte, umsetzte. Das Ergebnis ist ein Sportlerdrama über das Verlieren und das Hoffen auf die grosse Chance, im Ring und auch ausserhalb dessen, mit einem Mickey Rourke, der sein ganzes Können in die Rolle des Johnny Walker legt.

Warum die Geschichte des Johnny Walker Rourke so beschäftigte, wird jedem klar, der die Karriere des Darstellers über die Jahre verfolgt hat, ergeben sich doch einige Parallelen. Auch wenn Rourke des Öfteren wegen seines Aussehens als Liebhaber besetzt wurde, so bewies er doch schon immer eine gewisse Vorliebe für die Verlierer und die Aussenseiter, die sich am Rande der Gesellschaft durchschlagen. Mit diesem Etikett hat sich auch Johnny in Homeboy abgefunden, der sich scheinbar treiben lässt, von einem Kampf in den nächsten geht, ohne lange über diese nachzudenken, wobei er seinen Körper langsam aber sicher herunterwirtschaftet. Schon nach wenigen Minuten in einer Bar, ohne etwas getrunken zu haben, verschwimmt die Sicht Johnnys, dargestellt durch entsprechend verzerrte Kamerabilder, die seine Wahrnehmung zeigen sollen, wodurch man weiss, welcher Preis seine Art zu leben von seinem Körper bereits gefordert hat.

Kampf gegen den Körper

So ist der Kampf im Ring nicht mehr nur einer gegen einen Kontrahenten, sondern ein Kampf mit dem eigenen Körper, dem man noch eine Leistung, einen Triumph, mag er auch noch so klein sein, abtrotzen will. Vergleichbar mit anderen Sportlerdramen, welche die Welt des Boxens zeigen, sind die Kämpfe im Ring die Konfrontation mit dem eigenen Ich, den Dämonen, die man in sich trägt, der Angst und der Wut über sich selbst. Rourke weiss, dass sein Johnny daher wenig Wort benötigt, erzählt er seine Geschichte doch mit seinen Fäusten, denn sein Leben definiert sich als ein einziger Kampf, auch ausserhalb des Rings.

Johnnys Kampf ist aber auch einer um Anerkennung und Liebe. Die besondere Leistung eines Darstellers wie Rourke, selbst in aktuellen Rollen, ist diese ungeheure Sensibilität und Verwundbarkeit, die sich in den stillen Momenten einer Geschichte zeigt. Hinter dem zähen Kämpfer ist ein Mensch, der dieses ewige Treiben satt ist, genauso wie Menschen, die ihn und seinen Körper ausbeuten wollen für ihre Zwecke. Das ganze Leid kulminiert in einem kurzen Monolog, der nicht umsonst an Marlon Brandos Rolle in Die Faust im Nacken erinnert, wenn Johnny den Tränen nahe fragt, ob auch aus ihm ein „jemand Grosses“ hätte werden können.

Allerdings soll vor allem Christopher Walkens Leistung nicht unerwähnt bleiben. In seiner Rolle des Wesley beweist Walken sein Talent für moralisch ambivalente Charaktere, die einer klaren Kategorisierung als Antagonist nicht entsprechen und deren Motivation man, selbst die für das Ausnutzen anderer, verstehen kann. Auch Wesley hofft, wie Johnny, auf eine grosse Chance im Leben, was seiner Figur ebenfalls eine gewisse Tragik verleiht.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

Homeboy

USA

1988

-

111 min.

Regie: Michael Seresin

Drehbuch: Mickey Rourke

Darsteller: Mickey Rourke, Christopher Walken, Debra Feuer

Produktion: Elliott Kastner, Alan Marshall

Musik: Eric Clapton, Michael Kamen

Kamera: Gale Tattersall

Schnitt: Ray Lovejoy

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.