Der 24-jährige Kai (Louis Hofmann) lebt mit seiner Frau Ayse (Canan Kir) und der gemeinsamen Tochter Jenny in einer heruntergekommenen Gegend. Obwohl Kai viel arbeitet – wie sein Onkel Andy (Sascha Geršak), bei dem der aufgewachsen ist, schuftet er in einer Fleischfabrik –, reicht das Geld hinten und vorne nicht. Dass sein älterer Bruder Mirko (Franz Pätzold) nun aus dem Gefängnis kommt, ist deshalb eine Hiobsbotschaft. Schliesslich hatte dieser Kai 10.000 Euro gegeben, auf die er aufpassen sollte, während er selbst hinter Gittern sitzt. Und dieses Geld will er nun zurück, ohne zu ahnen, dass es längst ausgegeben wurde. Die Zeit drängt, irgendwie muss der verzweifelte Familienvater an die Summe herankommen …
Romanadaption um zwei ungleiche Brüder
Als 2016 der Roman Fresh von Mark McNay auf den Markt kam, schlug dieser schon grössere Wellen. Der schottische Autor erzählt darin von zwei ungleichen Brüdern, der Arbeit in einer Fleischfabrik und dem Kampf um das Geld. Dass das Buch irgendwann verfilmt würde, war eigentlich klar. Und doch dauerte es im Anschluss viele Jahre, bis das Ergebnis vorliegt. Kenner der Vorlage könnten dabei auch irritiert sein. So wurde in der deutschen Adaption Frisch das Geschehen von einer ländlichen Gegend in Schottland nach Duisburg verlegt, die Figuren wurden an das hiesige Setting angepasst. Das ist insofern überraschend, weil der Roman schon sehr von dem Setting lebte, inklusive dem dort verwendeten Dialekt. Hätte es da unbedingt gebraucht, das alles aufzugeben und ins Deutsche zu übersetzen?Das vielleicht nicht. Regisseur und Drehbuchautor Damian John Harper (In the Middle of the River) gelang es aber mit seinem Team, das Geschehen zu entwurzeln, ohne dem Werk damit nennenswert zu schaden. Noch immer bewegen wir uns in einem Arbeitermilieu, wo der tägliche Kampf ums Überleben nie weit von der Kriminalität entfernt ist. Wobei das Gefühl von Bedrohung in Frisch natürlich auch durch den Bruder bestimmt ist. Der weiss zunächst nichts davon, dass sein Geld weg ist, ausgerechnet vom Protagonisten ausgegeben. Durch den Druck, rechtzeitig die Summe ersetzen zu können, kommt eine Menge Spannung auf. Denn auch wenn nicht ganz klar ist, wie Mirko letztendlich reagieren wird, ist doch früh ersichtlich: Das wird ganz böse enden.
Brutale, bitterböse Bruderballade
Harper erzählt jedoch nicht nur von diesem Wettlauf gegen die Zeit. Frisch ist zugleich eine Milieustudie und das Porträt einer dysfunktionalen Familie. Zu diesem Zweck springt der Film kontinuierlich zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her. Da ist natürlich der Hauptstrang, der mit der Entlassung von Mirko seinen Anfang nimmt. Verbunden werden diese Momente aber mit Rückblicken, die uns mehr über die beiden, ihr Aufwachsen und das Verhältnis verraten.Das ist anfangs etwas verwirrend, da der Film dem Publikum wenig Anhaltspunkte mitgibt und alles kreuz und quer geht. Aber die eigentliche Zumutung wird für andere die Gewalt sein. Zwar gibt es nur eine Handvoll Szenen, bei denen es wirklich explodiert, meistens beschränkt man sich auf eine unheilvolle Atmosphäre. Wenn es dann aber losgeht, geht es richtig zur Sache und man muss da schon etwas hartgesottener sein.
Gewöhnungsbedürftig ist in der Hinsicht auch, dass der Film einerseits ein sehr raues, ungeschöntes Porträt ist, gleichzeitig aber auf eine sehr stylische Inszenierung setzt. Die Settings sind auf diese Weise heruntergekommen und düstern – und doch auch irgendwie schillernd. Aber das trägt zu der ungewohnten Seherfahrung bei. Der Thriller, der auf dem Filmfest München 2024 Premiere feierte, ist ein bitterböser Blick in den Abgrund, wie man ihn von einer deutschen Produktion kaum erwarten wird.
Ein bisschen erinnert das an Schock aus dem letzten Jahr, ein weiterer deutscher Genrebeitrag, bei dem wir einem Mann bei seiner Reise nach unten Gesellschaft leisten. Gemeinsam ist auch die Frage, wie sehr wir noch unser eigenes Schicksal leiten können. Nur dass dort die Fallhöhe grösser war, wir bei Frisch bereits ganz am Boden anfangen und irgendwie selbst dann noch immer tiefer sinken.