UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Franz K.

9310

Franz K. Innovativ wie Kafka selbst

film-677583-70

Kultur

Franz K.“ erhellt in Schlaglichtern und Assoziationen das Leben und Werk eines Jahrhundertschriftstellers.

Kafka mit seiner Schwester Ottla. Oppelt-Haus, Prag, 1914.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Kafka mit seiner Schwester Ottla. Oppelt-Haus, Prag, 1914. Foto: Unknown author (PD)

Datum 14. November 2025
1
0
Lesezeit5 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Regisseurin Agnieszka Holland nähert sich dem Literaten mit einer experimentellen Dramaturgie, einer suggestiven Montage und einer ausgefeilten Bildsprache. So entsteht eine moderne Hommage, die Kafka nicht auf einen Sockel stellt, sondern die Nähe zu ihm sucht – und findet.

Einige Elemente werden wohl in keinem Film über den Schriftsteller Franz Kafka (Idan Weiss) fehlen: die prägende Hassliebe zu seinem Vater Hermann (Peter Kurth), das schwierige Verhältnis zu Frauen wie Felice Bauer (Carole Schuler) und Milena Jesenská (Jenovéfa Boková) oder die komplexe Freundschaft zu seinem Förderer Max Brod (Sebastian Schwartz). Der neue Film der Polin Agnieszka Holland bietet aber viel mehr als die Nacherzählung bekannter Probleme im Leben des Mannes, der die Literatur so nachhaltig modernisierte wie kaum ein anderer.

Die Regisseurin bringt uns den Menschen Kafka näher, indem sie sich gerade nicht auf vielfach interpretierte Briefe und Lebenszeugnisse stürzt, auf Verbales also. Sondern indem sie ein schillerndes optisches Kaleidoskop vor Augen führt, einen Kosmos von Licht und Farben, einen Rausch der Montage. Als „Bruder“ habe sie den zerbrechlich wirkenden jungen Mann empfunden, schreibt die Filmemacherin in ihrem Regie-Kommentar. Wenn das stimmt, so ähnelt sie einer aufgeklärten Version von Kafkas Schwester Ottla (Katharina Stark): weniger eifersüchtig und besitzergreifend, aber ebenso fürsorglich und liebevoll.

Ein unglücklicher Sohn

So viel kann man in einen einzigen Schnitt packen: Pfeifend und gut gelaunt schneidet Vater Kafka seinem jungen Sohn (als Kind: Daniel Dongres) die Haare. Unglücklich, ängstlich und erfüllt von unterdrückter Wut schaut der Bub in den Spiegel. Ganz so, wie nach dem Schnitt der erwachsene Mann, der sich mit zwei Löffeln die Ohren zuhält, obwohl nun – dem Bauchumfang des nur halb sichtbaren Friseurs und seiner professionellen Kleidung nach zu urteilen – kein reales Pfeifen ertönt und er nicht mehr zu Hause sitzt, sondern in einem ganz normalen Salon.
Vieles bündelt sich in der kurzen Sequenz. Etwa das lebenslange Ringen mit der übermächtigen Vaterfigur, aber auch eine sehr prägnante Zeichnung der beiden höchst gegensätzlichen Charaktere. Filmische Mittel übernehmen das, was nicht auserzählt werden kann, weil es die Grenzen eines Zweistünders sprengen würde. Wie eine Lupe verdeutlichen die kunstvoll gestalteten Bildrahmungen Franz Kafkas Beziehungen zu seiner Familie, zur Aussenwelt und zu sich selbst.

2024 war der hundertste Todestag von Franz Kafka, der 1883 in Prag geboren wurde und die meiste Zeit dort lebte. Ein Film und eine Mini-Serie erschienen aus Anlass des Jubiläums. Beide gehen auf ihre eigene Weise mit der überbordenden Stofffülle eines kurzen, aber wirkmächtigen und endlos totdiskutierten Lebens um. Die Herrlichkeit des Lebens von Georg Maas und Judith Kaufmann konzentriert sich auf Kafkas letzten Lebensabschnitt und seine Liebe zu Dora Diamant. Der TV-Sechsteiler Kafka von David Schalko und Co-Autor Daniel Kehlmann beleuchtet Biografie und Werk, indem er pro Episode einen besonderen Aspekt zum Angelpunkt macht.

Agnieszka Hollands Arbeit kommt nun ein Jahr später, aber keineswegs zu spät. Es dürfte, wenn auch ungeplant, ein Vorteil für ihren Collage-artigen Film sein, dass der Porträtierte im Jubiläumsjahr in aller Munde war und man nun ein breites Hintergrundwissen voraussetzen darf. Trotzdem, in aller Kürze ein paar Grunddaten: Kafka entstammte einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Er hatte drei Schwestern, war aber der einzige Sohn und sollte eigentlich in der Firma aushelfen. Doch er ging nach seinem Studium zu einer Versicherung und schrieb seine Kurzgeschichten und Romane vor allem nachts. 1917 erkrankte er an Tuberkulose. Bis zu seinem Tod schrieb er weiter, musste sich aber etlichen Sanatoriumsaufenthalten unterziehen.

Innovativ wie Kafka selbst

Von den genannten Filmen knüpft Franz K. visuell am entschiedensten an die Tatsache an, dass Kafka als Schriftsteller einen bis dahin unerhörten, oft surrealen und experimentellen Ton anschlug. Agnieszka Holland (Jahrgang 1948) greift dabei nicht zu gängigen visuellen Klischees des Absurden, sondern entwickelt mit Kameramann Tomasz Naumiuk ein dichtes, oft durch Weitwinkel betrachtetes Panoptikum, das Realismus mit Fantasien, Ängsten und Obsessionen verschmilzt. Vor allem aber bricht der Film mit den Standards einer Filmbiografie, indem er zwei zusätzliche Ebenen etabliert, eine quasi-dokumentarische und eine futuristisch-humorvolle. Immer wieder wenden sich die Darsteller direkt ans Publikum und sprechen aus, was ihre Figuren über Franz gedacht haben mögen oder tatsächlich äusserten.

Diese Vielstimmigkeit lädt einerseits zur eigenen Positionierung des Publikums ein, spiegelt aber zugleich die Weigerung des Films wider, den Abertausenden Interpretationen eine weitere hinzuzufügen. Auf einer dritten Ebene springt der Film in die gegenwärtige, futuristisch weiter gesponnene Vermarktung Kafkas für Prager Touristen, bis hin zu einem Fastfood-Lokal, das den Vegetarier für sich einspannt.

Im (fiktiven) Audioguide fürs Kafka-Museum lädt eine Automatenstimme neben anderen Möglichkeiten auch dazu ein, den Schriftsteller persönlich kennenzulernen. Selbst wenn der Film diese KI-gesteuerte Vision karikiert, ist genau das seine grösste Leistung: eine berührende Nähe zu schaffen. Indem er seinen Helden weder auf einen Sockel stellt noch neurotiziert oder als Sonderling abstempelt, schafft Franz K. ein wundervolles Identifikationsangebot mit einem Menschen, der seiner Zeit wohl nicht nur schriftstellerisch voraus war.

So können wir mit Kafka mitfühlen, als wäre er ein junger Mann von heute: unsicher in seiner Männlichkeit, zerrissen zwischen verschiedenen Identitäten (jüdisch, deutsch, tschechisch), überfordert von der Welt und dem Dickicht der Bürokratie, aber auch lebenshungrig und begeisterungsfähig, auf der Suche nach der grossen Liebe und einem selbstbestimmten Leben als Künstler. Hauptdarsteller Idan Weiss, bislang noch wenig präsent im Kino, glänzt in einer Mischung aus Verletzlichkeit, Sendungsbewusstsein und Freiheitsliebe.

Peter Gutting
film-rezensionen.de

Franz K.

Tschechische Republik, Deutschland, Polen, Frankreich

2025

-

127 min.

Regie: Agnieszka Holland

Drehbuch: Marek Epstein, Agnieszka Holland

Darsteller: Idan Weiss, Peter Kurth, Jenovéfa Boková

Produktion: Agnieszka Holland, Šárka Cimbalová, Uwe Schott

Musik: Antoni Komasa-Łazarkiewicz, Mary Komasa-Łazarkiewicz

Kamera: Tomasz Naumiuk

Schnitt: Pavel Hrdlička