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Es war einmal Indianerland Der Wahnsinn des Alltags

Kultur

„Es war einmal Indianerland“ klingt wie ein Märchen, gibt sich wie ein Drogentrip und ist doch die ganz alltägliche Geschichte eines Jugendlichen, der seinen Platz in der Welt sucht.

Regisseur Ilker Çatak nach der Preisverleihung beim Max-Ophüls-Preis 2015.
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Regisseur Ilker Çatak nach der Preisverleihung beim Max-Ophüls-Preis 2015. Foto: Queryzo (CC BY-SA 4.0 cropped)

11. April 2019
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4 min.
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Das ist skurril und charmant, wahnsinnig und doch auch irgendwie banal – und damit eine schöne Verbildlichung der wilden emotionalen Achterbahnfahrt, der man in diesem Alter beiwohnt.

Einfach ist das Leben von Mauser (Leonard Scheicher) nicht gerade. Eigentlich geht es sogar richtig drunter und drüber bei dem 17-Jährigen. Da ist die hübsche Jackie (Emilia Schüle), der er während einer Freibadparty über den Weg läuft und in die er sich verliebt. Oder auch die schlagfertige Edda (Johanna Polley), der er in der Videothek begegnet und die es auf ihn abgesehen hat. So richtig kompliziert wird es jedoch erst, als sein Vater Zöllner (Clemens Schick) im Streit Mausers Stiefmutter tötet. Dass der Jugendliche zudem gegen seinen Freund Kondor (Joel Basman) in den Boxring treten soll, das spielt da schon fast keine Rolle mehr.

Ach ja, und schon wieder ein Coming-of-Age-Film. Davon gibt es ja nicht gerade wenig, aufgrund der universellen Erfahrungen, die nahezu jeder Jugendlicher mal macht, lassen die sich eigentlich immer gut drehen und verkaufen. Und zumindest thematisch ist in Es war einmal Indianerland eine Menge dabei, die wir schon kennen, an die man leicht anknüpfen kann. Erste etwas unbeholfene Erfahrungen in der Liebe. Familienzwiste und der Versuch, sich aus den vorgegebenen Bahnen zu befreien. Auch Rivalitäten im Freundeskreis sind keine Seltenheit.

Der Wahnsinn des Alltags

Doch trotz dieser im Grunde gewöhnlichen Themen, Es war einmal Indianerland ist so gar nicht gewöhnlich. Man muss dafür nicht einmal den Totschlag des Vaters hinzunehmen. Oder auch die wiederkehrenden Indianer-Visionen von Mauser, die dem Film seinen Titel gegeben haben. Wenn die Adaption von Nils Mohls gleichnamigen Roman mit einer rauschend Party beginnt, dann gibt sie bereits den Ton an, den einen hier erwartet: Das Erwachen eines Jugendlichen wird hier zu einem wilden Trip zwischen Drogen und Liebe, aber auch zwischen Wut, Angst und Orientierungslosigkeit.

Immer wieder springt der Film auf dem Zeitstrahl wild hin und her, begleitet von einer passenden Videorekorder-Optik, gibt als Halt lediglich die verbleibenden Tage bis zum Kampf an. Dabei wird auch vorher schon kräftig gekämpft. Das kann wörtlich sein, wenn immer mal wieder Leute aneinandergeraten und durchdrehen. Oder auch im wörtlichen Sinne. Im ganz wörtlichen: Eine der schönsten Szenen des Films zeigt Mauser, wie er um jedes einzelne Wort kämpft, das über seine Lippen kommt. Dass sie irgendwo da drinnen sind in ihm, das weiss er. Er weiss nur nicht, wie er sie da rausbekommt.

Ein Trip in schnellen Bildern

An anderen Stellen führen Mausers Versuche, sein Inneres verstehen zu wollen, erst recht zu ganz grossem Chaos. Regisseur İlker Çatak packt dieses dann auch in die passenden Bilder. Neben den angesprochenen Zeitsprüngen gibt es rauschartige Schnittgewitter, dazu skurrile Momente, Orte und Figuren, die manchmal sogar bis ins Surreale hineingehen. Es war einmal Indianerland klingt nicht nur wie ein Märchen, sondern gibt sich auch ein wenig märchenhaft. Ein Märchen jedoch, das für Jugendliche gedacht ist, Feen und Hexen gegen Selbstzerstümmelung und Drogen eintauscht, Smiley-T-Shirts und sprechende Disco-Kugeln.

Die Geschichte selbst ist dabei eigentlich ganz einfach, was hier aber nicht sonderlich stört. Im Gegenteil: Gerade die Kombination aus den so banalen Nöten von Mauser und dem überbordenden Drumherum spiegelt treffend die emotionale Achterbahnfahrt eines Jugendlichen wieder, wenn alles sehr viel grösser und dramatischer wirkt, als es letztendlich ist. Zudem ist Es war einmal Indianerland auch einfach eine der schönsten Liebesgeschichten, die dieses Segment zuletzt hervorgebracht hat, da hier jede seine Macken hat, ohne dadurch gleich zu einer Karikatur zu werden. Die Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn, zwischen Alltag und Traum, sie war selten so durchlässig wie hier. Und selten so charmant.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Es war einmal Indianerland

Deutschland

2017

-

97 min.

Regie: İlker Çatak

Drehbuch: Nils Mohl, Max Reinhold

Darsteller: Leonard Scheicher, Johanna Polley, Emilia Schüle

Produktion: Michael Eckelt

Musik: Acid Pauli

Kamera: Florian Mag

Schnitt: Jan Ruschke

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.

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