EO Aus Liebe zum Esel

Kultur

„EO“ ist eine Mischung aus Drama und Roadmovie.

Der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski am Film Festival von Lissabon, November 2016.
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Der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski am Film Festival von Lissabon, November 2016. Foto: Ilya Mauter (CC-BY-SA 4.0 cropped)

17. Januar 2023
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In Anlehnung an Bressons „Zum Beispiel Balthasar“ erzählt Regisseur Jerzy Skolimowski vom Leben eines Esels, von den glücklichen Momenten wie auch den schlimmen Grausamkeiten, was das Tier beides über sich erduldet. Bisweilen erreicht der Film dabei Momente ungeheurer Schönheit und Klarheit, wohingegen einige aufgrund ihrer Intensität besonders für Tierfreunde schwer aushaltbar sein werden.

In einem Wanderzirkus bilden die Artistin Kassandra (Sandra Drzymalska) und der Esel Eo einer jener Nummern, die vom Publikum immer sehr gut aufgenommen wird. Auch abseits der Manege ist das Tier ein Quell des Trostes und der Zuneigung für die junge Frau, die ihm immerzu spezielles Futter bringt und ihm einmal im Jahr sogar einen Möhren-Muffin backt, den Eo mit Heisshunger verschlingt. Eines Tages jedoch werden die beiden getrennt, als es im Zuge einer neuen politischen Verordnung zu einer Enteignung des Zirkus kommt, dessen Betreibern zudem noch Tierquälerei vorgeworfen wird.

Nicht nur Kassandra leidet an der Trennung von Eo, auch der Esel wirkt traurig, als er zunächst in einen Reitstall kommt, wo er den Angestellten bei ihrer Arbeit behilflich ist, und schliesslich auf eine Farm, die auf die Aufzucht von Eseln spezialisiert hat. Zum einen ist es die Trennung von Kassandra, die dem Tier zusetzt. Doch darüber hinaus sind es auch andere Tiere, in die er sich scheinbar verguckt und die von einem auf den nächsten Moment aus seinem Leben gerissen werden. Immer wieder kehrt er deshalb in den Träumen zu jenen Menschen und Kreaturen zurück, die er hinter sich lassen musste, bis er sich entschliesst, selbst auf die Suche nach ihnen zu gehen.

Aus Liebe zum Esel

Zu seiner grossen Überraschung wurde Regisseur Jerzy Skolimowski Ende der 60er Jahre von der bekannten Zeitschrift Cahiers du Cinema um ein Interview gebeten, weil es sein Film Walkover in deren Jahresbestenliste auf Platz zwei geschafft hatte, gleich hinter Robert Bressons Zum Beispiel Balthasar, den Skolimowski nach dem Gespräch unbedingt sehen wollte. Die Geschichte des Films berührte den Regisseur derart, dass er beschloss, irgendwann einmal ebenfalls einen Film zu machen, in dem ein Tier die Hauptrolle spielen werde, was er nach vielen Jahren mit EO einlöst, welcher auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt wurde und als eine Art Neuinterpretation des Filmes von Bresson gesehen werden kann.

In vielen Filmen, nicht nur denen Jerzy Skolimowskis, geschieht den Figuren Schreckliches und Brutales. Das Leid, folgt man der Poetik des Theaters, wie sie beispielsweise Friedrich Schiller formuliert, soll zu einer Reaktion des Zuschauers führen, zu Mitleid und Furcht, wobei es beileibe nicht immer der Fall ist, dass eine emotionale Reaktion stattfindet. In diesem Zusammenhang setzt EO genau da an, wo bereits Bresson mit Zum Beispiel Balthasar anfing, nämlich mit einem Tier im Zentrum der Handlung, welches mit einem gewissen Stoizismus alles über sich ergehen lässt, das Gute wie auch das Schlechte, von dem es beides sehr viel gibt auf der langen Reise des tierischen Protagonisten.

Erzählerisch nutzt Jerzy Skolomowskis und Ewa Piaskowskas Drehbuch zudem die Konventionen des Roadmovies, um die verschiedenen Stationen und damit die verschiedenen Themen diese Geschichte zu zeigen, die wiederholt nicht nur die Aussensicht auf das Tier und seine Umgebung bedient, sondern ebenso die Innensicht, die aus den Augen des Tieres, welche bisweilen sehr unangenehm ist. Neben Aspekten wie die Beziehung zum Tier generell, welches als Sklave oder als Beschaffer von Lebensmitteln angesehen wird, gibt es auch die andere, emotionale Seite, welche sich in den Beziehungen Eos zu Kassandra (die eigentlich Magda heisst) oder dem jungen Priester zeigt.

Unschuld und Grausamkeit

Während Bresson eine eher realistische Herangehensweise an seine Geschichte pflegt, ist es bei Skolimowskis Film eine Mischung aus zwei Perspektiven. Auf der einen Seite dominiert zwar ein Realismus, der besonders die sozialen Strukturen, Gewalt und Mitleid innerhalb der Gesellschaft, darstellen soll, dann aber auch wieder einer eher abstrakte Sicht, wenn es zum Beispiel um die „Träume“ des Esels geht, in denen er immer wiederkehrt zu den Momenten, die besonders schön oder einprägsam in seinem Leben waren. Schon nach wenigen Minuten wird wohl diese Herangehensweise auf den Zuschauer ihre Wirkung tun, wenn man Zeuge wird oder aus den Augen des Tieres miterlebt, wie diesem etwas widerfährt. Mögen vielleicht auch einige der Episoden, welche die Reise des Tieres begleiten, etwas platt sein oder ins Leere verlaufen, so teilt man das Leid des Esels, aus dessen dunklen Augen eine Unschuld sich zeigt, die manche Momente umso intensiver und unangenehmer macht.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

EO

Polen, Italien

2022

-

89 min.

Regie: Jerzy Skolimowski

Drehbuch: Jerzy Skolimowski, Ewa Piaskowska

Darsteller: Sandra Drzymalska, Isabelle Huppert, Lorenzo Zurzolo

Produktion: Ewa Piaskowska

Musik: Mirosław „Mietek“ Koncewicz, Paweł Mykietyn

Kamera: Michael Dymek

Schnitt: Agnieszka Glinska

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.