Rezension zum Film von Stephan Richter Einer von uns
Kultur
„Einer von uns“ ist das zugleich spannende wie trostlose Porträt einer Gesellschaft, deren Mittelpunkt ein Supermarkt bildet. Da treffen schicke Endlosregale auf bittere Wegwerfbilder, die Wut der Verlierer auf die Langeweile der Ungewollten, bis hin zum erschütternden Finale, das einen als Zuschauer hilflos zurücklässt.


Der österreichische Filmregissuer Stephan Richter. Foto: Kermitdafrog1980 (CC BY-SA 4.0 cropped)
In Deutschland haben nicht allzu viele wirklich Notiz von dem Vorfall genommen, Österreich war 2009 jedoch zutiefst erschüttert, als ein gerade einmal 14-jähriger Einbrecher in einem Supermarkt von einem Polizisten erschossen wurde. Auch Stephan Richter, der hier sein Langfilmdebüt als Regisseur und Drehbuchautor gibt, hatte die Geschichte so sehr mitgenommen, dass er sie Jahre später zum Anlass von Einer von uns nahm. Eine reine Wiedererzählung der Ereignisse ist das Drama jedoch nicht, vielmehr ein präziser und schmerzhafter Blick auf eine auseinanderbrechende Gesellschaft.
Der erste Abstecher in den Supermarkt erzählt dabei natürlich eine ganz andere Geschichte. Adrett sind sie aufgebaut, die vielen mal mehr, mal weniger sinnvollen Produkte, die immer so platziert sind, dass sie einem ins Auge stechen. Dem Zufall wurde dabei nichts überlassen. Kunststück, schliesslich geht es hier darum, Geld zu verdienen. Wie Kunst sieht das Ergebnis dann auch aus, die nicht enden wollenden Gänge, die keinen Raum übriglassen. Nicht für den Zufall. Nicht einmal für Menschen: In Einer von uns sind so wenige unterwegs, dass man sich zuweilen fragt, ob da überhaupt noch jemand in der österreichischen Vorstadt lebt.
Die Antwort darauf, die ist dann auch nicht auf den bunten Verpackungen oder den Werbeaufstellern zu finden, sondern da, wo eigentlich niemand hinschauen soll: Immer wieder werden Bilder eines Müllcontainers gezeigt, in denen die nicht verkauften Lebensmittel landen. Es ist die Kehrseite einer Wegwerfgesellschaft, in der alles entsorgt wird, was nicht zu gebrauchen ist: Essen, Kleidung, Menschen. Das ist schon während der „normalen“ Szenen unangenehm bis traurig, wie hier Leute vergeblich um eine Zukunft kämpfen, die Perspektivlosigkeit in Alkohol oder Drogen zu vergessen versuchen – Einer von uns ist vergleichbar zum Schweizer Kollegen Chrieg ein Blick in die Abgründe, das Porträt einer Gruppe vergessener oder verdrängter Verlierer.
Dass diese sich um einen Supermarkt herum versammeln, gibt dem Ganzen eine besonders bittere Note. Wenn schon keine Werte oder Visionen die Menschen eint, dann doch immerhin der Kommerz. Und sei es eine kleine Plastikpistole für die Tochter. Dabei ist der österreichische Film zugleich äusserst spannend, denn die unterkühlten Bilder und die unheimliche, teils durch Rap ergänzte Musik lassen einen von Anfang an nichts Gutes ahnen. Selbst wer nichts über die Geschichte weiss, spürt hier schnell, dass etwas unfassbar Tragisches in der Luft liegt. Immer intensiver wird sie Stimmung, der Umgang untereinander feindseliger und von Beleidigungen wie Drohungen geprägt. Unter der trügerischen Ruhe rumort es: im Supermarkt, in der Vorstadt, im Land. Und am Ende? Die Fassungslosigkeit, wie etwas Derartiges passieren konnte. Trauer. Wut. Denn so willkürlich die Reaktion des Polizisten auch erscheint, so ist sie doch das fast schon logische Ergebnis einer Gesellschaft, in der die Menschen keinen Platz mehr finden, weder für sich, noch für die anderen.
Einer von uns
Österreich
2015
-88 min.
Regie: Stephan Richter
Drehbuch: Stephan Richter
Darsteller: Jack Hofer, Simon Morzé, Christopher Schärf
Produktion: Arash T. Riahi, Karin C. Berger
Musik: Maja Osojnik, Matija Schellander
Kamera: Enzo Brandner
Schnitt: Andreas Wodraschke, Julia Drack
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