Diese Liebe Capri c'est fini

Kultur

Wie eine Seismograph erkundet Caroline Champetiers Kamera 100 Minuten lang Jeanne Moreau und Aymeric Demarigny in ihrem Spiel der Schriftstellerin Marguerite Duras (1914-1996) und ihres wesentlich jüngeren Freundes Yann Andréa.

Jeanne Moreau im Jahr 2000.
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Jeanne Moreau im Jahr 2000. Foto: John Mathew Smith (CC BY-SA 2.0 cropped)

11. November 2022
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Unterbrochen nur von den warmen Bildern des sommerlichen Meeres, Himmels, der Landschaft und den Häusern des Badeortes Trouville, in dem beide 16 Jahre lang – zwischen 1980 und dem Tod der Duras am 3.3.1996 – gemeinsam ihr Leben verbrachten. Die französische Regisseurin Josée Dayan konzentriert sich auf das Verhältnis dieser beiden; andere Personen spielen in ihrer Annäherung an diese Beziehung keine Rolle.

Fünf Jahre lang hatte Yann Andréa nur brieflichen Kontakt mit der Duras. Dann steht er plötzlich vor der Tür ihres Appartements, klopft an, sie öffnet, fragt barsch, warum er nicht die Klingel benutzt habe, und als er einmal später die Klingel benutzen will, funktioniert sie nicht, und die Duras lächelt und erzählt ihm, sie sei defekt und würde nur bei jedem zweiten Mal gehen. Das drückt über die Person der Schriftstellerin schon einiges aus, ihre geradezu chronische Ambivalenz. Weder über ihre Vergangenheit, noch über die Yann Andréas erfährt man in dem Film irgend etwas. Marguerite Duras galt als narzisstisch, schwer zugänglich, extrem eigen, könnte man auch sagen, hatte zahlreiche Liebhaber, ihre sexuellen Eskapaden seien Legende, liest man. In den letzten 20 Jahren soll sie von sich nur noch in der dritten Person gesprochen haben. Die Duras hinterliess ein umfangreiches Werk an Romanen, Aufsätzen (u.a. „Heisse Küste“, „Die Schamlosen“ über Indochina, „Der Vizekonsul“ oder „Die Verzückung des Lol V. Stein“), schrieb Drehbücher (u.a. zu Alain Resnais Film „Hiroshima mon amour, 1959; „India Song“, 1975; ). Über sich selbst sagte sie, sie habe in Wirklichkeit von sich in ihren Büchern nichts verraten, behauptete, „die grösste Stille selbst zu sein“. „Die Geschichte meines Lebens existiert nicht.“ (1) Ihr Leben bleibt ein Geheimnis, geradezu ein Mysterium, und daran ändert Josée Dayans Film wahrscheinlich nicht sehr viel, auch wenn die Moreau selbst mit der Duras seit 1958 befreundet war und sicher viel von ihr weiss.

Aber darum kann es auch gar nicht gehen. Es geht „nur“ um Annäherung. Die erfolgt von zwei Seiten: der Freundschaft der Moreau und der aufgeschriebenen Geschichte der Freundschaft zwischen der Duras und Yann Andréa durch ihn selbst. Sie lässt diesen jungen, meist auf eine eigentümliche Art schüchternen, zurückhaltenden, kaum ein Wort sprechenden jungen Mann hinein, fragt sich, was er von ihr will, meint, er würde nur ihre Romane lieben, aber nicht sie. Yann Andréa ist auch eigen, ein stiller Eigensinniger, der nicht aufgibt, dessen Lebensziel nur die Nähe zur Duras zu sein scheint, nichts weiter. Sie schmeisst ihn eines nachts hinaus, am nächsten Morgen steht er wieder vor ihrer Tür. Und als wenn nichts geschehen wäre, nimmt sie ihn wieder zu sich, gibt ihm einen Schlüssel für das Appartement, und diktiert ihm ihren späten Roman „Der Liebhaber“. Mit zwei Fingern klappert er – gar nicht mal so langsam – auf der alten Schreibmaschine herum, die noch aus den Kriegsjahren stammt.

Es entwickelt sich zwischen beiden etwas, was mit Worten nur schwer umschrieben werden kann. Ja, Liebe, aber nicht im Sinne einer „normalen“ Partnerschaft, nicht durch Sexualität oder Erotik definiert. Ja, auch Abhängigkeit, denn die Duras ist ein in ihrer Einsamkeit, wie sie selbst sagt, glücklicher Mensch, und benutzt diesen jungen Eindringling, weist ihn barsch zurecht, um ihm im nächsten Augenblick wieder sehnsüchtig in die Augen zu schauen. Ja, Eifersucht ist da auch im Spiel: Warum muss er irgendeine Freundin anrufen; und Ergebenheit. Yann lässt sich einiges an Erniedrigung, wortreich vorgetragen, gefallen. Aber das ist ihm gleichgültig, meistens, manchmal rebelliert er auch gegen sie, vorübergehend. Er scheint sie wirklich in vielen Punkten gut zu kennen. Sie nennt ihn eine Doppelnull, sie sei ihm intellektuell haushoch überlegen. Sie habe schon viele rausgeschmissen, und wenn sie die Duras noch so auswendig vortragen konnten.

Aber Yann ist nicht einfach devot; er hat sich aus freien Stücken und in vollem Bewusstsein seiner geistigen Kräfte nach Trouville begeben. Er könnte jederzeit wieder gehen. Er bleibt. Er ist eben auch der unheldenhafte, blasse Befreier. Sie erzählt ihm von Proust und seiner Grossmutter, die im gleichen Haus gelebt hatten. „Sie wohnten auf der Seeseite, ich lebe auf der Landseite. Tagein tagaus das Meer – das ist nicht zum Aushalten.“ Als Yann eine Weile da ist, hält sie es wieder aus. Marguerite (der Name fällt nicht einmal im Film) und Yann Andréa – das ist auch eine mediterrane Beziehung. Das Meer, das sie nicht ertragen konnte, als Sinnbild der Ewigkeit, des scheinbar ewigen Wechsels, das ständige Rauschen, das sie im Angesicht der eigenen Sterblichkeit im hohen Alter, vielleicht schon vorher nicht ertragen konnte. Mit Yann erscheint ihr der Tod anders, erträglich, menschlich.

Und dann ist da noch das andere, das Warme, dieser „Sommer so gross wie Europa“, wie sie anfangs sagt, der 16 Jahre lang währt. Dayan erzählt diese 16 Jahre ohne zeitliche Verschiebung, Entwicklung, als einzige grosse Gegenwart. Die Duras und Yann gehen am Strand spazieren, tanzen, essen, trinken, geniessen, und hören Musik, vor allem Hervé Vilards „Capri c'est fini“. Er äussert sich kaum, eigentlich gar nicht zu dem, was sie ihm diktiert. Sie braucht ihn als ihr Echo, und beklagt sich darüber, dass er nur ihr Echo ist. Der letzte Satz, nein, nicht schreiben, er ist schlecht, gewöhnlich, abgenutzt.

Der Alkohol spielt eine zentrale Rolle in dieser Beziehung. Die Duras ist Alkoholikerin, später muss sie deshalb in die Klinik, phantasiert, Yann holt sie wieder zurück. Aber all das ist unwichtig, weil Zeit in diesen 16 Jahren keine Rolle spielt. „Vor allem“, sagt sie, „hat sich offenbar nichts ereignet diese letzten Tage ... nichts als das Vergehen der Zeit.“ Yann erzählt nach dem Tod der Schriftstellerin, ihr Leben sei so gewesen, wie es war, weil sie die Welt ausser ihr überwältigt habe, der Hunger, der Krieg, dass die Reichen immer reicher werden. Vielleicht war die Duras ein Mensch, der zu intelligent und zu sensibel zugleich für die Welt war, in die sie hineingeboren wurde, ein Mensch, der die Einsamkeit gerade deswegen benötigte. „Wir schreiben immer auf den toten Körper der Welt. Auf den toten Körper der Liebe“, sagt sie. „Diese Liebe“, das bezieht sich auf die Beziehung zwischen ihr und Yann Andréa, ist aber auch gemeint als „diese verdammte Liebe“, wo ist sie in dieser toten Welt?

„Der Film erzählt keine chronologische Geschichte, er ist eher ein impressionistisches Gemälde“, so Josée Dayan. Jeanne Moreau, die Grosse des französischen Kinos, spielt diese Marguerite Duras, als wenn es um ihr Leben gehe, sie vertieft sich in diese Person, wie man es allzu selten von Schauspielern gewohnt ist. Aymeric Demarigny wurde in einigen Filmkritiken als unfähig für die Rolle des Yann Andréa bezeichnet. Das sehe ich anders. Er spielt diesen Part zwischen Bewunderung, Zuneigung, Anhänglichkeit, Wortkargheit und Hartnäckigkeit exzellent als Gegenstück zur Moreau.

Dayan hält ihren Film „gefangen“ in der Beziehung dieser beiden Personen. Keine andere Person spielt irgendeine auch nur annähernd bedeutende Rolle. Sie zeigt beide in der Abgeschiedenheit ihres Daseins; nur die gelegentlichen Artikel, die die Duras für „Liberation“ oder andere Zeitungen schreibt, mehr gequält, als leidenschaftlich, deuten eine Verbindung zur Aussenwelt an. Das könnte man dem Film vorwerfen. Aber gerade dies ist der Vorteil von „Diese Liebe“. Es ist der Versuch einer Innenansicht, übrigens prachtvoll unterstützt durch die Musik von Angelo Badalamenti, der u.a. die Filmmusiken für David Lynchs „Straight Story“ und „Mulholland Drive“ schrieb.

Vielleicht sind solche Filme gegen den Strich, das heisst gegen die Regeln des Dramas, gedreht. Vielleicht taugt ihr Inhalt eher für Romane oder Theaterstücke. Vielleicht. „Diese Liebe“ ist in dieser Hinsicht ein Experiment, vielleicht unbefriedigend, aber was im Leben ist schon vollauf befriedigend. Mein einziger Kritikpunkt: Mir war der Film eine Spur zu lang.

Ulrich Behrens

(1) Vgl. Laure Adler: Marguerite Duras. Eine Biographie, Frankfurt am Main 2000 (Suhrkamp-Verlag)

Diese Liebe

Frankreich

2002

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100 min.

Regie: Josée Dayan

Drehbuch: Yann Andréa, Josée Dayan

Darsteller: Jeanne Moreau, Tanya Lopert, Aymeric Demarigny, Christiane Rorato

Produktion: Alain Sarde

Musik: Angelo Badalamenti

Kamera: Caroline Champetier

Schnitt: Anne Boissel