Die Saat Individuum vs. Gesellschaft

Kultur

„Die Saat“ erzählt von einer Familie, bei der es endlich aufwärts zu gehen scheint, bis dann ein hässliches Ergebnis zum nächsten führt.

Der deutsche Schauspieler Andreas Döhler spielt in dem Film die Rolle des rücksichtslosen Bauplaners Kleemann.
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Der deutsche Schauspieler Andreas Döhler spielt in dem Film die Rolle des rücksichtslosen Bauplaners Kleemann. Foto: Florian Eichinger (CC-BY-SA 4.0 cropped)

15. Februar 2023
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Der Film ist dabei einerseits das beeindruckende Porträt einer immer grösser werdenden individuellen Verzweiflung, zeigt gleichzeitig auf erschreckende Weise eine Welt, in der es kaum Solidarität gibt und in der nur die weiterkommen, die andere ausnutzen.

Seit Jahren schon buckelt Rainer Matschek (Hanno Koffler) auf den verschiedensten Baustellen, hat sich und seiner Familie damit jede Menge zugemutet. Doch die harte Arbeit soll sich nun endlich bezahlt machen, schliesslich darf er zum ersten Mal bei einem Projekt die Bauleitung übernehmen. Das ist auch aus finanziellen Gründen für ihn sehr wichtig. Nicht nur, dass seine Frau Nadine (Anna Blomeier) schwanger ist. Sie sind zusammen mit Tochter Doreen (Dora Zygouri) kürzlich zudem in ein renovierungsbedürftiges Haus gezogen. Vom idyllischen Glück jedoch keine Spur. So wird ihm bei der Arbeit von einem Tag zum nächsten der neue Leiter Kleemann (Andreas Döhler) vorgesetzt. Und auch Doreen hat zunehmend Schwierigkeiten, nicht zuletzt wegen ihrer neuen Freundin Mara (Lilith Julie Johna) …

Einblicke in ein trauriges Familienleben

Mehr als fünf Jahre ist es her, dass Treppe aufwärts Premiere feierte, das Langfilmdebüt von Regisseurin und Co-Autorin Mia Maariel Meyer. Damals erzählte sie von einer Familie, die mit den Folgen von Spielsucht und grossen Schulden zu kämpfen hatte, bei der aber auch sonst einiges im Argen lag. Nun meldet sie sich mit ihrem zweiten Werk Die Saat zurück. Erneut nimmt uns die deutsche Filmemacherin mit zum Mikrokosmos Familie, erneut erzählt sie von diversen Problemen, die sich dort bedrohlich anhäufen. Spielsüchtige gibt es dieses Mal zwar nicht, auch keine kriminellen Nebentätigkeiten. Doch das macht das langsame Abgleiten in den Abgrund nur umso schwerer zu ertragen.

Dabei lässt uns Meyer, die zusammen mit ihrem Mann und Hauptdarsteller Hanno Koffler (Plötzlich so still) das Drehbuch geschrieben hat, das Publikum anfangs noch in dem Glauben, dass die Welt ein schöner Ort sein könnte. Die Beziehung zwischen Rainer und Nadine ist harmonisch, die Bilder sind freundlich, es herrscht eine echte Aufbruchstimmung – zumal Nadine in freudiger Erwartung ist. Und auch bei Doreen scheint sich nach einem eher unglücklichen Start alles zum Besseren zu wenden, als sie sich mit der Nachbarstochter anfreundet. Was kann da schon schief gehen? Eine ganze Menge, wie sich bald herausstellt, wenn über die idyllische Szenerie von Die Saat erste dunkle Wolken aufziehen.

Individuum vs. Gesellschaft

Der Film fährt bei der Errichtung dieses Schreckensszenarios zweigleisig. Auf der einen Seite zeigt Meyer, wie auf dem Bau alles zunehmend eskaliert. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Rainer degradiert wird und sich nun unterwerfen muss. Ganz unabhängig von ihm entwickelt sich die Sache dort hässlich weiter. Beim zweiten Strang rund um Tochter Doreen ist das ähnlich. Mara scheint da zunächst noch ein positives Element im Leben der Jugendlichen zu sein, zeigt aber bald eine abscheuliche Seite in sich. Nicht, dass sie dabei alleine wäre. Es ist sogar bemerkenswert, wie viele eher weniger vorbildhafte Charaktere in Die Saat auftauchen. Und selbst Rainer, der eigentlich der klare Held der Geschichte ist, kann ganz anders, wenn es die Umstände mit sich bringen.

Überhaupt ist das Drama, welches auf der Berlinale 2021 Weltpremiere hatte, eines, das gerne im Dreck wühlt und die dort entdeckten Fundsachen teilt. Interessant ist dabei, wie Meyer das Persönliche mit dem Universellen verbinden, individuelle Geschichten mit allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen. So zeigt uns Die Saat eine Welt, in der am Ende jeder nur den eigenen Vorteil sucht, sich nicht für andere interessiert. Ob es nun mangelnde Solidarität beim Bau ist, die menschenverachtenden Bedingungen, unter denen dort gearbeitet wird, oder die Kluft zwischen Arm und Reich, die sich an mehreren Stellen offenbart – der Film macht es einem schon recht schwer, noch irgendwie hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Denn die Geschichte Matscheks ist nicht einfach nur ein Fall von grossem Pech, ein blöd gelaufenes Einzelschicksal. Vielmehr ist es ein Symptom für vieles, das nicht stimmt.

Beeindruckend hässliches Klischee

Wie immer kann man sich bei einer solchen Ansammlung von Unglücken fragen, wie glaubwürdig das alles ist. Hinzu kommt, dass die „Bösen“ der Geschichte nur recht oberflächlich beschrieben sind. Ob nun die verwöhnte Mara, ihr arroganter Vater oder auch Kleemann – beeindruckend abscheulich von Andreas Döhler (Alles ist gut) verkörpert –, da wird so gut wie nie hinter die Fassade geschaut oder mehr gesucht als das Klischee. Gleichzeitig erhöht das die Wirkung von Die Saat: Das Publikum muss hier mitansehen, wie im Grunde anständige Leute an einer unmoralischen Welt scheitern. Wie sie keine wirkliche Chance haben gegen die, die in einer besseren Position sind und diese gnadenlos ausnutzen. Aber auch, wie gefährlich es ist, die Verzweiflung anderer zu ignorieren oder im schlimmsten Fall von dieser zu profitieren. Denn irgendwann, auch das zeigt uns der Film, wird diese Saat aufgehen. Und das Ergebnis ist genauso hässlich und schockierend wie das, was zuvor geschehen ist.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Die Saat

Deutschland

2021

-

100 min.

Regie: Mia Maariel Meyer

Drehbuch: Mia Maariel Meyer, Hanno Koffler

Darsteller: Hanno Koffler, Anna Blomeier, Andreas Döhler

Produktion: Christoph Holthof, Daniel Reich, Luna Selle

Musik: Dürbeck & Dohmen

Kamera: Falko Lachmund

Schnitt: Gesa Jäger

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.