Der Rausch Eine trickreiche Gratwanderung

Kultur

Wenn „Der Rausch“ vier Freunde an einem Alkoholexperiment teilnehmen, bedeutet das eine gewagte, am Ende aber geglückte Gratwanderung.

Mads Mikkelsen an der San Diego Comic Con, Juli 2016.
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Mads Mikkelsen an der San Diego Comic Con, Juli 2016. Foto: Gage Skidmore (CC-BY-SA 2.0 cropped)

7. März 2024
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Gerade die starken schauspielerischen Leistungen machen den Film trotz eines überraschungsarmen Drehbuchs sehr sehenswert.

Jeder Mensch wird mit einem konstant zu geringem Alkoholgehalt geboren. Etwa 0,5 Promille fehlen uns, um unser kreatives und soziales Optimum zu erreichen. So sieht es zumindest der norwegische Psychologe Finn Skaderud. Und Psychologielehrer Nikolaj (Magnus Millang) hält die These interessant genug, um sie seinen Arbeitskollegen, dem Geschichtslehrer Martin (Mads Mikkelsen), dem Sportlehrer Tommy (Thomas Bo Larsen) und Musiklehrer Peter (Lars Ranthe), vorzustellen. Bei einem gemeinsamen Abendessen schmieden sie den Plan, Skaderuds Theorie auf seine Praxistauglichkeit zu testen und geloben, ab sofort angetrunken zu unterrichten. Ein halbes Promille, das sind etwa ein bis zwei Gläser Wein. Alles zu Diensten der Wissenschaft, versteht sich. Und tatsächlich, das Experiment scheint aufzugehen: Die Männer entdecken in sich mehr Selbstbewusstsein und Leichtigkeit. Aber das reicht ihnen nicht …

Eine trickreiche Gratwanderung

Es gehört viel Mut und Fingerspitzengefühl dazu, einen Film wie Der Rausch zu drehen. Gross ist die Gefahr, die seit Jahrhunderten bekannten Schattenseiten des Alkoholkonsums zu beschönigen. Ebenso gross ist die Gefahr, oberlehrerhaft beim Griff zum Glas den Zeigefinger zu schwingen. Der Rausch meistert diese Gratwanderung mit Bravour. Ehrlich zeigt der Film die positiven Aspekte des Konsums, wenn die vier Kollegen bei einer Flasche Bier offener miteinander über ihre Probleme reden oder Fünfe für einen kurzen Moment gerade sein lassen können. Es liegt auf der Hand, dass die lustigsten Momente der Tragikomödie diejenigen sind, in denen die vier Protagonisten sich im Rausch befinden.

Ebenso schnell bleibt einem das Lachen bei den Konsequenzen des übermässigen Konsums allerdings auch im Hals stecken. Die Szenen, in denen man sich in Zeiten geschlossener Bars und Social Distancing umso mehr nach einer Kneipentour mit seinen Freunden sehnt, halten sich dabei denen, in denen man dem Alkohol am liebsten vollständig abschwören möchte, die Waage. Auf diese Art funktioniert Der Rausch wie ein Abend, an dem vielleicht etwas über den Durst getrunken wird. Auf eine legendäre Zeit mit Freunden folgt der Morgen mit unabsehbaren Konsequenzen. Dadurch wird der Film streckenweise zwar sehr erwartbar – aber nicht weniger unterhaltsam.

Durchwegs stark gespielt

Die humoristischen Hochs und dramatischen Tiefs der Tragikomödie meistert Hauptdarsteller Mads Mikkelsen mit Leichtigkeit. Beim Hin- und Herschwingen zwischen Euphorie und Depression zeigt Mikkelsen dabei eine emotionale (und physische!) Breite, die seinesgleichen sucht. Doch auch das restliche Dreiviertel des Protagonistenquartetts muss sich hinter dem bekanntesten Namen des Films nicht verstecken. Hier sind es vor allem die ruhigen Szenen, in denen Millang, Bo Larsen und Ranthe zu brillieren wissen. Bemerkenswert sind auch die Auftritte von Maria Bonnevie, Helene Reingaard Neumann und Susse Wold, welche in Der Rausch die Ehefrauen von Martin, Nikolaj sowie die Schulleiterin spielen. Die rohe Wut und Enttäuschung der Frauen über das Fehlverhalten der Männer, aber auch die Bewunderung der neugefundenen Leichtigkeit zeigt wohl am eindrucksvollsten die Auswirkungen des Experiments des Quartetts.

Nach dem Thriller Kursk (2018) und dem oscarnominierten Drama Die Jagd (2012) schafft Regisseur Thomas Vinterberg mit Der Rausch eine gelungene Tragikomödie, mit der wohl die meisten etwas anfangen können. Dabei merkt man dem Dogma 95-Pionier seine Verbundenheit zu realitätsnahem Film an. Der Rausch punktet vor allem durch seine Ehrlichkeit und Authentizität. Die Charaktere scheinen den Zuschauern alte Bekannte zu sein, weswegen man die gesamte Spielzeit über mit ihnen mitfühlt und mitfiebert. Die streckenweise grosse Erwartbarkeit des Skripts ist deshalb ein zu verschmerzendes Manko, trägt es doch zu dieser Authentizität nur zusätzlich bei. Der Film verzichtet dabei fast gänzlich auf eingespielte Musik und lässt den Zuschauer an den Soundtracks der Charaktere teilhaben. Dabei weiss der Schulchor ebenso zu überzeugen wie der lallende Chor in der Kneipe.

Johannes Krehl
film-rezensionen.de

Der Rausch

Dänemark

2020

-

116 min.

Regie: Thomas Vinterberg

Drehbuch: Tobias Lindholm, Thomas Vinterberg

Darsteller: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Lars Ranthe

Produktion: Sisse Graum Jørgensen, Kasper Dissing

Musik: Leslie Ming, Mikkel Maltha

Kamera: Sturla Brandth Grøvlen

Schnitt: Anne Østerud, Janus Billeskov Jansen

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.