Thriller von Claude Chabrol Die Fantome des Hutmachers
Kultur
1982 nahm sich Chabrol des Thrillers «Die Fantome des Hutmachers» des belgischen Schriftstellers Georges Simenon an und adaptierte die literarische Vorlage selbst.


Claude Chabrol bei der Berlinale 2009. Foto: Thore Siebrands (CC BY 3.0 unported - cropped)
1982 nahm sich Chabrol des Thrillers «Die Fantome des Hutmachers» des belgischen Schriftstellers an und adaptierte die literarische Vorlage selbst. Für die Hauptrolle gewann man Michel Serrault, der in diesem Streifen eine exzellente schauspielerische Leistung ablieferte. Serrault spielt den verrückten Hutmacher, der in einem kleinen Städtchen einiges Ansehen geniesst und sich mit Freunden jeden Tag zum Kartenspiel in einer noblen Kneipe trifft. Zu diesen Freunden und Bekannten gehört auch der Schneider Kachoudas (Pierre Brasseur), der sein Geschäft direkt gegenüber vom Hutmacher Léon Labbé innehat. Seit einiger Zeit verfolgt Kachoudas seinen Nachbarn, ohne sich dabei die geringste Mühe zu geben, dies zu verheimlichen. Labbé gibt sich gelassen und ist weit davon entfernt, sich darüber Sorgen zu machen, obwohl er alles andere als eine weisse Weste hat. Der Hutmacher ist der gefürchtete „Würger“, der in dieser Stadt sein Unwesen treibt und bereits fünf Frauen auf offener Strasse umgebracht hat. Wie es der Zufall will, schöpfte Kachoudas beim fünften Mord Verdacht, um beim sechsten Mord Augenzeuge der Tat zu sein.
Labbé lässt sich nicht einschüchtern und sein Nachbar versucht das auch nicht, denn er weiss: er hat keinerlei Beweise gegen den Hutmacher in der Hand und niemand würde dem kleinen Schneider glauben, der etwas derartig Ungeheuerliches über Labbé verbreiten würde. Es ist ein skurriles Katz- und Mausspiel, das eigentlich gar keines ist. Kachoudas wird zum Schatten des Hutmachers, ohne selber zu wissen, was er damit erreichen will. Sein einziges Ziel ist es, mit seiner Familie ein ruhiges und geordnetes Leben zu verbringen. Doch der Hutmacher lässt ihm keine Ruhe, denn er mordet weiter. Die Abgründe hinter der Psyche dieses Mannes werden immer deutlicher, bis sich die Lage immer mehr verschlimmert und der Schneider plötzlich schwer krank wird…
Wie in allen Romanen Simenons, in denen es um Mord geht – seien es die Maigret-Erzählungen oder die sogenannten „psychologischen Romane“ – geht es nicht um die Frage, wer für einen Mord verantwortlich ist oder wie man diese Person zur Strecke bringt, sondern um die Beschäftigung mit verschiedenen Menschen, mit ihrem Charakter, ihren Schwächen, ihren Abgründen, ihren verdrängten Problemen. Dies bringt Chabrol gekonnt und zielsicher auf die Leinwand, indem er Michel Serrault ausreichend Spielraum für seine überzeugende Darstellung als geisteskranker Hutmacher lässt. Man erfährt Schritt für Schritt mehr über die Hintergründe und die Beweggründe dieser Person und letztendlich ist es das, was diesen Film am Leben hält und ihn immer wieder vorantreibt.
Eine derartige Geschichte, mag sie auch noch so beliebig klingen, bietet viel Spielraum für originelle Einfälle und in der Tat ist es skurril anzusehen, wie der Schneider Kachoudas dem Mörder Labbé auf den einsamen Strassen folgt, auf der Suche nach Beweisen, in der Hoffnung auf einen neuen Mord vor seinen Augen, den er zur Anzeige bringen kann. Dank der literarischen Vorlage verfällt Chabrol nicht in stereotype Klischees wie der des Erpressers, der dem Mörder Geld entlocken will. Kachoudas ist bescheiden, am liebsten möchte er nicht in diese Sache hineingezogen werden, doch er hat ein Gewissen, das ihm zu schaffen macht und das ihn nicht ruhen lässt. All die Charaktere sind glaubwürdig und realistisch gezeichnet, all das ist durchzogen von einer Aura des Unwirklichen, in der die Figuren teils wie Gespenster wirken. Unheimlich ist die Szenerie, weil ein Mord unspektakulär, ohne einen jeglichen Schrei oder ein Wehren vonstattengeht, während sich die Welt weiterdreht, als wäre nichts geschehen.
Auf der Basis des Charakters Labbé entwickelt sich ein Spiel aus Traum und Realität des Hutmachers, der allen Personen vormacht, seine Frau lebe seit 15 Jahren abgeschieden in einem Zimmer seines Hauses, während für den Zuschauer schnell klar ist, dass diese Frau längst nicht mehr existiert und nur noch ein notwendiges Relikt für die Fantasien des kranken Mannes ist. Trotz dieser vielen kleinen, interessanten Ansätze krankt Chabrols Film etwas zu sehr an seinem behäbigen Tempo, gibt sich gemütlich und lässt die Spannungskurve nur selten ansteigen, sodass der ganze Streifen fast im selben Rhythmus erzählt wird, was spätestens in der zweiten Hälfte etwas zu ermüden droht. Mit einem überzeugenden Michel Serrault und einem für Simenon typischen Finale schuf der Regisseur hier einen leicht überdurchschnittlichen Thriller, der nach den Verfilmungen Pierre Granier-Deferres (Der Zug, Der Sträfling und die Witwe, Die Katze) zu den besseren Adaptionen eines Romans des belgischen Schriftstellers gezählt werden darf.
Die Fantome des Hutmachers
Frankreich
1982
-122 min.
Regie: Claude Chabrol
Drehbuch: Claude Chabrol, Georges Simenon
Darsteller: Michel Serrault, Charles Aznavour, Monique Chaumette
Produktion: Philippe Grumbach
Musik: Matthieu Chabrol
Kamera: Jean Rabier
Schnitt: Monique Fardoulis
Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.
01.06.2016
- Der für Chabrol typische Blick hinter die Fassade der Bourgeoisie - kann dieser Thriller dem Genre noch etwas Neues abgewinnen?
mehr...25.12.2020
- Aber kein Sex. Sie schläft ein, er liegt wach daneben und grübelt. Fassade par excellence. Er ist Anwalt. Sie ist Frau, Ehefrau, Mutter und Hausfrau, natürlich mit Dienstmädchen, also eher doch weniger Hausfrau. Die Fassade stimmt.
mehr...21.09.2015
- «Der Schlachter» ist der vielleicht bekannteste Film des verstorbenen Franzosen Claude Chabrol und mittlerweile zum kleinen Klassiker geworden.
mehr...Podcasts zum Artikel
15.09.2014 - Der am längsten inhaftierte politische Gefangene in Frankreich heisst Georges Abdallah. Vorgeworfen wird ihm eine Beteiligung an der Erschiessung eines israelischen [...]
03.02.2009 - Vor 2 Wochen wurden in Moskau die Regimekritiker Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa ermordet.
Mehr auf UB online...
29.11.2023
- Am 7. Oktober, dem 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges, [...] mehr...04.12.2023
- Dass in Zürich eine [...] mehr...