Brother Yakuza hier, Freundschaft dort

Kultur

Takeshi Kitano ist bekannt für Filme wie „Hana-bi“ (1997), „Sonatine“ (1993) oder auch „Kikujiros Sommer“ (1999), in denen die strengen Regeln der Yakuza – so etwas wie die japanische Ausgabe der Mafia – in alle Poren des Erzählten gedrungen sind und Brutalität als wesentlicher Bestandteil der Lebensweise der Mafiosi dargestellt wird.

Kitano Takeshi in Cannes 2000.
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Kitano Takeshi in Cannes 2000. Foto: Rita Molnár (CC BY-SA 2.0 unported - cropped)

23. November 2019
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Gewalt erscheint hier einerseits als Nebensächlichkeit, weil sie derart präsent, konsequent und dauerhaft erscheint, dass man sich die Handelnden ohne Gewaltausübung kaum noch vorstellen kann. Ein Mord wird zur Banalität, die Hinrichtung eines Konkurrenten, Aussenseiters, Verräters zur selbstverständlichsten Sache der Welt. Die handelnden Yakuza morden, wie andere einkaufen oder Kinder erziehen oder irgendeiner anderen alltäglichen Tätigkeit nachgehen. In Kitanos Filmen nehmen die Yakuza zumeist fast völlig den Raum ein, sie scheinen die Zeit, die Geschehnisse zu bestimmen, Schicksal zu spielen.

Andererseits inszeniert Kitano – der sich aufgrund eines Namens, den er sich vor Jahren als Musiker zugelegt hatte, als Schauspieler Beat Takeshi nennt – das Erzählte geradezu „gottlos religiös“ als vorgegebenes Schicksal, an dessen Ende nicht nur viele Leichen den Weg pflastern, sondern auch der Held der eigenen Lebensweise zum Opfer fällt und nur ein winziger Lichtblick auf anderes deutet als die Regeln und das Handeln der Yakuza. In „Sonatine“ etwa flüchtet am Schluss einer der jüngeren Yakuza in die Dunkelheit (während ein anderer dabei ist, seinen Widersachern den Garaus zu machen), um vielleicht ein anderes Leben zu beginnen.

Kitano denkt die Yakuza-Lebensweise zu Ende – und gleichzeitig den japanischen Yakuza-Film. Seine Filme – der Titel „Sonatine“ (kleine, leichte Sonate) etwa weist deutlich darauf hin – sind streng durchkomponierte Szenarien, in denen die besagten Regeln auch das Schicksal der Handelnden vorwegnehmen.

In „Brother“ wagt sich Kitano aus Japan heraus; der Film spielt grösstenteils in Los Angeles und erzählt die Geschichte des japanischen Yakuza Aniki Yamamoto (Takeshi Kitano), der infolge eines Gangsterkrieges Japan verlässt und zu seinem jüngeren Halbbruder Ken (Kuroudo Maki) nach Los Angeles fliegt, der einem Drogendealer-Ring angehört. Dem gehören u.a. auch der schwarze Amerikaner Denny (Omar Epps) sowie Jay (Royale Watkins) und Mo (Lombardo Boyar) an. Für Aniki zählt nur eines: Er will hier versuchen, was ihm in Japan nicht gelungen ist, nämlich eine kleine Gang, die mit Drogen handelt, in ein allmächtiges Gangstersyndikat verwandeln.

Um dies zu erreichen, muss Yamamoto die mexikanische Mafia, die italienische Mafia und einige andere Konkurrenten aus dem Weg räumen. Den Yakuza Shirase (Masaya Kato) kann er nach anfänglichem Widerstand für eine Kooperation gewinnen – aber dies gelingt auch nur, weil sich Yamamotos rechte Hand aus Japan, Kato (Susumu Terajima), der seinem Herrn gefolgt ist, vor den Augen Shirases selbst in den Kopf schiesst, um die Treue zu Yamamoto zu beweisen und Shirase zu verdeutlichen, dass das Angebot der Zusammenarbeit ernst gemeint ist. Die Möglichkeiten der in Verbrechensangelegenheiten erfahrenen italienischen Mafiosi allerdings hat Yamamoto unterschätzt, und am Ende bleibt kaum jemand aus der Gang Anikis übrig ...

Vordergründig ist „Brother“ eine Gewaltorgie. Ich habe nicht gezählt, wie viele Leichen in knapp zwei Stunden der Film „produziert“; es sind etliche. Doch Kitano wäre nicht Kitano, wenn sich seine Filme darin erschöpfen würden. Der Titel des Films deutet auf die unterschwellig immer vorhandene Thematik, die sozusagen parallel zur Haupthandlung – Aufbau und Fall eines Mafia-Syndikats – verläuft. „Brother“ – das bezieht sich zumindest auf drei Personenkonstellationen, die zwischen Yamamoto und seinem Halbbruder Ken, seinem treu ergebenen Kato und Denny.

Diese Beziehungen sind fundamental unterschiedlicher Art. Die Beziehung zu Ken besteht letztlich nur auf dem Papier. Yamamoto muss raus aus Japan. Ken ist sozusagen sein persönlicher Anlaufpunkt, um in Amerika seine Geschäfte fortzuführen. Zwischen beiden besteht nicht viel mehr als eine funktionale Bruderschaft. Kato hingegen ist Yamamoto bis zum Tod treu ergeben. Er verhält sich streng bis zum bitteren Ende an die Regeln der Yakuza wie kaum ein anderer Mafiosi im Film und tötet sich vor den Augen Shirases selbst, um Yamamoto zu ermöglichen, seine Pläne zu Ende zu führen.

Diese halbfeudale Vasallentreue, gepaart mit dem spezifischen Treueid eines „ehrlichen“ Verbrechers, konterkariert Kitano mit der Beziehung zwischen Yamamoto und Denny. Als Aniki in Los Angeles eintrifft, stösst er zufällig auf Denny, dessen Flasche er versehentlich zerstört. Als Denny sich beschwert, greift Aniki – ganz im Sinne der Regel: Räume alles deinen Plänen Hinderliche aus dem Weg – zu einer Scherbe und drückt sie Denny brutal ins Gesicht, so dass dieser eine schwere Augenverletzung davonträgt. Wenig später müssen beide konstatieren, dass sie Mitglieder der gleichen Bande sind und „vergessen“ den Vorfall aus Geschäftsinteresse.

Im Laufe der Handlung kommt es dann allerdings zwischen Yamamoto und Denny zu einer unausgesprochenen Annäherung. Zwischen beiden entwickelt sich eine besondere Form von Sympathie, die sich kaum aus ihrer Kooperation in der Bande erklären lässt. Im Gegenteil: Gegenüber der ansonsten massiv gezeigten Gewaltanwendung – über Strafaktionen wie das Abhacken von Fingern bis hin zu einer Enthauptung in einem Toilettenraum – entwickelt sich die Annäherung zwischen Aniki und Denny geradezu konträr. Erst der Schluss des Films zeigt, wie diametral unterschiedlich hier zwei Tendenzen – das Regelwerk der Yakuza hier, das der Freundschaft respektive Brüderlichkeit dort – inszeniert wurden, von denen erstere lange Zeit die Oberhand hatte.

Anders als in „Hana-bi“ oder „Sonatine“ und erst recht in „Kikujiros Sommer“ mangelt es „Brother“ an der Kitano ansonsten eigenen Komik, einem zumeist trockenen Humor. Nichtsdestoweniger gelang ihm ein spannender und im Vergleich zu den genannten Filmen konsequenter Streifen, der am Schluss wiederum dem einzigen Überlebenden der Bandenkriege die Hoffnung auf ein anderes Leben belässt. Kitano seziert die unterschiedlichen Strukturmerkmale von Brutalität hier, Freundschaft / Brüderlichkeit dort derart haarscharf, dass am Ende deutlich wird, wie unehrlich und hinterhältig der Ehr-Kodex der Yakuza letztlich ist, aus dem wirkliche Freundschaft nicht entstehen kann. Der Tod Anikis symbolisiert das Eingeständnis des Scheiterns von Freundschaft innerhalb des Reglements der Yakuza. Aber immerhin hat Aniki dies erkannt und begeht eine einzige gute, seine letzte Tat.

Ulrich Behrens

Brother

Japan

2000

-

114 min.

Regie: Takeshi Kitano

Drehbuch: Takeshi Kitano

Darsteller: Bette Davis, Joan Crawford, Victor Buono

Produktion: Masayuki Mori, Jeremy Thomas

Musik: Joe Hisaishi

Kamera: Katsumi Yanagishima

Schnitt: Takeshi Kitano, Yoshinori Oota