Rezension zum Film von Ramin Bahrani 99 Homes

Kultur
„99 Homes“ zeigt nüchtern, gerade dadurch aber auch mit gehöriger Wucht, wie Menschen aufgrund der Krise und rücksichtloser Geldmacher ihr Zuhause verlieren. Das ist stark gespielt und trotz der sehr klassischen Geschichte sowie der einfach gezeichneten Figuren ein mehr als sehenswertes Sozialdrama.



Durham, North Carolina. Foto: Ildar Sagdejev (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)




Auch wenn es schon ein paar Jahre zurückliegt, dass eine Anhäufung fauler Kredite zuerst die USA und dann ganz die Welt in die Knie zwang, so gibt es doch noch mehr als genügend Geschichten, die zu dem Thema zu erzählen werden. Siehe The Big Short, siehe nun auch 99 Homes. Anders als die oscargekrönte Genremischung, welche ganz genüsslich und schrecklich komisch den vorangegangenen Wahnsinn auseinandernimmt, ist hier jedoch nicht das kleinste Anzeichen von Humor zu finden. Und um das System geht es auch nur am Rand, vielmehr stehen die konkreten Auswirkungen auf den kleinen Mann im Vordergrund.
Viel braucht Regisseur und Ko-Autor Ramin Bahrani nicht dazu: Die Geschichte ist schnörkellos erzählt, ohne grössere inhaltliche oder inszenatorische Experimente. Und auch die Figuren sind oft nur Mittel zum Zweck. Rick ist das personifizierte Böse, der ohne Skrupel aus dem Elend der Leute Profit schlägt, dafür als Begründung lediglich angibt, nicht so wie sein Vater enden zu wollen – ehrlich und gebrochen. Lynn wiederum darf das moralische Gewissen verkörpern, die im Strudel aus Geldsucht und Geldmangel auf Anständigkeit pocht. Dazwischen treibt etwas hilflos Dennis umher, der zunächst nur für seine Familie sorgen und der Armut entkommen möchte, später aber zunehmend den finanziellen Verlockungen erliegt. 99 Homes ist damit nicht nur ein Film über die Krisenopfer, sondern zeigt auch glaubwürdig auf, dass die Monster nicht immer die anderen sein müssen. Es reicht manchmal, einfach die Möglichkeit zu bekommen, selbst eins zu werden.
Die Versuchungen von Reichtum und Macht ist natürlich klassisches Dramamaterial, immer wieder wirkt 99 Homes dann auch trotz seiner halbwegs aktuellen Geschichte sehr losgelöst von der Zeit. So lange damit aber wie hier grundsätzliche und nachvollziehbare Überlegungen einhergehen, stört das nicht weiter. Die grösste Wirkung zeigt der Film dabei in den kleinen Momenten, wenn es gar nicht so sehr um den Konflikt um richtig oder falsch geht, sondern die plötzlich vor dem Nichts stehenden Randfiguren. Gerade weil 99 Homes eigentlich ein so nüchterner Film steht, ist die Wucht umso grösser, wenn eine Familie plötzlich wortwörtlich auf der Strasse steht, ihr Leben in kleine Kartons verpackt. Da wird kurz mit den Schultern gezuckt, weiter geht's. Schliesslich warten noch genug andere Häuser, die Geld bringen.
Natürlich ist 99 Homes dann auch ein Film, der wütend macht. Wütend auf den rücksichtlosen Rick. Wütend auf Dennis, der vergisst, wo er herkommt. Wütend auf eine Gesellschaft, in der die Mechanismen der Zwangsenteignung grösstenteils völlig legal sind, Menschen eine reine Ware. Das wird von den starken Darstellern getragen, allen voran Michael Shannon, der als eiskalter und widerwärtiger Teufel sogar für einen Golden Globe nominiert war. Umso bedauerlicher, dass dem Sozialdrama hierzulande keine Kinoauswertung vergönnt war, den Film am Ende also sehr viel weniger sehen werden, als dieser es verdient.
99 Homes
USA
2014
-107 min.
Regie: Ramin Bahrani
Drehbuch: Ramin Bahrani, Amir Naderi, Bahareh Azimi
Darsteller: Andrew Garfield, Michael Shannon, Tim Guinee
Produktion: Ashok Amritraj, Ramin Bahrani, Kevin Turen, Justin Nappi
Musik: Antony Partos, Matteo Zingales
Kamera: Bobby Bukowski
Schnitt: Ramin Bahrani
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