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28 Days Later Absturz nach gutem Aufstieg

Kultur

Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so gleichgültig bin – und dass obwohl einem der Protagonisten des Films von Danny Boyle die Augen eingedrückt werden?

28 Days Later.
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28 Days Later. Foto: Diogo Rodrigues Gonçalves (CC BY 2.0 cropped)

5. November 2019
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6 min.
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Vielleicht gerade deshalb. Oder auch deshalb, weil Endzeitszenarien zwar eine nette Sache sind und spannend inszeniert werden können, andererseits Boyles Horror die richtige Spannung, der letzte Schliff, das entscheidende I-Tüpfelchen fehlt – mal abgesehen davon, dass die Grundidee des Films bereits George A. Romero 1973 in „The Crazies“ auf die Leinwand gebracht hatte.

Sicher, die apokalyptische Stimmung wird in „28 Days Later“ durch mit DV von Dogma-Spezialist Mantle aufgenommene Landschaften, menschenleere Autobahnen, Städte und eine dementsprechende leicht düstere, erschreckende Färbung zu einem gewissen Teil, vor allem in der ersten Hälfte des Streifens erzeugt. Auch die Anfangsszenen versprechen zumindest einen nicht ganz inhaltsleeren Unsinn. Einige durchaus erschreckende Szenen ergänzen den ersten guten Eindruck.

Der durch ahnungslose Tierschützer ausgelöste Virusbefall so gut wie der gesamten englischen Bevölkerung durch beissende Versuchsaffen führt bei den durch Blut infizierten Menschen zu deren Verwandlung in wütende, reissende Bestien, die nichts Menschliches mehr an sich haben. Der Fahrradkurier Jim (Cillian Murphy) bekommt von all dem nichts mit. Er erwacht 28 Tage nach dem Beginn der „Rage“-Katastrophe aus dem Koma und sieht ratlos in ein verwüstetes London ohne Leben – bis er (nach einer ersten Begegnung mit einem Pfarrer, der von dem Virus befallen ist) – auf zwei gesunde Menschen trifft: Mark (Noah Huntley) und Selena (Naomie Harris) die ihn über die vergangenen vier Wochen Horror aufklären. Sie hausen in irgendeinem Versteck, haben nur Süsses zu essen und gehen nachts nicht aus dem Haus.

Zusammen begeben sie sich unter grossen Risiken in das Haus von Jims Eltern, die sich das Leben genommen haben, um nicht von den Zombie-Menschen gebissen zu werden. Auf ihrem weiteren Weg treffen sie in einem Hochhaus auf den Taxifahrer Frank (Brendan Gleeson) und dessen Tochter Hannah (Megan Burns).

Bis hierher kann der Film durchaus überzeugen. Das erschreckende Szenario muss alle Beteiligten glauben machen, der schreckliche Virus „Rage“ habe inzwischen die gesamte Erdkugel heimgesucht und es könne nur noch ganz wenige versprengte uninfizierte Menschen geben. Die Bilder einer ausgestorbenen und von einzelnen oder in kleinen Horden auftretenden Killer-Menschen mit glühenden Augen und aufgerissenen Mäulern bewohnten Grossstadt wie London, in der sich die vier letzten Gesunden – Mark wurde inzwischen infiziert und (da die Infektion in Sekunden zum Wesenswandel führt) von Selena erschlagen – versprechen zumindest eine Geschichte, in der die vier auf der Suche nach anderen gesunden Menschen beginnen, ihr Leben langsam aber sicher und in Abwehr der Zombies unter den schwierigen Bedingungen neu zu ordnen.

Weit gefehlt. Der Absturz des Films in einen mittelmässigen blutreichen Showdown lässt jede Hoffnung auf eine doch etwas inhaltsvollere Erzählung endgültig dahinsinken. Frank hatte vor Tagen im Radio gehört, in der Nähe von Manchester befinde sich eine Armeeeinheit, die sich erfolgreich gegen die Infizierten wehre. Als die vier dort eintreffen, sieht es auch zunächst nach Schutz und relativer Sicherheit aus.

Vorher jedoch muss Hannahs Vater noch dran glauben. Er infiziert sich und wird von Jim vor den Augen von Hannah getötet. Major Henry West (Christopher Eccleston), der ein Häufchen von Soldaten anführt, nimmt die drei Neuankömmlinge auf. Bald allerdings stellt sich heraus, dass die Soldaten anderes im Schilde führen. Sie sind innerhalb von gerade mal vier Wochen zu einem verrohten Haufen geworden, der es in eindeutiger Absicht auf Selena und Hannah abgesehen hat. Jim hingegen soll mit einem Soldaten, der sich gegen den psychopathischen West zur Wehr setzt, im Wald exekutiert werden. Natürlich entkommt er, und was nun noch folgt, ist einfach billiger Splatter. Der ganze Film verpufft in einer hirnlosen Verfolgungsjagd und im Blutrausch.

Die Verhaltensweise der Soldaten ist aus dem Gesamtzusammenhang der Situation, in der sie sich befinden, mehr als unverständlich. Dass sie in ihrem Bunker, einem Schloss, in einer solchen apokalyptischen Situation nur an Frauen denken und wie die letzten Idioten handeln, kann einem nur die Sprache verschlagen. Dass es in langwierigen Kriegen zu Verrohung kommt, ist bekannt. Dass eine bewaffnete kleine Truppe jedoch nach vier Wochen sich verhält, als wenn sie gerade aus dem Kessel von Stalingrad gekrochen ist, muss zu der Schlussfolgerung verleiten, dass es sich eher um bewaffnete ehemalige Insassen einer Nervenheilanstalt handelt.

Man kann das natürlich damit abtun, dass es sich – ad 1 – um Männer handelt und dass – ad 2 – Männer, die keine Frauen mehr sehen, weil die alle tot oder Zombies sind, durchdrehen. Für mich sind solche Geschichtchen jedoch – PULP!

All das wäre ja für sich noch nicht einmal tragisch. Hinzu kommt, dass so blutreich der Film ist, so blutleer die Dialoge, die Personen und die Erzählung sind. Der Film rutscht ab, als ob den Machern die Ideen ausgegangen wären. Last but not least enthält der „Horror-Road-Movie“ von London nach Manchester auch etliche Mängel, was die Plausibilität des Handelns der Personen anbetrifft. Zwar fährt man mit dem Taxi zu einem Supermarkt, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen; niemand scheint jedoch auf die Idee zu kommen, ein Polizeirevier zu besuchen, um sich geeignete Waffen zur Verteidigung zu verschaffen – ein Gedanke, er mir gleich zu Anfang des Films sofort in den Sinn kam (und wahrscheinlich darüber hinaus jedem, der in eine solche Lage geraten würde). In der Schlussphase des Films spurtet wiederum Jim zunächst mit Waffe gegen Major West und seine Soldaten, um dann alles, was an Waffen so herumliegt, schlichtweg liegen zu lassen und mit blossen Händen zu operieren.

Summa summarum: trotz eines guten Starts in der ersten Hälfte folgt nichts weiter als Gedankenlosigkeit, Mangel an Ideen und Blut. Zu wenig, um zu überzeugen.

Ulrich Behrens

28 Days Later

England

2002

-

113 min.

Regie: Danny Boyle

Drehbuch: Alex Garland

Darsteller: Cillian Murphy, Naomie Harris, Megan Burns

Produktion: Andrew Macdonald

Musik: John Murphy

Kamera: Anthony Dod Mantle

Schnitt: Chris Gill

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