15 Jahre Wiedersehen mit einer kaputten Frau

Kultur

„15 Jahre“ kombiniert ein tragisches Personenporträt mit Elementen eines Rachethrillers, viel Musik und satirischen Seitenhieben auf das Showgeschäft.

Hannah Herzsprung am Berliner Film Festival, Februar 2012.
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Hannah Herzsprung am Berliner Film Festival, Februar 2012. Foto: Siebbi (CC-BY 3.0 unported - cropped)

4. Februar 2024
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Das Ergebnis ist ein Sammelsurium, das auch im Hinblick auf die Figuren sehr vielfältig ist. Das mag dann vielleicht nicht alles zusammenpassen, manche werden frustriert sein. Aber es ist doch sehr spannend, wenn eine ehemalige begnadete Pianistin mit ihrer gewaltsamen Vergangenheit konfrontiert wird.

In ihrer Jugend galt Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung) als Wunderkind, ihr wurde eine grosse Karriere als Pianistin vorhergesagt. Doch dann kam alles anders, wegen eines brutalen Mordes kam sie ins Gefängnis, wo sie insgesamt 15 Jahre war. Nun ist sie wieder draussen und versucht, in einer von Frau Markowski (Adele Neuhauser) geleiteten christlichen Gemeinschaft wieder auf die Beine zu kommen.

Der Musik hat sie seither abgeschworen, sie verdient als Putzfrau ihr Geld. Zufällig läuft sie dabei Harry Mangold (Christian Friedel) über den Weg, einem ehemaligen Kommilitonen. Er ist es auch, der sie davon überzeugen will, gemeinsam mit Omar Annan (Hassan Akkouch) in einer Talentshow für Menschen mit Behinderung aufzutreten. Empört lehnt Jenny ab. Doch dann stellt sie fest, dass ausgerechnet Gimmiemore (Albrecht Schuch) diese Show leitet – ihr Ex-Freund, der ihr Leben zerstört hat …

Wiedersehen mit einer kaputten Frau

Späte Fortsetzungen von erfolgreichen Filmen sind kein alleiniges Vorrecht von Hollywood. Auch hierzulande kommt es immer mal wieder vor, dass Jahre später auf einmal ein Nachfolger da ist, den niemand erwartet hätte. So kam Eine ganz heisse Nummer 2.0 in die Kinos, acht Jahre nach dem ersten Teil. Mehr als dreissig Jahre waren es, bis der Kultfilm Manta, Manta mit Manta Manta – Zwoter Teil fortgeführt wurde. Und auch bei 15 Jahre handelt es sich um einen solchen späten zweiten Teil. Genauer wird hier erzählt, wie es der aus Vier Minuten (2006) bekannten Jenny ergangen ist, die seinerzeit unschuldig im Gefängnis sass und eine alte Klavierlehrerin kennenlernt. Letztere taucht hier nicht mehr auf. Auch sonst gibt es, von der Protagonistin abgesehen, keine wiederkehrenden Figuren.

Das wird für Fans eventuell enttäuschend sein, hat aber für Neueinsteigende den Vorteil, dass man sich hier auch ohne Vorkenntnisse zurechtfindet. Tatsächlich muss man das Drama gar nicht gesehen haben, viele werden nicht einmal merken, dass das überhaupt ein zweiter Teil ist. Wobei Regisseur und Drehbuchautor Chris Kraus (Die Blumen von gestern) zumindest anfangs in Kauf nimmt, dass ein hinzugekommenes Publikum erst einmal verwirrt ist. 15 Jahre arbeitet da mit vielen Leerstellen, wenn man zum Einstieg weder über die Protagonistin noch ihre Vorgeschichte etwas erfährt. Wir wissen nicht, warum sie im Gefängnis ist, suchen nach Gründen für ihre ständig vor sich hin kochende Wut, die zuweilen gewaltsam ihren Weg nach aussen findet. Aber das muss ja kein Nachteil sein, solange die Figur so faszinierend ist wie diese hier.

Vielschichtiges Highlight

Mit der Zeit setzt sich das Puzzle zusammen, man blickt hinter die Kulissen, auch wenn Jenny ein Stück weit immer ein Rätsel bleibt. Allgemein wird aus dem, was Kraus da abgeliefert hat, kein ganz homogener Film. Dafür streift er zu viele Themen. Er streift auch mehrere Genres: 15 Jahre ist mal tragisches Einzelschicksal, hat später Thriller-Elemente, dazu gibt es viel Musik. Hin und wieder wird es sogar komisch, wenn sich die bissige Klavierspielerin wie die Axt im Wald verhält. Die Passagen rund um die Talentshow gingen auch als Satire durch, vor allem wenn sich ausgerechnet ein Mörder als Helfer benachteiligter Menschen aufspielt. Auf diese Weise schlägt der Filmemacher immer wieder Haken, bei denen man gar nicht sagen kann, wohin sie einen im Anschluss führen werden.

Das Ergebnis ist gleich in mehrfacher Hinsicht spannend, zumal lange offenbleibt, ob Jenny nun ihren Rachegelüsten nachgeht oder nicht. Vor allem aber bleibt der Eröffnungsfilm der Hofer Filmtage 2023 durch die vielschichtigen Figuren in Erinnerung, bei denen es keine einfachen Antworten gibt. Das kann schnell wirr oder nichtssagend werden. Kraus kann jedoch auf ein sehr gutes Ensemble zurückgreifen, das verschiedenste Nuancen ausspielt und ein ähnlich fesselndes Sammelsurium aus Charakteren entstehen lässt, wie es im Hinblick auf das Genre der Fall ist.

Wer sich von ich von eines dieser Läuterungsdramen erhofft, an dessen Ende tränenreich die Welt etwas besser geworden ist, wird sich hier vermutlich die Augen reiben vor Verwunderung. Der Rest darf sich auf ein frühes deutschsprachiges Highlight freuen, dessen Szenen immer wieder durch Mark und Bein gehen.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

15 Jahre

Deutschland

2023

-

144 min.

Regie: Chris Kraus

Drehbuch: Chris Kraus

Darsteller: Hannah Herzsprung, Albrecht Schuch, Hassan Akkouch

Produktion: Ulf Israel, Danny Krausz

Musik: Annette Focks

Kamera: Daniela Knapp

Schnitt: Uta Schmidt

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.