Essay in Contexta Brot und Spiele: Die Grenzen des Nationalismus
Gesellschaft
Nationalistische Spiele wie die EM, WM, Olympiade etc. zelebrieren, festigen und feiern den Nationalismus und befeuern damit patriotische und rassistische Emotionen.

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Das Fussballstadion «Stadiumi Fadil Vokrri» in Pristina, Kosova. Foto: Arianselmani (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)
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Ich gebe der Gesellschaft vieles, aber irgendwie passt es oft auch nicht, weil ich als Migrant mehr Motive für mein Handeln haben könnte, was in der Realität nicht so ist, denn es ist bei jedem Mensch immer alles oder gleich viel möglich. Konkret geht es um das Auspfeifen von Granit Xhaka im Spiel gegen Kosovo in Pristina.
Warum es ganz genau gegangen sein könnte, spielt dabei keine Rolle, denn es liegt am System des Nationalismus. Beim recherchieren stelle ich schnell fest, dass auch der Deutsche Mesut Özil (einer der besten Spieler der Welt) als türkischer Immigrant in seinem ersten Spiel gegen die Türkei, bei jedem Ballkontakt massiv ausgepfiffen wurde oder der Brasilianer Diego Costa der für Spanien spielte, musste das selbe erleiden beim Spiel gegen Brasilien. Zinedine Zidane hat nie gegen Algerien gespielt und ist wohl solchen Szenen somit entkommen. Im Grunde hätten Messi oder Ronaldo in der Schweiz auf die Welt kommen können oder sonst irgendwo und würde somit für dieses Land dann auch spielen. Sofern sie auch so gut geworden wären etc. Das sind alles fiktive Überlegungen, die aber eine Berechtigung haben können, so wie jede Überlegung. Somit könnten wir bei einem Spiel der Schweiz gegen Argentinien Messi auspfeifen, weil er nicht für die Schweiz spielt.– Jetzt lachst du wohl oder verstehst die Welt nicht mehr. Im Grunde ist es dasselbe einen Migranten auszupfeifen der gegen sein Herkunftsland spielt.
Lassen wir jetzt mal diese Gedankenspiele und kommen zum Boden der Tatsachen. Nationalistische Spiele wie die EM, WM, Olympiade etc. zelebrieren, festigen und feiern den Nationalismus und befeuern damit patriotische und rassistische Emotionen. Die FIFA kämpft nicht zufällig gegen Rassismus oder Hooliganismus, sie sind die unerwünschten Effekte im Gegensatz zu den erwünschten Effekten wie die Emotionen zum Patriotismus und Nationalismus. Im Grunde ist aber der Nationalismus etwas Erfundenes, wie die oben genannte Idee, dass Messi schuld sein könnte, dass er nicht in der Schweiz auf die Welt gekommen ist.
Es sind nicht nur Brot und Spiele für das Volk, sondern auch Festigung und Konservierung von Ideologie. Die Athleten sind Identifikationsfiguren wie Superman für die freie westliche Welt oder Jesus für das Christentum. Nur leben diese Athleten mit uns und neben uns. Und wir bekommen mit, was in ihnen vorgeht. Xhaka versteht die Welt nicht mehr und viele mit ihm auch nicht. Es ist ein Spiel und wie fast in jedem Spiel geht es darum zu gewinnen mit allen möglichen Mitteln. Einige kosovarische Fans hofften, mit dem Auspfeifen einen Vorteil für die eigene Mannschaft zu erarbeiten. Was ihnen auch gelungen ist, denn Xhaka ging frühzeitig irritiert vom Feld.
Xhaka selbst scheint es aber nicht sachlich verstanden zu haben. Was auch verständlich ist, denn solche Situationen sind selten und der Umgang damit ungeübt. Da müssten die Betreuer der Teams sich wohl besser vorbereiten, denn schliesslich haben viele Nationalmannschaften Migranten im Team.
Somit können wir sagen, dass solche Paradoxe Erscheinungen im Endeffekt ausgenutzt werden für den eigenen Vorteil. Und wir als Teil dieses Spieles sind entweder Verlierer oder Gewinner. Eine recht nüchterne und emotionslose Erkenntnis.
Doch wieso hat es mich so emotional gemacht, dass ich darüber schreiben musste? Es ist eine paradoxe Situation, die auf einmal in dem ganzen Trott zeigt, wie konstruiert unsere Welt ist. Zum Beispiel kann ein nationalistischer Patriot nicht zwei Nationen im Herzen haben. Mehrere Kinder aber schon. Das ist einfach so. Zwei Pässe sind noch möglich, mehr aber nicht. Nationalismus mag eine unserer neusten Errungenschaften sein, wir müssen ihn aber überwinden.
Nicht zu einer übergeordneten Einheit, eher einer verfeinerten Aufteilung bis hin zur Auflösung oder noch besser; Verbesserung/Überwindung der nationalistischen Idee und zu fluiden Grenzen, die schliesslich sogar Grenzen in den Köpfen und Zölle auf verschiedenen Ebenen überflüssig machen. Das wird aber wohl erst funktionieren, wenn unsere Welt noch schneller wird und so klein und nahe zueinander rückt, dass alle dieselbe Sprache sprechen werden. Erst dann wird wohl vieles einfacher. Und das wird schneller geschehen als wir uns vorstellen können.
Solange etwas eine Grenze hat, die geschützt werden muss, damit es besteht, ist es noch nicht so reif und vor allem so gut, damit es von sich selbst aus bestehen kann. Solange wir etwas in der Entwicklung schützen müssen, wie zum Beispiel ein kleines, neugeborenes Kind, müssen wir dazu schauen, dass es sich gut entwickelt, damit es überhaupt überleben kann. Und wie viele Generationen hat es gebraucht, bis der Mensch zu dem wurde, was er jetzt ist? Somit ist der Nationalismus noch nicht einmal in den Kinderschuhen.


