Am 15. Juni gab es eine Reihe von Protestveranstaltungen. Den folgenden Beitrag habe ich auf der Kundgebung des „Provisorischen anarchistischen Antikriegsrats“ gehalten.
Lesenswerte Romane
„Die Waffen nieder!“ ist der Titel eines 1889 erschienenen Antikriegs-Romans von Bertha von Suttner, der in viele Sprachen übersetzt wurde. Darin beschreibt sie, wie die Gräfin Martha von Althaus, die in einer militarisierten Umgebung aufwächst, zur Pazifistin wird. Anfangs bewundert sie Uniformen und militärischen Ehren. Dann wird die Romanfigur mit 19 Jahren zur Witwe, nachdem ihr Mann freiwillig in den Krieg gezogen ist.Ihren Schmerz erträgt sie mit einem leisen „Stolzgefühl – ein Bewusstsein, dass es sozusagen eine militärische Würde vorstellt, einen geliebten Mann auf dem Felde der Ehre verloren zu haben“. Jedoch ändert sich Marthas Haltung nach und nach, bis sie schliesslich Gewalt und Militär verabscheut. Ihre pazifistischen Überlegungen teilt sie mit ihrem zweiten Mann, einem Offizier, der als vermeintlicher Spion standrechtlich erschossen wird, nachdem er aus der Armee ausgeschieden ist. Martha engagiert sich friedenspolitisch, ebenso wie die Autorin.
In einem zweiten Band „Martha's Kinder“ schildert Bertha von Suttner die Lebenswege von Marthas Sohn aus erster Ehe, Rudolf, und ihrer Tochter Sylvia, deren hingerichteten Vater Martha bis an ihr Lebensende betrauert. Das friedenspolitische Engagement von Mutter und Sohn zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählung. Geschlechterstereotype und heteronormative Klischees prägen beide Bände. Durch ihrer Erzählweise kratzt Bertha von Suttner jedoch auch immer wieder – wenngleich meist recht zurückhaltend – an solchen vermeintlichen Selbstverständlichkeiten.
Die Autorin
Bertha von Suttner wird 1843 in Prag geboren, lebt später überwiegend in Österreich, einige Jahre auch im Kaukasus, und bereist viele europäische Länder, sowie zweimal die USA. 1891 gründet sie die „Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde“, deren Präsidentin sie bis zu ihrem Lebensende bleibt. Gemeinsam mit Alfred Hermann Fried gibt sie ab 1892 sieben Jahre lang die Monatszeitschrift „Die Waffen nieder“ heraus. Sie erscheint in Berlin, wo beide die „Deutsche Friedensgesellschaft“ gründen, die als DFG-VK bis heute besteht.Als einzige Frau nimmt Bertha von Suttner an der ersten Haager Friedenskonferenz 1899 teil, auf der die Bildung des Internationalen Schiedsgerichtshofes „Haager Tribunal“ beschlossen wird. Jedoch erfüllt sich die Hoffnung, dass Staaten dort ihre Konflikte lösen, statt Kriege zu führen, nicht. Unermüdlich setzt sich Bertha von Suttner für den Frieden ein, schreibt Bücher und Artikel, besucht weitere Konferenzen und Politiker in verschiedenen Länder – unter anderem auch US-Präsident Theodore Roosevelt (1858-1919) – und erhält 1905 den Friedensnobelpreis. Sie stirbt 1914, zehn Tage vor Beginn des 1. Weltkriegs.
Das Grauen
Die Gräuel des Krieges beschreibt sie eindrücklich. Im Roman „Die Waffen nieder!“ begleitet Martha Ärzte und Sanitäterinnen, und wird mit dem konfrontiert, was Krieg mit den Körpern der Soldaten anrichten kann (Triggerwarnung). „Schwerverwundete, Operierte und Amputierte […], teils sterbend, teils schon gestorben, Leichen zwischen Verscheidenden und solchen, welche ihr Ende ersehnten. […] sich krümmend unter den Schmerzen ihrer Wunden, und um den Tod gleichwie um eine Wohlthat flehend. […] An den noch immer offenen Wunden saugten Mücken, mit denen sie bedeckt waren; im Fieber funkelnde Blicke irrten forschend umher und suchten nach irgend einer Hilfe – nach Labung, nach Wasser, nach Brot! Mantel, Hemd, Fleisch und Blut bildeten bei den Meisten eine widerliche Mischung.Würmer begannen sich darin zu erzeugen und einzufressen. Ein abscheulicher Geruch erfüllte jeglichen Raum. Alle diese Soldaten lagen auf der nackten Erde, nur Wenige fanden etwas Stroh, auf welches sie ihre elenden, verstümmelten Körper betten konnten. Zerschossene Glieder bildeten nur noch faulende Fleischstücke, Gesichter nur noch eine mit Schmutz bedeckte, zerronnene Blutmasse, in welcher eine unförmliche schwarze Öffnung den Mund vorstellte, welchem grässliche Töne entquollen. Die fortschreitende Verwesung trennte ganze abgestorbene Teile von diesen elenden Körpern. […] eine krabbelnde, wimmernde Masse halbverfaulter Menschenreste.“
Warum?
Nachdem Martha dies teils selbst gesehen, teils sich hat schildern lassen, fragt sie, wie es sein kann, „dass Menschen einander in solche Lage bringen, – dass Menschen, die so etwas gesehen, nicht kniend hinsinken und den leidenschaftlichen Eid schwören, gegen den Krieg zu kriegen: dass sie […] nicht fortan ihr ganzes Wirken, in Wort und Schrift, in Denken, Lehren und Handeln dem einen Ziele widmen: Die Waffen nieder!“Und sie fragt: Warum „Rache und immer wieder Rache? […] wann nimmt das ein Ende? Wie kann Gerechtigkeit erlangt, wann altes Unrecht gesühnt werden, wenn als Sühnemittel immer wieder neues Unrecht angewendet wird? Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen – nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!“
Patriarchale Anmassung
Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“ ist bis heute aktuell. Die Waffen sind vielfältiger und immer zerstörerischer geworden. Sie folgen der Effizienzlogik, möglichst viele Menschenleben auf einen Schlag zu vernichten. Die Digitalisierung – die von Anfang an militärisch motiviert war – perfektioniert als vermeintlich intelligente Technologie das Morden, ebenso wie die Entwicklung von Biowaffen. Die patriarchale Anmassung, über Leben und Tod zu entscheiden, zeigt sich ebenso in Gentechnik und Reproduktionsmedizin, im Alltag in Femiziden, Amokläufen und anderen Gewalttaten.„Die Waffen nieder!“, das heisst: Gegen jeden Krieg, gegen jedes Militär, und gegen jede Form patriarchaler Herrschaft und Gewalt!
Anmerkungen
Bei dem oben geschilderten Grauenhaften, das Soldat*innen an der Front droht, darf das Leiden ziviler Opfer nie vergessen werden. Das ist jedoch nicht das Thema in Bertha von Suttners Roman.
Aus aktuellem Anlass möchte ich hier aber darauf hinweisen, dass es nicht weit vom Veteranenfest und den Protesten seit dem 13. Juni ein Gaza-Protestcamp „Besetzung gegen Besatzung“ gibt, auf der Wiese an der Heinrich-von-Gagern-Strasse vor dem Reichstag.
Hinweisen möchte ich auch auf die Recherchen der DFG-VK-Jugend zum Veteranentag. In mehreren Städten haben sie mit Adbusting-Plakaten kenntlich gemacht haben, dass „durch die Bundeswehr nach wie vor ein brauner Geist weht“.
Bertha von Suttners Romane „Die Waffen nieder!“ und Martha's Kinder! stehen mehrfach online, unter anderem bei zeno.org.