Forderung nach härteren Strafen und besserer Ausrüstung der Polizei Deutschland zum Jahreswechsel – von Böllern bedroht?

Gesellschaft

Das fängt ja gut an. Während die Berichterstatter der Nation im Rest der Welt Silvesterfeiern mit „berauschendem Feuerwerk“, ausgelassener Stimmung am Big Ben, der Copa Cabana und New York sehen, macht der Blick ins eigene Land ihnen schon wieder Sorgen.

Silvester am Rheinufer in Düsseldorf, 31. Dezember 2022.
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Silvester am Rheinufer in Düsseldorf, 31. Dezember 2022. Foto: Renate Dillmann

5. Januar 2023
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So berichtet die Tagesschau am Neujahrstag gleich in ihrer ersten Meldung, dass Ordnungskräfte, Rettungsdienste, Feuerwehren und Strassenreinigung es zur Jahreswende „mal wieder“ und zugleich „so schwer wie noch nie“ hatten!

Als ob die Staatsmacht nicht schon 364 Tage und Nächte genug zu tun hätte im endlosen Kampf gegen das Böse, gegen Extremisten, Terroristen, Spione, Islamisten, Faschisten, Kommunisten, Anarchisten, Chaoten, Clans, Kriminelle, Illegale, Irre im Inland und beim Export ganz anderer Böller und Raketen in alle Welt (zur Bewahrung von Frieden und Freiheit natürlich) nun auch noch das.

Das Volk böllert am 365. Tag – ohne heissen Herbst wohlgemerkt und bei 15 Grad plus zu Silvester – trotz lokaler Feuerwerks-Verbote und Klimawandel wild drauf los! Schlimmer noch: Die „Ordnungskräfte“, medial verkörpert durch die Feuerwehr, nicht durch die Polizei, berichten von zahlreichen Angriffen auf die „Helfer“.

Zwar fehlt es an jeglichen Beweisen für die unsagbare Brutalität, die ansonsten stets zumindest durch Amateuraufnahmen belegt werden kann (die „Tagesschau“ suggeriert durch den Schnitt ihrer Bilder tatsächlich, dass Feuerwehr beim Löschen eines Hausbrands behindert wurde, während die „junge Welt“ von „brennenden Mülltonnen“ berichtet), aber das Urteil steht fest: Grundlos und wider aller Vernunft greifen in deutschen Grossstädten unbestimmte Subjekte jene Kräfte an, die ihnen doch nur helfen wollen!

Eine Erfindung der Presse? Oder Propaganda der zunehmend von AfD und Nazis unterwanderten Berufsvereinigungen von Polizei und insbesondere der Feuerwehr? Mag sein. Und wenn nicht?...

Dann hätte eine um Aufklärung bemühte Presse zumindest die Aufgabe zu ermitteln, wie es zu dieser vermeintlich irrationalen Wut auf die Ordnungskräfte kommt. Anhaltspunkte gäbe es ja:

1. Eine zunehmend grosse Zahl angestammter, sowie zugezogener und geflüchteter, in jedem Fall aber verachteter armer Teufel, die sich sinn- und zwecklos an einer Ordnung (ab)arbeiten, die ihnen kein materielles Zurechtkommen, keine Familie, keine gesellschaftliche Anerkennung und kaum eine gesellige Zusammenkunft gewährt.

2. Die erzwungene Ergebenheit braver Knechte gegenüber den „Sachzwängen“ einer Nation der steigenden Preise, Renditen und Ansprüche gegen jene, die das Privileg eines Arbeitsplatzes im Menschenrechtsparadies Deutschland geniessen.

3. Die kleine kompensatorische Hoffnung, wenigstens nach vollbrachter Dienstbarkeit am Ende des Jahres (ziemlich grund- und sinnlos übrigens!) einmal ein Recht auf Krach, ein Recht auf Ausgelassenheit und ein Recht auf die Strasse zu haben, in der man sonst als Paketzusteller, Bettler, Putzfrau, Müllmann und Taugenichts existiert und wahrgenommen wird. Und in der einen die Polizei auch am Silvesterabend als Problem einstuft und vorsorglich in Mannschaftsstärke aufmarschiert.

4. Vielleicht auch die „Testosteron gesteuerten party people“, die die Gelegenheit nutzen, einmal im Beisein des weiblichen Publikums den eigenen Mut und die Kampfbereitschaft jenseits allen Klassenbewusstseins unter Beweis zu stellen...

All das böte reichlich Stoff, nachzufragen und über Ursachen nachzudenken, wenn man der vermeintlich grundlosen Aggressivität (so sie denn überhaupt so wie behauptet stattgefunden hat) auf die Spur kommen wollte.

Die Presse lässt sich allerdings nicht beirren: Es braucht keine Aufklärung über die Fakten und schon gleich keine (soziologische) Ursachenanalyse für die einseitige und ungeprüfte Beschuldigung. Was die Nation stattdessen braucht, ist klar: Der Rechtsstaat kann „solche Formen der Verrohung von Gewalt nicht hinnehmen“ (Nancy Faeser, Tagesschau vom 2.1.): Die Konsequenzen heissen härtere Strafen, bessere Ausrüstung der Polizei (nicht der Rettungsdienste – oder kriegen die Sanitäter jetzt mehr Geld, kürzere Einsatzzeiten und bessere Ausrüstung?!) und überhaupt mehr innere Sicherheit.

Das BILD von der „notorisch bedrohten Nation“ gehört bekanntlich zu den alltäglichen Kontinuitäten der öffentlichen Berichterstattung vor und nach 1945 im Reich der Dichter und Henker, also mit und ohne Gleichschaltung ihrer Presseorgane. Das gilt für den letzten Tag des alten Jahres wie den Start ins neue…

Na dann, Prosit Neujahr!

Renate Dillmann