Je älter, desto mehr Wohnfläche Wie die Babyboomer im Alter die Umwelt belasten

Gesellschaft

Einst wollten sie die Umwelt schützen. Heute belasten die Babyboomer die Natur mit wachsendem Bedarf an Wohnraum und Heizenergie.

Umzug in eine kleinere Wohnung: Für viele ältere Hauseigentümer kein Thema.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Umzug in eine kleinere Wohnung: Für viele ältere Hauseigentümer kein Thema. Foto: Jbergner (CC BY-SA 4.0 cropped)

23. Januar 2018
0
0
4 min.
Drucken
Korrektur
Neu ist das Problem nicht: Wenn in Familien die Kinder ausziehen, steigt pro Person der Verbrauch an Wohnraum und Heizenergie. Das gilt sowohl für die Ausziehenden als auch für die in den Einfamilienhäusern und Familienwohnungen zurückbleibenden Eltern.

Mehrere Faktoren aber verschärfen jetzt dieses Problem: Die Babyboom-Generation (Jahrgänge 1945 bis 1964), die in ihrer Jugend die Welt verbessern wollte und den Umweltschutz ins Leben rief, erreicht jetzt das Pensionsalter. Diese Babyboomer leben vielfach in Einfamilienhäusern oder geräumigen Wohnungen, die vor mehr als 30 Jahren gebaut wurden und energetisch wenig effizient sind. Sie leben länger als frühere Generationen. Sie bleiben auch länger in den angestammten Räumen, denn verschiedene Schranken erschweren heute den Umzug in neue kleinere Wohnungen. Zudem leben mehr Alte allein, weil sie sich scheiden liessen oder verwittwen.

Je älter, desto mehr Wohnfläche

Die Folgen dieser Faktoren zeigen die Daten über den durchschnittlichen Wohnraumbedarf, aufgeschlüsselt nach Altersklassen: Die die mittlere Wohnfläche von 50 Quadratmetern pro Person steigt demnach ab der Altersklasse 50 steil an, weil dann der Auszug der Kinder beginnt. 60-Jährige beanspruchen im Schnitt bereits mehr als 60 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf, 80-Jährige über 70 Quadratmeter. Ab diesem Alter steigt der Wohnraumbedarf pro Kopf deshalb noch weiter, weil der Anteil an Einzelhaushalten infolge Verwittwung steigt.

Die obigen Zahlen hat das auf sozioökonomische Forschung spezialisierte Büro Rütter Soceco für eine Studie des Nationalen Forschungsprogramms NFP 71 erhoben. Bei dieser Studie geht es darum zu erfassen, wie viel Energie die alternde Babyboom-Generation im Wohnbereich sparen kann, und wie sich dieses Sparpotenzial ausschöpfen lässt. Die Verfasser, die ihren Schlussbericht im nächsten Herbst vollenden wollen, verfolgen dazu zwei Strategien.

Wohnfläche pro Person senken

Erstens gilt es, den altersbedingten Anstieg der Wohnfläche zu begrenzen. Das ist auf zweierlei Arten möglich: Entweder ziehen die Alternden von ihrem Einfamilienhaus oder ihrer geräumigen Familienwohnung in eine kleinere Wohnung um. Oder sie sorgen dafür, dass mehr Personen in ihren bisherigen Räumen leben, etwa, indem sie eine Einliegerwohnung einrichten. Diese sogenannte «soziale Verdichtung» stösst jedoch auf Hindernisse. Umzugswillige müssen in kleineren, meist neueren und damit auf teurerem Boden stehenden Wohnungen oft höhere Wohnkosten in Kauf nehmen als etwa in ihrem bestehenden, teils amortisierten Einfamilienhaus. Der Bau von Einliegerwohnungen steht zuweilen im Konflikt mit dem bestehenden Baugefüge oder den Baugesetzen.

Dazu kommen persönliche Widerstände. Das zeigt eine die Studie begleitende Befragung: Zwar nimmt der Anteil der Leute, die ihre Wohnung als zu gross empfinden, ab dem 55. Altersjahr deutlich zu. Doch 24 Prozent aller befragten über 55-jährigen Einfamilienhaus-Besitzer und 38 Prozent der Wohnungs-Eigentümerinnen gaben an, sie wünschten «keine Veränderung» ihrer Wohnsituation; in der Praxis dürfte der fehlende Veränderungswille noch grösser sein.

Wohnbauten energetisch sanieren

Zweitens lässt sich der Energieverbrauch im Wohnbereich senken, indem die Eigentümer ihre Energieeffizienz steigern. Dazu dienen Sanierungen von Gebäudehüllen und Heizungen. Doch hier gibt es ebenfalls Schranken. Mit zunehmendem Alter sind die Menschen weniger bereit, die Umtriebe und Kosten in Kauf zu nehmen, die energetische Sanierungen mit sich bringen.

Zudem fehlt es manchen älteren Leuten an finanziellen Mitteln oder an Kreditwürdigkeit. «Insbesondere für Einfamilienhaus-Eigentümer ist eine Aufstockung der Hypothek oder eine neue Hypothek problematisch», konstatieren die Studienverfasser. Denn mit dem von den Banken kalkulierten Zinssatz von fünf Prozent erfüllten viele Leute nach der Pensionierung und zum Teil schon davor die geforderte finanzielle Tragbarkeit nicht.

Hürden senken, aber wie?

Um den zunehmenden Energie-, Raum- und Naturverbrauch zu begrenzen, den die alternden Babyboomer im Bereich Wohnen verursachen, besteht ein «beachtliches Potenzial», stellt die Nationalfonds-Studie zusammenfassend fest. Will die Schweiz dieses Potenzial ausschöpfen, sind die erwähnten Hürden zu senken. Dazu brauche es tragbare Hypotheken für energetische Sanierungen und bauliche Verdichtungen, aber auch gesetzliche Anpassungen, um bauliche Verdichtungen zu erleichtern, fordern die Autoren. Ebenso wichtig sei es, die Motivation der alternden Bevölkerung zu erhöhen, etwa durch Appelle an die soziale Verantwortung gegenüber dem Umwelt- und Klimaschutz oder durch spezifische Informations- und Beratungsangebote.

Wirkungsvoller und bürokratisch weniger aufwändig wäre eine Lenkungsabgabe auf Wohnraum. Mit diesem marktwirtschaftlichen Anreizmittel könnte der Staat die Leute, die überdurchschnittlich viel Wohnraum und Wohnenergie für sich beanspruchen, zur Kasse bitten und mit dem Ertrag jene Leute belohnen, die sich mit weniger Wohnraum und Energie als der Durchschnitt begnügen. Damit liessen sich auch die Differenzen zwischen tiefen Wohnkosten von alten, umweltbelastenden Einfamilienhäusern und neuen, energieeffizienten und verdichteten Wohnungen vermindern. Doch dieses einfache und wirkungsvolle Mittel stösst auf politischen Widerstand der wachstumsorientierten Wohnbau- und Energiewirtschaft. Darum wird es in der vorliegenden Studie nicht einmal erwähnt, geschweige denn vorgeschlagen.

Hanspeter Guggenbühl / Infosperber