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Tatmotiv: Misogynie. Frauen als Opfer rechter Gewalt

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Frauen als Opfer rechter Gewalt Tatmotiv: Misogynie

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Gesellschaft

Seit 1945 wurden in der heutigen Bundesrepublik Deutschland über 300 Menschen von rechten und neonazistischen Gewalttätern ermordet.

Anti-Misogynie, Bukarest, April 2013.
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Anti-Misogynie, Bukarest, April 2013. Foto: Julieta39 (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 27. November 2020
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Anlässlich des Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen* am 25. November erinnern wir an einige der Opfer. Abwertung und Unterdrückung von Frauen* bis hin zu tödlicher Gewalt gegen sie sind fester Bestandteil von unterschiedlichen ultrakonservativen, rechten und neonazistischen Ideologien. Das zeigen Studien und Recherchen der letzten Jahrzehnte über Dominanz, Gewaltbereitschaft und rechte Tötungsphantasien, von Klaus Theweleits ‚Männerphantasien' über faschistische Frauenbilder bis zu aktuellen Forschungen zu Incel- und Rechtsterrorismus.

Der Antifeminismus, der in diesen Gewaltakten mündet, wird aber nicht zuletzt tatkräftig aus den Reihen der rechten Formierungen, der Evangelikalen, der Konservativen und weiterer, auch parlamentarischer, Akteure befeuert, die ein hierarchisches Geschlechterverhältnis aufrecht erhalten und die kapitalistischen Verwerfungen und Unsicherheiten durch eine Rückkehr zu einer Welt ohne feministische Gegenwehr (notfalls auch mit Gewalt) herbeizwingen wollen.

Jüngstes Beispiel: Die Debatte über die künftige Ausrichtung der Alternative für Deutschland (AfD) in Fragen der Sozialpolitik, welche die Partei am kommenden Wochenende (28./29. November 2020) führen will. Ihr Sexismus, Antifeminismus und Antikommunismus fällt derzeit auch bei all jenen Menschen auf fruchtbaren Boden, denen durch die bisherige neoliberale Politik der Leistungsoptimierung und In-Konkurrenz-Setzung die Luft zum Atmen immer dünner wird. Feminismus, Frühsexualisierung und ganz allgemein „gesellschaftlicher Wandel“ habe, so greift die AfD in ihrem Leitantrag dieses Sentiment auf, dazu geführt, dass eine „Bestandserhaltung“ des „Volkes“ aktuell nicht umfassend genug stattfände: „In einer zunehmend auf die eigene Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten, hedonistischen Gesellschaft ist die Bereitschaft naturgemäss gering, zugunsten einer stabilen Ehe auf eigene Wünsche zu verzichten.

Entsprechend hoch ist die Trennungsrate.“ Dass sich vor allem Frauen* nicht mehr ohne weiteres in gewaltvolle und ausbeuterische Beziehungen qua Zwang (ökonomisch, politisch oder religiös durch ein ewiges Ehegelübde begründet) einlassen müssen, findet die AfD höchst bedauernswert. Allerdings: Eine Welt ohne feministische Gegenwehr, die hat es noch nie gegeben – und wir werden auch künftig diesen Bestrebungen mit aller Kraft entgegentreten.

Die folgenden Falldokumentationen entstammen dem jüngst veröffentlichten Band „Kein Vergessen – Todesopfer rechter Gewalt nach 1945“, erschienen im Unrast Verlag. Autor Thomas Billstein widmet sich darin den über 300 Todesopfern rechter Gewalt in Deutschland. Anliegen des Buchs ist es, den Opfern zu gedenken, aber auch auf die unvermindert drohende Gefahr durch rechte, nationalistische und neonazistische Gewalttäter aufmerksam zu machen. Autor und Verlag stellten uns die dokumentierten Morde mit dem Tatmotiv Misogynie – das meint die Verachtung und Abwertung von Frauen*, Frauenhass – zur Veröffentlichung im Kontext des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen* zusammen.

Fatma E.

Verstorben am 25. September 1984

Tatort: Berlin Status: Nicht offiziell anerkannt Motiv: Misogynie

Fatma E. wurde bei einem Attentat auf eine Beratungsstelle für Migrantinnen erschossen. Die tödliche Gewalttat ereignete sich im Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Dort wurden überwiegend Frauen beraten, die sich vor häuslicher Gewalt in der Familie schützen wollten. Fatma E. war als Klientin in einem Gespräch mit Seyran Ateş, die heute als Autorin und Rechtsanwältin in Berlin tätig ist, als der Täter in den Raum stürmte und auf beide Frauen schoss. Dabei wurde Fatma E. tödlich getroffen. Seyran Ateş überlebte eine lebensgefährliche Verletzung und benötigte mehrere Jahre für den Heilungsprozess.

Obwohl der Täter durch einige Zeug*innen identifiziert wurde und eine Zugehörigkeit zu den rechtsextremen Grauen Wölfen festgestellt wurde, konnte er vor Gericht einen Freispruch mangels Beweisen erwirken. Dies lag auch daran, dass der vor Gericht geladenen Vertreter des Verfassungsschutzes sich weigerte, Auskunft und Hintergründe über die Grauen Wölfe preiszugeben.

Birgit Meier

Verstorben im August 1989

Tatort: Lüneburg, Niedersachsen Status: Verdachtsfall Motiv: Misogynie

Birgit Meier wurde von einem rechten Serienmörder entführt und erschossen.

Die Ermordete war Fotografin und hatte sich einige Monate vor der Tat von ihrem Ehemann getrennt, welcher ein erfolgreicher Unternehmer war. Sie lebte alleine in dem ehemals gemeinsamen Haus. Birgit Meier hinterliess eine erwachsene Tochter und wurde 41 Jahre alt. Seit dem 15. August 1989 wurde sie vermisst.

Aufgrund der beendeten Beziehung und der noch nicht geklärten Gütertrennung wurde nach dem Verschwinden zunächst der Exmann verdächtigt, Birgit Meier etwas angetan zu haben. Die Untersuchungen von Polizei und Ermittlungsbehörden waren von zahlreichen Ermittlungsfehlern gezeichnet und führten über Monate und Jahre nicht zum Erfolg, das Opfer blieb zunächst spurlos verschwunden.

Erst mit der Einsetzung einer neuen Staatsanwältin kamen weitere Ermittlungen in Gang. Im Jahr 1993 wurde gegen den Friedhofsgärtner Kurt-Werner Wichmann Anklage wegen Mordverdachts im Fall Birgit Meier erhoben. Täter und Opfer kannten sich flüchtig, u.a. durch eine gemeinsam besuchte Party. Bei der Hausdurchsuchung fanden die Ermittler*innen zahlreiche Waffen, Folterwerkzeuge und ein im Garten vergrabenes Auto, indem sich zwar Blutflecken, aber keine Leiche befanden. Der Täter war kurz vor der Durchsuchung geflohen, wurde aber kurze Zeit später bei Heilbronn gefasst und festgenommen. Er erhängte sich nach einigen Tagen in der U-Haft, ohne sich zuvor konkret zum Tatverdacht zu äussern.

Kurt-Werner Wichmann wurde bereits in der Jugend durch extreme Gewalttaten und Sadismus auffällig. Im Haus seiner Eltern bedrohte er eine Untermieterin mit einem Messer und versuchte sie zu erwürgen. 1968 wurde er dringend tatverdächtig, eine Radfahrerin hinterrücks erschossen zu haben. 1970 wurde er für die Vergewaltigung einer Anhalterin zu fünfeinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Bei der Hausdurchsuchung fanden sich in einem versteckten Raum neben Waffen auch rechtsextreme Bücher und Propaganda. Zudem hisste der Täter auf seinem Grundstück oftmals die Reichskriegsflagge.

Erst im September 2017 wird im ehemals vom Täter bewohnten Haus die Leiche von Birgit Meier entdeckt, da sich ihr Bruder, der ehemalige Leiter des Landeskriminalamts Hamburg, in seiner Freizeit mit anderen Helfer*innen weiter um die Aufklärung des Falls bemühte.

Kurt-Werner Wichmann ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch an anderen Morden beteiligt gewesen. Dies gilt vor allem für die sogenannten ›Göhrde Morde‹, zwei Doppelmorde im niedersächsischen Staatsforst Göhrde. Hier geht die Polizei allerdings davon aus, dass Wichmann einen Mittäter hatte.

Der Fall ist als Verdachtsfall aufgeführt, weil die Tatmotivation offenkundig zwar kein rechtes Motiv erkennen lässt, der Täter allerdings neben seinem gewalttätigen frauenfeindlichen Angriffen, ein auf den Nationalsozialismus basierendes abwertendes Menschenbild verinnerlicht hatte.

Beate Fischer

Verstorben am 23. Juli 1994

Tatort: Berlin Status: 2018 offiziell anerkannt Motiv: Misogynie

Beate Fischer wurde von vier Neonazis misshandelt, vergewaltigt und erwürgt.

Die Frau, die im Alter von 32 Jahren starb, kam aus Berlin-Weissensee. Sie war Sexarbeiterin und hinterliess einen Ehemann und zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren.

Beate Fischer traf am Abend der Tat am S-Bahnhof Lichtenberg auf die Täter und war ihnen zunächst freiwillig in die Wohnung von Heiko B., ebenfalls Neonazi und ein Bekannter der vier Täter, gefolgt. Nachdem es anfänglich vermutlich zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam, wurde das Opfer misshandelt. Beate Fischer wollte daraufhin gehen, wurde jedoch durch die Neonazis daran gehindert. Anschliessend vergewaltigten sie die Sexarbeiterin mehrfach und strangulierten sie. Am nächsten Tag wurde ihr Leichnam zu den Mülltonnen in den Hof des Hauses gelegt.

Die besagte Wohnung war den Ermittler*innen als Neonazi-Treff bekannt, so dass Ermittlungen in die rechte Szene unternommen wurden. Die Täter Oliver P. und Mirko D. gestanden später, an der Ermordung von Beate Fischer beteiligt gewesen zu sein. Daraufhin wurde am 26. Juli 1994 auch der damals 22-jährige Matthias F. aus Reinickendorf festgenommen.

Das Landgericht Berlin verhängte eine lebenslange Haftstrafe für den Haupttäter und neun bzw. zehn Jahre Jugendstrafe für die Mittäter.

Bianca B.

Verstorben am 20. Februar 2008

Tatort: Leer, Niedersachsen
Status: Nicht offiziell anerkannt
Motiv: Misogynie


Bianca B. wurde von einem rechten Freund erwürgt und enthauptet. Kurz bevor er weitere geplante Morde durchführen konnte, tötete der Täter sich selbst.

Die Ermordete arbeitete als gelernte Arzthelferin und verstarb im Alter von 27 Jahren. Täter und Opfer kannten sich gut und hatten in der Vergangenheit eine sexuelle Beziehung. Offensichtlich strebte der Täter Matthias S. eine feste Bindung mit dem Opfer an, das aber nicht daran interessiert war. In den frühen Morgenstunden erwürgte der zweiunddreissigjährige Täter Matthias S. die siebenundzwanzigjährige Frau. Dann köpfte er die Leiche mit einer Machete und machte zahlreiche Fotos von der entkleideten Leiche. Anschliessend setzte der Täter seine Wohnung in Brand und fuhr mit seinem Auto weg. Unterwegs wurde allerdings die Polizei auf das Auto aufmerksam. Matthias S. raste daraufhin mit seinem PKW in einen entgegenkommenden Laster. Er war augenblicklich tot und somit fanden keine weiteren Angriffe mehr statt. Im Autowrack fand die Polizei Waffen und den abgetrennten Kopf von Bianca B.

Wie genau der Täter weitere Morde geplant hatte, liess sich seinem Abschiedsbrief entnehmen: »Die Leute, die ich umgebracht habe stellen für mich die Gesellschaft dar. (...) sie sind die Angehörigen derjenigen, die mich ungerecht behandelt haben.« Gemeint waren hier vermutlich staatlich Bedienstete und Sachbearbeiter*innen, da sich der Täter im Brief u.a. über ein Gerichtsurteil nach einem Verkehrsdelikt beklagte und darüber, dass ihm sein Arbeitslosengeld gekürzt worden war. Der Mörder war Fan von (rechter) Metalmusik und bekennender Antisemit. In seinem Abschiedsbrief hiess es unter anderem: »Ja, ich habe eine Einstellung, die man als ›rechts‹ bezeichnen kann.« Danach folgten Hetztiraden und die Anzweiflung des Holocaust.

Obwohl in vielen Medien die persönliche Komponente und der unerfüllte Beziehungswunsch in den Vordergrund gerückt wurde, war der geplante, aber glücklicherweise nicht erfolgte, Serienmord mit den Bekenntnissen eines gefestigten rechten und antisemitischen Weltbildes nicht zu übersehen. Die Tat sollte daher nicht nur als Verdachtsfall betrachtet werden.

Redaktion
revoltmag.org

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