„Sicherheitsesoterisches Geschwurbel“ 60 Dinge, die ab jetzt jedes EU-Land fünf Jahre über deine Flugreise speichert

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Das Europäische Parlament hat am 14. April für die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung für Fluggastdaten gestimmt.

Emirates Airbus A380-861 auf dem Flughafen von München.
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Emirates Airbus A380-861 auf dem Flughafen von München. Foto: Julian Herzog (CC BY 4.0 cropped)

20. April 2016
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Die umstrittene Richtlinie verpflichtet alle europäischen Fluggesellschaften die Passagierdaten (PNR) an alle EU-Staaten weiterzugeben. Behörden in den 28 Mitgliedsländern können dann die pro Flug und Passagier etwa 60 anfallenden Einzeldaten speichern, rastern und verarbeiten.

Zu den Daten gehören die Essenwünsche der Flugreisenden genauso wie Kreditkartennummer, Mitreisende, Wohnort oder E-Mailadresse. Die Daten dürfen für fünf Jahre gespeichert werden. Alleine auf deutschen Flughäfen werden jedes Jahr 216 Millionen Passagiere abgefertigt. Durch diese neue Vorratsdatenspeicherung entsteht eine gigantische Menge an Daten, die nicht nur eine Erfassung der Mobilität ermöglicht, sondern über die Essensauswahl auch Rückschlüsse auf andere sensible Details wie die Religionszugehörigkeit zulässt. Wie die Daten gerastert werden könnten, erklärt der ehemalige Europol-Chef Max-Peter Ratzel im SRF. 2013 stand die Richtlinie vor dem Aus

Besonders bitter aus Sicht von Privatsphäre und Grundrechten ist, dass die Richtlinie im Jahr 2013 schon kurz vor dem Aus stand. Die Konservativen im Europaparlament drängten jedoch weiter darauf, dass die Richtlinie abgestimmt wird und waren bislang am Widerstand von Liberalen und Sozialdemokraten gescheitert. Seit den Anschlägen von Brüssel hatten mehrere EU-Innenminister den Druck noch einmal verstärkt, die Abstimmung wurde dann sogar vorverlegt, obwohl es überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, dass Flugdaten irgendeine Hilfe bei der Abwehr von Anschlägen sind.

Die Einführung der Vorratsdatenspeicherung für Fluggäste hat bei den Oppositionsparteien im Europäischen Parlament starke Kritik ausgelöst. Cornelia Ernst, Abgeordnete für die Linke im Europaparlament, sagt:

«Die Speicherung von Fluggastdaten ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre und wird vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen müssen, genauso wie auch sein grosser Bruder, die EU-USA-Fluggastdatenspeicherung. Darüber hinaus fehlt bislang jedweder Beleg, dass eine Fluggastdatenspeicherung (bis zu 60 Einzeldaten, gespeichert für fünf Jahre) auch nur irgendeinen Effekt auf eine erfolgreiche Terrorismusprävention nimmt.»

Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), kritisierte die Richtlinie als nutzlos. Es solle ein trügerisches Gefühl der Sicherheit erzeugt werden, doch schon heute sei absehbar, dass auch diese Richtlinie von den höchsten Gerichten als verfassungswidrig kassiert werden würde. „Sicherheitsesoterisches Geschwurbel“

Ähnlich äusserte sich auch Jan Philipp Albrecht von der Grünen-Fraktion. Die anlasslose Analyse und Speicherung von Fluggastdaten aller Reisenden helfe nicht weiter. Sie sei ein teures Placebo, das nach Schätzungen der Europäischen Kommission etwa 500 Millionen Euro kosten würde.

Auch von Bürgerrechtsorganisationen kommt Kritik. Alexander Sander, Geschäftsführer von Digitale Gesellschaft e. V., setzt sich seit Jahren gegen die Speicherung von Fluggastdaten ein. Er sagt:

«Statt ihrer Verantwortung nachzukommen und die Grundrechte von 500 Millionen Europäern zu verteidigen, sind die Abgeordneten auf das sicherheitsesoterische Geschwurbel konservativer Hardliner reingefallen.»

Markus Reuter
netzpolitik.org