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Marsch für das Leben: Abtreibungsgegner:innen mit Rückenwind vom Staat

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Abtreibungsgegner:innen mit Rückenwind vom Staat Marsch für das Leben

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Gesellschaft

Auch dieses Jahr versammeln sich wieder Abtreibungsgegner:innen in der Bundesrepublik, um dafür zu protestieren, dass die Rechte von Schwangeren weiter eingeschränkt werden.

Protest für ein Recht auf Abtreibungen und gegen eine Demonstration von christlichen Gruppen unter dem Motto „Marsch für das Leben“ gegen Abtreibungen am 19. September 2020 in Berlin.
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Protest für ein Recht auf Abtreibungen und gegen eine Demonstration von christlichen Gruppen unter dem Motto „Marsch für das Leben“ gegen Abtreibungen am 19. September 2020 in Berlin. Foto: Leonhard Lenz (PD)

Datum 18. September 2025
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Aktionen soll es in Berlin und Köln am 20.9. geben. Letztes Jahr wurden in beiden Städten jeweils 3.500–4.000 Menschen (laut Angaben der Veranstalter:innen) vom Bundesverband Lebensrecht auf die Strasse gebracht, begleitet von lautem Gegenprotest.

Zeitenwende in der Abtreibungsfrage

Während die Ampel-Regierung letztes Jahr den Paragrafen 219 strich und die Bannmeile für Abtreibungskliniken gesetzlich durchgesetzt wurde, was gegen Gehsteigbelästigung auf dem Weg zur Abtreibung helfen soll, steht der „Marsch für das Leben“ dieses Jahr unter einem ganz anderen Stern. Das Blatt hat sich gewendet, immer mehr konservative Initiativen bringen (zurzeit noch an einzelnen Standorten oder in einzelnen Bundesländern) ihre Forderungen ein – und bekommen Recht.

So können in Bayern die verpflichtenden Beratungstermine vor einer Abtreibung nicht mehr digital durchgeführt werden. Dies ist besonders für Frauen in ländlichen Regionen eine starke Einschränkung. Laut der ELSA-Studie leben fast 20 % der Menschen im Freistaat in einer Region, in der sie mehr als 40 Autominuten zur nächsten Einrichtung für einen Schwangerschaftsabbruch fahren müssen. (ELSA: Ethische, rechtliche, soziale Aspekte; Risikoabschätzung) Damit gehört Bayern zu einem der am schlechtesten versorgten Bundesländer in puncto Zugang zu Abtreibungen.

Ein anderer Fall zeigt uns, wohin es ausserdem noch gehen kann: In Lippstadt fusionierten drei Krankenhäuser zum christlichen Klinikum. Die Leitung der neuen Klinik erteilte im Februar eine Dienstanweisung, die Abtreibungen untersagt – einzige Ausnahme: Die Schwangere schwebt in Lebensgefahr. Doch nicht nur für die Klinik gilt das Verbot, auch die eigene Praxis des Chefarztes für Gynäkologie der Klinik, Prof. Dr. Joachim Volz, darf keine Abtreibungen mehr durchführen. Dieser hatte daraufhin Klage eingereicht und verloren.

Das Arbeitsgericht halte die Dienstanweisung für angemessen, immerhin sei der Träger des Krankenhauses die Kirche und das Verbot sei somit möglich. Der Gynäkologe sagte daraufhin gegenüber dem WDR: „Ich soll meine Patientinnen im Stich lassen und sie kilometerweit wegschicken, obwohl ich helfen könnte. Selbst bei schweren Fehlbildungen des Fötus, bei Schwangerschaften nach Vergewaltigungen oder mit immensen gesundheitlichen Risiken. Das ist in meinen Augen unterlassene Hilfeleistung.“

Der Träger möchte stattdessen auf Beratung und Unterstützung setzen. Es stimmt zwar, dass einige Schwangere deswegen abtreiben möchten, weil sie in ihren eigenen Augen noch zu jung sind und sich die materiellen Umstände ihres Lebens gerade nicht für das Aufziehen eines Kindes eignen. Die meisten Schwangerschaftsabbrüche werden jedoch von Frauen in Anspruch genommen, die bereits ein oder mehrere Kinder haben. Wie Prof. Dr. Volz ebenfalls unterstreicht, erfolgen ausserdem auch Abtreibungen aufgrund gesundheitlicher Risiken oder Straftaten. Wenngleich Beratung und Unterstützung wichtige Angebote sind, so sollte das nicht dem Recht auf Selbstbestimmung gegenüberstehen und ist bei einem Grossteil der Gründe für Abtreibungen auch schlichtweg nutzlos.

Erst mal ist es natürlich per se nichts Neues, dass kirchliche Träger Abtreibungen untersagen und das auch laut dem deutschen Gesetz dürfen. Dennoch ist dieser Fall gerade in Anbetracht der Fusion und der Ausweitung auf die eigene Praxis des Chefarztes brisant. Somit kann dies als Präzedenzfall gesehen werden und zeigt, wohin es in Zukunft gehen kann. Auch andere Krankenhäuser könnten nachziehen, während gleichzeitig die Versorgungslage in Deutschland sowieso schon unterirdisch schlecht ist. Nur 6 % der gynäkologischen Praxen führen überhaupt Abtreibungen durch.

Bundeskanzler Merz ist bekanntlich auch kein Fan von Abtreibungen oder deren Entkriminalisierung. Nach Ende der Ampel wollten im November 2024 Grüne und SPD noch schnell etwas Sinnvolles tun und die Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche entkriminalisieren. Merz zeigte sich daraufhin empört und behauptete, das würde die Gesellschaft polarisieren. Eine glatte Lüge, denn 82,6 % der deutschen Bevölkerung befürworten eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.

Warum jetzt?

Die Angriffe auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper sind kein Zufall und können nur im Zusammenhang mit dem aktuellen internationalen Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft und der Wirtschaftskrise verstanden werden. Da Deutschlands Wirtschaftswachstum derzeit am Abgrund steht, stellt sich die Frage, wie die Wertschöpfung in Zukunft abgesichert werden kann.

Gleichzeitig geht die Geburtenrate in Deutschland (auch aufgrund der Krisenauswirkungen) stetig zurück. Um die Reproduktion der Ware Arbeitskraft sichern zu können, braucht es aus Sicht des deutschen Staats, der hier als ideeller Gesamtkapitalist fungiert, also a) ganz konkret neue Arbeitskräfte und b) ein Festklammern am Ideal der bürgerlichen Familie und somit auch der reaktionären Geschlechterrollen, bei denen die Frau doppelt ausgebeutet wird und neben der Lohnarbeit auch noch für unentlohnte Reproduktionsarbeit zuständig ist. Nur so ist es bei gleichzeitigen Angriffen auf den Sozialstaat möglich, Kindererziehung und Carearbeit im Allgemeinen aufrechtzuerhalten. Gerade deswegen sind es konservative und rechte Kräfte, die in den ideologischen Kampf ziehen, um dies durchsetzen zu können – und aufgrund des Rechtsrucks erhalten ihre reaktionären Positionen Aufwind.

Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!

Wir sind nicht damit einverstanden, dass Frauen zu Gebärmaschinen degradiert werden! Wir sind dagegen, dass man schwanger bleiben „muss“ – unabhängig von Risiko oder persönlichen Wünschen. Deswegen wollen wir Abtreibungen vollständig entkriminalisieren, kostenlos verfügbar machen und auch die umfangreiche Pflicht zur Beratung abschaffen. Natürlich soll es weiterhin Beratungsangebote geben, aber eben nicht als Vorbedingung für eine Abtreibung. Als Kommunist:innen möchten wir ausserdem die Reproduktionsarbeit vergesellschaften, so dass das Ideal der bürgerlichen Familie obsolet wird. Deswegen ist es wichtig, sich gegen Proteste wie den Marsch für das Leben zu stellen.

Aber da können wir nicht aufhören: Wir brauchen eine internationale Frauenbewegung im Schulterschluss mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt, um eine bessere Gesellschaft erkämpfen zu können. Denn die Abtreibungsfrage ist keine nationale, sondern eine globale! Das zeigt sich übrigens auch, wenn wir einen Blick drauf werfen, was die Organisator:innen des Marsches für das Leben sonst machen: Vor allem in Südamerika unterstützen sie nämlich erzkonservative Kampagnen gegen die Legalisierung bzw. Entkriminalisierung von Abtreibungen.

Leonie Schmidt

Zuerst erschienen auf arbeiterinnenmacht.de