Marginalien gegen die Zeit Der Stolz der Flaschensammler

Gesellschaft

Der Pfandring zählt wohl zu den modernen Klassikern der Armutsverwaltung. Jeder – auch die Initiatoren, würden wohl zustimmen.

Obdachloser Mann mit Hund in der Innenstadt von Bremen, Deutschland.
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Obdachloser Mann mit Hund in der Innenstadt von Bremen, Deutschland. Foto: Peronimo (CC BY 2.0 cropped)

24. Februar 2015
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‚Die Welt wird dadurch nicht anders. Die Beziehungen zwischen den Menschen bessern sich nicht. Das Zeitalter der Ausbeutung wird dadurch nicht verkürzt.'

Aber das ist auch gar nicht wichtig. Brecht bezog sich damals auf die Obdachlosenhilfe und wusste zu schreiben:

‚Aber einige Männer haben ein Nachtlager. Der Wind wird von ihnen eine Nacht lang abgehalten. Der ihnen zugedachte Schnee fällt auf die Strasse.'

Und so weiss sich auch der Kreis um die Mülleimer zu rechtfertigen, immerhin „das oft würdelose und gesundheitsgefährdende Wühlen in Müllbehältern“ würde damit überflüssig gemacht. Den praktischen Zynismus entdeckt selbst die Süddeutsche: „Vor zwanzig Jahren hätte dieses Land vielleicht noch das Ziel gehabt, eine Gesellschaft zu entwickeln, in der niemand Flaschen sammeln muss, um über die Runden zu kommen.“ Das ist natürlich eine glatte Lüge, hat dieses Land vor 20 Jahren mit der Agenda 2010 und Hartz IV die Grundlage für die Flaschensammler gelegt.

Auch die Süddeutsche ist kritisch gegen die Pfandringe und zitiert dabei eine Brutalität kapitalistischer Realität nach der anderen: Die Flaschensammler selbst seien alles andere als Begeistert, „Die fürchten sich vor neuer Konkurrenz“, in diesem Sinne habe der Mülleimer eine „Schutzfunktion“ für die Habenichtse. Vor wem sie schützen, wird leider verschwiegen: Vor den anderen Habenichtsen, die nicht bereit sind im Müll zu wühlen, aber die paar Cent Leergut im Pfandring durchaus gut gebrauchen können. Der Mülleimer schützt die Armen die bereit sind im Müll zu wühlen vor den Armen, die dazu nicht bereit sind.

Der Pfandring löst aber auch Grundsätzliche Debatten aus: die Existenz des Flaschensammlers als Gattung scheint bedroht zu sein, und die auf Umweltschutz getrimmten deutschen Journalisten fühlen sich sofort in der Pflicht für den Artenschutz einzutreten: „Vogel erzählt von Menschen, die sich Werkzeuge gebaut haben, mit denen sie in die Eimer greifen können.“ – Wie kreativ doch Armut macht! – „Es erfülle sie mit einem gewissen Stolz, sich eine Flasche geangelt zu haben.“ – Will man sie wirklich diesem Stolz berauben und ihnen die Flaschen einfach zugänglich machen? Am Ende nimmt man ihnen genau damit die Würde, Eigeninitiative beim Sammeln zeigen zu können! – „Pfandringe, so glaubt Vogel, seien wie ein Eingriff in ein Biotop [!]“ – Bloss nicht in die natürliche Umgebung dieser seltenen Spezies eingreifen! – „Wir würden den Sammlern eher schaden.“ Am Ende leidet noch der natürliche Kreislauf von Dosenbiertrinkendem Yuppie und Dosenbiersammelndem Rentner!

Auf jeden Fall ist klar: Pfandringfreunde und –kritiker wollen nur das Beste für diese schrullige Art und ihre ökonomische Nische. Beide sind sie besorgt um die „Würde“ der Flaschensammler: Die einen um das würdelose wühlen im Dreck, die anderen wissen allerdings: „Es gehe darum, etwas zu tun, am Ende des Tages etwas geschafft zu haben.“ Die Debatte um die Würde des Flaschensammlers hat die schöne Eigenschaft, einige Grundsätzlichkeiten gar nicht zur Debatte zu stellen:

– Die Armut gehört notwendig zur bürgerlichen Gesellschaft. Die Frage, was ein würdiger Umgang mit ihr ist, stellt sich gar nicht mehr die Frage, woher sie kommt – sie ist damit bereits akzeptiert

– Der ‚praktische Umgang', der nicht ‚nur' erklären, sondern ‚was tun' will, blüht auf bei der Frage, wie man ‚akut' den Leuten helfen kann. Kommt dabei eine schärfere Konkurrenz der Pfandsammler heraus ist das gar nicht schlimm. Wenigstens hat man ‚was gemacht' und ideell die Gleichheit hergestellt: „”Früher haben die Leute jemandem, der am Boden sass, etwas hingeworfen, ein paar Münzen.” Das habe er als recht würdelos gefunden. Heute begegne man sich auf gleicher Höhe. Auf der des Pfandrings.“

– Die Armut wird weder erklärt noch beseitigt mit der Debatte um den Pfandring. Es geht dabei viel mehr um die Frage, wie eine ‚würdevolle Armut' zu gestalten ist.

Berthold Beimler

Anmerkungen:

Brecht - Die Nachtlager

Alle anderen Zitate aus: http://www.sueddeutsche.de/leben/pfandring-an-muelleimern-ein-ring-dreht-kreise-1.2357206