Über Kontinuität und Transformation antichinesischen Ressentiments in Amerika und Europa China: Die bedrohliche Macht der Masse

Gesellschaft

Während des letzten US-Kongresswahlkampfs im Herbst 2010 sorgte ein Internetclip für Furore. In sparsam ausgeleuchteter Kulisse präsentiert ein asiatisch aussehender Mann einem jungen, ethnisch in gleicher Weise markierten Publikum eine Kurzlektion in Sachen Untergang von Imperien: des hellenischen, römischen, britischen, und – höhnisch lachend – des amerikanischen. Der Titel: »Beijing 2030 AD«

Containerschiff COSCO Beijing auf Fahrt in der Maasebene.
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Containerschiff COSCO Beijing auf Fahrt in der Maasebene. Foto: bertknot (CC BY-SA 2.0 cropped)

20. September 2013
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Neben der visuellen Eindrücklichkeit des Videos fällt vor allem die Art und Weise auf, in der ›China‹ bzw. ›die Chinesen‹ dargestellt werden: Sie erscheinen als dunkel und unheimlich, überlegen, berechnend und bedrohlich nach Macht strebend. Diese Form der Inszenierung war kein Einzelfall: Am 9. Oktober 2010 zitierte die New York Times in einem Artikel über dieses und andere Kampagnenvideos einen Experten mit der Aussage: »Man könnte sagen, dass China zum Ersatzschurken dieser Wahl geworden ist.« Mindestens 29 Kandidat_innen sowohl der Republikaner als auch der Demokraten hätten ihren jeweils konkurrierenden Gegner der Begünstigung Chinas unter Vernachlässigung ›eigener‹, das heisst nationaler Interessen bezichtigt. Aussagen der Art, es würde der Verlust ›amerikanischer Jobs‹ oder der Ausverkauf ›amerikanischen Kapitals‹ aktiv betrieben, wurden von Bildern auslaufender Containerschiffe und geschlossener Fabriken, aber auch sich öffnender ›chinesischer‹ Portale, von Gongschlägen und Aufnahmen wehender roter Fahnen vor Menschenmassen untermalt – in den Worten der New York Times »veraltete und fast klischeehafte Darstellungen«.

Doch wie veraltet sind all diese Bilder, diese kulturellen Muster der Wahrnehmung in ihrem ideologischen Bezugsrahmen tatsächlich, und was sagt uns ihre Klischeehaftigkeit? Dazu sind zum einen die tradierten Gehalte dieser Wahrnehmungen in Europa und Amerika zu beleuchten und zum anderen die aktuellen Modi der Thematisierung Chinas und ›seiner‹ Migrantinnen und Migranten, Unternehmen und Institutionen im öffentlichen Diskurs aufzuzeigen. Unter den Bedingungen moderner Vergesellschaftung, struktureller Unsicherheit und Krisenhaftigkeit stellen diese kulturellen Muster das Grundmaterial zur Konstruktion einer angeblich homogenen Wir-Gruppe einer Nation, ›Rasse‹ oder Zivilisation bereit. Über die realen Differenzen und Konflikte innerhalb dieser Gruppe hinweg versteht sich diese durch Abgrenzung von einem ›Anderen‹, einem kulturellen Gegen- oder einem politischen Feindbild, als sittlich-moralisch und/oder ›rassisch‹ absolut verschieden und überlegen.

In Bezug auf China oder Asien insgesamt wurde so ein ungebrochener, die Unterschiede zwischen den Nationen überschreitender Zusammenhang abendländischer Zivilisation suggeriert, die in einer kulturellen und sittlichen Kontinuität seit der griechisch-römischen Antike Kultur, Moral und Fortschritt gegen Korruption, Unsittlichkeit und Stagnation verkörpere. Im Unterschied zu anderen Ausprägungen des Rassismus, die sich etwa gegen Schwarze richten, geht es hier allerdings nicht zentral um die Gefährdung der Zivilisation durch als naturhaft unterlegen Angesehene. Stattdessen wird eine Bedrohung durch eine konkurrierende Gegenzivilisation imaginiert, die sich der eigenen, europäischen Mittel bediene, der eigenen, europäischen Moral aber vollständig fremd und zudem durch eine unqualifizierte Massenhaftigkeit gekennzeichnet sei. Die Momente, die bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts von einem ambivalenten Diskurs der Eliten getragen wurden, radikalisierten sich in der Massenpolitik des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts und gewannen neue Bedeutung und Dynamik vor dem Hintergrund einer immens gesteigerten Bedeutung der Volksrepublik China für den Weltmarkt und im internationalen System heute.

Von der Bewunderung zur »gelben Gefahr«

China nahm innerhalb des europäischen Elitendiskurses immer eine besondere Stellung ein. Wie Léon Poliakov in seiner klassischen Studie über die Quellen des europäischen Rassismus und Nationalismus andeutete, fungierte China bereits seit der frühen Neuzeit als das zivilisatorisch ›Andere‹. Im Gegensatz dazu galt beispielsweise Indien als mythischer Ursprung der ebenso mythischen Arier, der ›Vorfahren‹ der später konstruierten europäischen Nationen. China war in diesem Zusammenhang nicht das absolut unterlegene ›Primitive‹ oder das zersetzende Andere, sondern die zumindest potentiell konkurrierende, ältere, aber vollendet fremde und unheimliche Zivilisation. Die Wahrnehmung war stets ambivalent: Zum einen wurden seit Marco Polos Reisebeschreibungen und erst recht im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung die Grösse, der Reichtum und die weit zurückreichende (kulturelle) Tradition des ›Reichs der Mitte‹ bewundert.

Vor allem die vorgeblich ordnende Wirkung des konfuzianisch geprägten Beamtentums hatte es Aufklärern wie Voltaire angetan. Zugleich begeisterte sich Adel und gehobenes Bürgertum an den Chinoiserien in Architektur, Design und Literatur, die das Fundament für die verschiedenen bis heute bestehenden exotisierenden stereotypen Bilder über China in den europäischen Vorstellungswelten legten, so etwa in der Imagination der ›typischen‹ chinesischen Pagode. Gleichzeitig wurde eben diese Grösse Chinas, die ›gesichtslose Massenhaftigkeit‹ und ›mysteriöse Undurchschaubarkeit‹ zunehmend mit Unbehagen betrachtet.

Mit der Durchsetzung kapitalistischer Vergesellschaftung ab dem achtzehnten Jahrhundert in Europa und deren allmählicher Verallgemeinerung zum Weltmarkt wurde gesellschaftlicher Fortschritt zunehmend vor allem ökonomisch gedacht und als unilinear verstanden, das heisst mit vorgeblich essentiell europäischen ›Eigenschaften‹ verbunden. Die Andersartigkeit Afrikas, Chinas oder Asiens insgesamt, die bis dahin – ebenso wie die Differenzen zwischen den zu erfindenden europäischen Nationen – an Tradition, Sprache, Kultur und Religion festgemacht worden war, wurde unter den Vorzeichen der modernen Wissenschaften rassistisch biologisiert und in der Folge abgewertet. Die ›Weissen‹ wurden als zivilisiert und dynamisch, schaffend und aufbauend – ›gelbe‹ Asiaten als letztlich barbarisch und statisch, in sich ruhend und an sich selbst parasitär konstruiert.

Die offenbar werdende reale Schwäche des gewaltigen ›Himmlischen Kaiserreichs‹ gegenüber den interessierten Kolonialmächten mag die Vehemenz erklären, mit der im neunzehnten Jahrhundert die letzten Reste offener Bewunderung im europäisch-amerikanischen Elitendiskurs verdrängt wurden. Die Unterlegenheit des ›heidnischen‹ und ›nicht-weissen‹ Chinas wurde als Funktion moralischer Verkommenheit und politischer Korruption festgeschrieben. ›Die Chinesen‹ seien darüber hinaus von Natur aus grausam, unempfindlich gegen Schmerz und triebhaft verschlagen, gleichzeitig aber in ihrer Unterwürfigkeit undurchschaubar und ›orientalisch rätselhaft‹.

Ab 1850 fielen diese Bilder, wie sie von in China ansässigen Händlern und Missionaren verbreitet wurden, mit einer durch die koloniale Durchdringung der Welt begünstigten globalen Migrationsbewegung zusammen. Hunderttausende Chinesinnen und Chinesen kamen als Kontraktarbeiter_innen insbesondere nach Südostasien und Amerika. War die Thematisierung Chinas bis dahin fast ausschliesslich eine Angelegenheit der politischen und kulturellen Eliten gewesen, so gewannen diese Bilder nun zunehmend an Massenwirkung. In der rassistischen Paranoia vor einer massenhaften Einwanderung der »Kulis« konnten sich viele der heterogenen Teilgruppen dieser neuen Nationen zu ›weissen‹ Gemeinschaften zusammenfinden. Die als gesichtslos, austauschbar und völlig entindividualisiert dargestellten »Orientals« seien ›rassisch‹ und moralisch eine Bedrohung und wesenhaft unassimilierbar.

Die Argumente dieser transnational geführten »Auseinandersetzung über Rasse, Migration und nationale Sicherheit« ›wanderten‹, so Erika Lee, von Lateinamerika über Kalifornien bis nach Europa. Der 1882 vom US-Kongress verabschiedete Chinese Exclusion Act regelte als erstes Gesetzeswerk dieser Art eine wilde antichinesische Gewaltpraxis. Es wurde damit ein ausschliessendes, rassistisches Migrationsregime institutionalisiert, das in Deutschland durch einen der Führer der antisemitischen Bewegung, Ernst Henrici, als Beweis für die Notwendigkeit einer »gesunden Rassenpolitik« empfohlen wurde. Gleichzeitig hatte sich die Arbeiterbewegung, namentlich die kalifornische, bei der Stilisierung der »Kulis« zur zerstörerischen Arbeitsmarktkonkurrenz und Bedrohung für die Gemeinschaft wesentlich hervorgetan.

Die Frage nach dem ›Wert der Arbeit‹ bzw. deren angeblich ›minderwertiger‹ Natur bei bestimmten Gruppen, bildete schliesslich auch einen Topos in den Auseinandersetzungen um das vorgeblich bedrohte ›national Besondere‹, der um die Jahrhundertwende in die Rede von einer »gelben Gefahr« einfloss. Neben der Vorstellung von der bedrohlichen Massenhaftigkeit ›der Chinesen‹ und deren ›rassisch-moralischer Natur‹ an sich, trat nun insbesondere die Angst vor einem globalen Status- und Machtverlust Europas und Amerikas durch die schiere Zahl dieser Träger_innen von Arbeitskraft und bedrohlichen ›Rassemerkmalen‹ in den Vordergrund. Auch angesichts der nationalistischen Unruhen in China und dem dadurch möglich gewordenen Aufstieg sich emanzipierender asiatischer Nationen schien nicht nur die westliche Vorstellung einer ›Rassenordnung‹ ins Wanken zu geraten, sondern damit zugleich das ganze Konzept von westlicher Überlegenheit und unaufhaltsamem ›europäischen‹ Fortschritt.

Exoten, Dämonen und Helden: Chinabilder bis 1949

In Europa und Amerika rückte die imaginierte Bedrohung durch eine kaum menschliche ›gelbe‹ Masse ab den zwanziger Jahren wieder etwas in den Hintergrund. Gleichzeitig blieb aber die Annahme einer essentiellen Andersartigkeit und Unterlegenheit – und sei sie ›nur‹ gesellschaftlich begründet – weiterhin erhalten. Die gängigen antichinesischen Vorurteilsbilder wurden insbesondere innerhalb der Kulturindustrie weiter tradiert: In Filmen, Illustrierten und Büchern erschien ›das Chinesische‹ entweder in der Form von mit allen visuellen Klischees ausgestatteten, kindlichen oder mysteriösen Exoten oder dämonischen, grausamen Überschurken vom Schlage eines Fu Manchu. Neben dem exotisierten Setting der entstehenden China-Restaurants waren es die ausdifferenzierten Topoi der Drogen, der illegalen Migration und der organisierten Kriminalität, die weite Verbreitung fanden.

Die auf solchen Bildern beruhende rassistisch begründete Diskriminierung, der Chinesinnen und Chinesen durch staatliche Stellen im Deutschen Reich ausgesetzt waren, verstärkte sich im Nationalsozialismus. Sie wurden als ›Parasiten‹ und kriminelle ›Volksschädlinge‹, als ›Devisenspekulanten‹ und ›Rassenschänder‹ stigmatisiert und vor allem nach der Festigung des Bündnisses mit Japan zunehmend verfolgt. Am 13. Mai 1944 führte die Gestapo in Hamburg und Bremen die sogenannte »Chinesenaktion« durch und verschleppte gezielt die letzten noch ›freien‹ Chinesinnen und Chinesen unter dem Vorwurf der ›Feindbegünstigung‹ in Arbeitslager. Viele kamen durch Hunger, Erschöpfung und unmittelbare Gewalteinwirkung um. Ihr ›arisierter‹ Besitz wurde später nicht zurückerstattet und eine kollektive Anerkennung und Wiedergutmachung wurde ihnen in der Bundesrepublik verweigert, sei ihre Verfolgung doch eine Massnahme unpolitischer Kriminalitätsbekämpfung gewesen.

In den Ländern der Alliierten wurde China währenddessen in Folge des brutalen japanischen Angriffskrieges als heroisches Opfer angesprochen und 1943 nach 51 Jahren der Chinese Exclusion Act aufgehoben. Aber ›die Chinesen‹ wurden weiterhin als minderwertig und in diesem Zusammenhang insbesondere wesenhaft unfähig zum erfolgreichen militärischen Kampf betrachtet. 1931 hatte John Magruder, der spätere Leiter des Geheimdienstes OSS, erklärt, aufgrund ihrer pazifistischen Natur erhielte sich keine »militärische Vitalität« in ›den Chinesen‹, sie seien »kein kriegerisches Volk.«

Der erwachende Drache …

Der Sieg der Kommunist_innen im chinesischen Bürgerkrieg und deren militärischer Erfolg zu Beginn des Koreakriegs 1950 musste darum als Schock empfunden werden. Die ›Systemrivalität‹ des Kalten Krieges und ein paranoider Antikommunismus mischten sich mit den ›klassischen‹ Vorurteilsbildern: Hier sah man ›wieder‹, wie ein Sozialforscher Ende der Fünfziger Jahre feststellte, die »mongolischen Horden«, die »gelbe Flut«, »die gesichtslosen Massen […][und] undurchschaubaren Chinesen.« Hinzu trat als ein neues Merkmal innerhalb des europäisch-amerikanischen Diskurses eine angebliche, expansive Aggressivität, während gleichzeitig Anschauungen verdrängt wurden, die sich auf explizite Rassentheorien beriefen.

Der Konflikt zwischen ›China‹ und ›dem Westen‹ wurde ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nur unter dem Vorzeichen kultureller und zivilisatorischer Andersartigkeit, sondern nun vor allem auch als ausgesprochen politischer Konflikt begriffen. Die China zugeschriebene Aggressivität und Massenhaftigkeit wurde nun zunehmend mit ihren ökonomischen und politischen Potentialen zusammengedacht: Was würde erst geschehen wenn der bisher als wesenhaft passiv angesehene »Drache« vollständig »erwachen« würde? Die politisch-militärische wie ökonomische Vormachtstellung ›des Westens‹ erschien allein durch die Masse der mobilisierbaren Menschen und Ressourcen mindestens in Frage gestellt. Es waren diese spezifischen Vorzeichen, unter denen sich die Wahrnehmung der Volksrepublik China in Europa und Amerika bis zum Ende des Kalten Krieges entwickelte, wobei die politischen Entwicklungen die Koordinaten immer wieder verschoben.

Der Zusammenbruch des Ostblocks löste ab dem Ende der achtziger Jahre das binäre Raster der Blockkonfrontation auf, und insbesondere Japan und China hatten sich tatsächlich ökonomisch wie technologisch zu zentralen Akteuren auf dem Weltmarkt entwickelt, die nun gleichermassen Konkurrenten wie auch wichtige Handelspartner wurden. Unter diesen Voraussetzungen gewannen die insgesamt ambivalent-negativen Bilder eine neue Dynamik.

»Milliardenkontinent« und »China-Invasion«: Deutsche Ängste im 21. Jahrhundert

Die europäischen und amerikanischen Märkte profitieren heute sichtbar von der engen Verflechtung mit dem chinesischen Markt, und umso mehr sieht man sich in der Angst vor einer Bedrohung des ›eigenen‹ ökonomischen Status und der ›eigenen‹ Nation bestätigt: Die ideologische Frage, welche Geschlossenheit und Kohärenz ›das national Besondere‹ habe, wird in diesem Zeitalter der Interdependenz für die Einzelnen zusehends schwieriger zu beantworten, insbesondere da das Selbstverständnis von der alternativlosen Überlegenheit ›westlicher‹ Ordnungen von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft massiv in Frage gestellt ist – eine Überlegenheit, die man nach dem Ende des Kalten Krieges endgültig bewiesen glaubte.

Gerade in Deutschland werden diese Entwicklungen heute oft deutlich durch Ressentiments unterfüttert als »Kontinentalverschiebung« und als ein »Wettlauf mit China um Wohlstand und Werte« interpretiert. China wird dabei eine ›andere‹, letztlich amoralische Moral zugeschrieben, in der das sittlich Verrufene erlaubt sei und die so eine illegitime Position der Dominanz begründe. Diese zukünftige und meist als ›totale‹ imaginierte Dominanz wird dementsprechend suggestiv katastrophisch konnotiert und fetischisierend auf eine reine, unqualifizierte Quantität der Waren und Menschen zurückgeführt, etwa in der Rede von einem kommenden »asiatischen Jahrhundert« unter der Herrschaft des »Milliardenkontinents« und dem Ausverkauf des Reichtums der Nation durch eine »China-Invasion.«

Diese ressentimentgeladenen Ängste werden wie auf dem Spiegel-Cover »Chinas Welt« mit einem vertrauten Unterton ›rassisch‹-demographischer Bedrohung präsentiert. Auch insofern ist die »Angst vor einem kommenden chinesischen Zeitalter […] bruchlos mit der Angst vor chinesischer Migration« verbunden. Und diese Migrantinnen und Migranten werden wie ›die Chinesen‹ insgesamt immer noch wesentlich mit exotischen, amoralischen Sitten, illegitimer (Arbeits-)Marktkonkurrenz und organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht. Sie werden weiterhin als ›rassisch‹-kulturell vollständig different und als absolut homogene, geschlossene Gemeinschaft gezeichnet.

Inwieweit diese wachsende ideologische Unterströmung politisch in nationalistischen und xenophoben Mehrwert übersetzbar ist, ist gegenwärtig noch unklar. Zumindest sind in den Vereinigten Staaten 2010 bereits Ansätze zu einer Nutzbarmachung dieser Ressentiments zu beobachten gewesen, und auch in Italien sind aus dem neofaschistischen Spektrum eindeutig rassistische Kampagnen dokumentiert, die mit den entsprechenden Ängsten und Topoi operieren. Gleichzeitig trat bisher in Europa und Nordamerika noch kein Fall ein – etwa ein breit skandalisierbarer politischer Konflikt –, an dem sich die Ressentiments hätten entzünden können, wie es etwa auf den Philippinen, den Salomonen oder in Sambia bereits geschehen ist.

Die gegenwärtigen Wahrnehmungen Chinas und ›des Chinesischen‹ bauen, so kann man festhalten, zentral auf teilweise seit zwei Jahrhunderten etablierten, rassistischen, exotisierenden und katastrophischen Mustern des Kulturellen auf. Doch »heute«, so Sucheng Chan, »sind es nicht nur [Bevölkerungs-]Zahlen und Kultur, sondern auch Chinas wachsende militärische Stärke, ökonomische Vitalität und technologische Fortschritte, die Ängste hervorrufen.« Die ab 1949 einsetzende qualitative Veränderung in der Bestimmung ›Chinas‹ in Europa und Amerika, das nun nicht mehr wesenhaft als passiv und statisch markiert werden konnte, wirkt sich nun vollständig aus: Gerade angesichts einer höchst realen Konkurrenz durch die chinesische Ökonomie verschränken sich hintergründig insbesondere die tradierten Bilder entindividualisierter Massen und einer essentiellen Amoral der Sitten mit den ökonomischen, machtpolitischen und nationalistisch-identitären ›Bedrohungen‹ durch eine vorgeblich reine, unqualifizierte Quantität der Sachen und Menschen. Durch diese werden die ansonsten erschreckend stabilen ›klassischen‹ Zuschreibungen neu aufgeladen und individuell für durchaus mögliche zukünftige Verwendung neu angeeignet.

Florian Hessel
Artikel aus: Phase 2 / Ausgabe Nr. 43
www.phase-zwei.org

Die Fussnoten wurden in diesem Text weggelassen.