Die Ungleichheit beginnt bereits bei der Einteilung in die Sekundarschule A oder B Gymnasium - ein Modell nur für die Oberschicht?

Gesellschaft

Die Schweiz wird gelobt für ihr breites und hochwertiges Bildungsangebot. Doch nicht alle haben die gleichen Chancen, einen erfolgreichen Abschluss zu machen.

Kantonsschule Enge und Freudenberg in Zürich.
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Kantonsschule Enge und Freudenberg in Zürich. Foto: Juerg.hug (CC-BY-SA 3.0 unported - cropped)

25. April 2024
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«Jeder ist seines Glückes Schmied» - das ist einer der bekanntesten Motivationssprüche in unserer Gesellschaft. Dem Individuum wird dabei vermittelt, dass seine Herkunft und finanziellen Mittel keine Rolle spielen würden. Dass der Weg nach oben bei genügend grossem Einsatz und einem starken Leistungswillen allen offenstehe. Damit ist auch gesagt: Bleibt man unten und erfolglos, liegt die Schuld bei einem selbst. Doch wie weit entspricht diese Floskel der Wahrheit? Liegt der Fehler bei der Person - oder an unserem System?

Der Spruch ist korrekt, falls Chancengleichheit besteht. Chancengleichheit ist in einer Gesellschaft gegeben, wenn jedes Individuum dieselben Chancen hat, erfolgreich zu sein und es keine Rolle spielt, welche Hautfarbe man besitzt oder welchen Nachnamen man trägt. Egal, ob man in einer reichen Familie oder einer Bauernfamilie aufwächst, mit Schweizer oder mit ausländischen Eltern.

Vielfältiges Angebot

Es sind genügend Statistiken und Zahlen aus dem Jahre 2020 aufzufinden, welche zeigen, wie fair das Schweizer System in Wahrheit ist. Klar ist, dass der Grundbaustein für den Erfolg, wie er in unseser Gesellschaft erwartet wird, die Ausbildung ist. Je höher die Ausbildung und ihre Qualifikationen, desto mehr Jobmöglichkeiten stehen einem offen. Sind der Schulabschluss und der Lebenslauf eher schlecht, wird es schwer, einen wirklich gutbezahlten Job zu kriegen.

Hierbei muss erwähnt werden, dass die Schweiz eines der besten Schulsysteme besitzt, da einem mehrere Wege offenstehen, um an Universitäten oder an andere gute Ausbildungsinstitutionen zu gelangen - sei es über Zwischenjahre, die Lang- oder Kurzzeitgymnasien oder doch eine Lehre und danach einer BWL.

Und doch kann nicht jeder und jede von diesen Möglichkeiten profitieren.

Ein Jahr im Rückstand

Eine Studie aus Bern zeigt, dass 69 Prozent der Schüler:innen aus Schweizer Familien die Sekundarstufe 2 erfolgreich absolviert haben. Bei Schüler:innen mit Migrationshintergrund sind es nur 53 Prozent. Dabei ist der Begriff Migrationshintergrund so definiert, dass beide Elternteile aus einem anderen Land stammen.

Auch wurden in Bern Tests mit Neuntklässler:innen durchgeführt, um ihren Wissensstand zu testen. Das Resultat: Die 15-Jährigen mit Migrationshintergrund hinken mit ihren Leistungen im Schnitt ein Schuljahr hinter den Einheimischen Schüler:innen hinterher. Auch die Zahlen zu Schulabbrecher:innen und Repetent:innen sind eindeutig: Von Schweizer Jugendlichen brechen bis zum Ende der Oberstufe 31 Prozent die Schule ab, absolvieren ein zehntes Schuljahr oder bleiben sitzen. Hingegen sind es ganze 46 Prozent aller Jugendlichen mit Migrationshintergrund, welche dieses Schicksal erleiden.

Nur 10 Prozent am Untergymi

Doch die Ungleichheit beginnt bereits bei der Einteilung in die Sekundarschule A oder B. Über 50 Prozent der Schüler:innen, die in die Stufe B eingeteilt werden, sind Kinder von Einwanderungseltern. Und es ist klar, dass die Chancen, nach der Sek B ins Gymnasium zu gehen oder eine BMS abzuschliessen, relativ gering sind. Zum Vergleich: Im Untergymnasium sind nur 10 Prozent aller Jugendlichen Ausländer:innen.

Weniger erfolgreich

Selbst wenn es Ausländer:innen bis zur Matur schaffen, bleiben sie weniger erfolgreich als Schweizer:innen, wie eine Langzeitstudie des Bundesamtes für Statistik ergab. 93,6 Prozent aller Jugendlichen, welche den Weg ins Gymi geschafft haben, besassen zehn Jahre später einen erfolgreichen Abschluss. Allerding nur, wenn man Schweizer:in ist. Denn bei den ausländischen Schüler:innen waren es nur 79.9 Prozent. Die Gründe für diese krasen Unterschiede zwischen den Jugendlichen sind ziemlich einfach zu erklären.

Die Eltern, welche in die Schweiz eingewandert sind, können oftmals kein perfektes Deutsch, kennen manchmal auch nur Brocken der Sprache. Somit ist es schwer, ihre Kinder in der Schule zu unterstützen. Nachhilfestunden sind teuer, nur wenige können sie sich leisten. Von den Gymi-Vorbereitungskursen müssen wir erst gar nicht sprechen. Bleibt man unten und erfolglos, liegt die Schuld bei einem selbst? Die Zahlen zeigen ein anderes Bild.
Deutlich kleinere Chancen

Chancengleichheit in Schweizer Schulen ist eine Illusion. Es braucht dringend Korrekturen. Die Vorstellung, dass in der Schweiz jeder und jede beruflich erfolgreich sein kann, ist falsch. In der Gesellschaft aufsteigen können in erster Linie Individuen, welche in Schweizer Familien aufwachsen oder Glück haben.

Im Gymnasium kommen viele Schüler:innen aus akademischen Haushalten, Kinder aus ausländischen Familien sind viel schwerer zu finden. Kurz: Die Familie und der Geburtsort - und somit die finanziellen Verhältnisse - sind entscheidend für die Zukunftsaussichten.

Teure Nachhilfe

Denn mit genügend Geld können Schüler:innen individuell gefördert und unterstützt werden, sei es durch Nachhilfestunden oder dem Besuch einer Privatschule, bei der in kleineren Gruppen gelernt wird.

Das gilt sowohl für die obligatorische Schulzeit als auch für weiterführende Schulen. Nicht unbedingt die Intelligenz oder der Leistungswille sind dann die entscheidenden Kriterien. Die Aussage, dass jemand selbst schuld sei und sich einfach nicht genug anstrenge, wenn ihm oder ihr der Weg nach oben nicht gelinge, ist falsch. Und zynisch. Denn alles beginnt bei der Ausbildung. Der zukünftige Job und das Gehalt hängen davon ab. Armut wird genauso weitervererbt wie Reichtum.

Grosser erster Schritt

Die Gründe für die ungleich verteilten Chancen sind in unserem System zu finden. Es fehlt an der Anerkennung des Problems und an Rücksicht auf die Benachteiligten. Also was tun? Staatlich finanzierte Nachhilfestunden für Schülerinnen aus bildungsfernen Familien wären ein grosser erster Schritt zur Chancengleichheit, welche wir in der Schweiz offensichtlich noch nicht besitzen. Es Stimmt: Auch wenn man in einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist, kann man erfolgreich sein.

Die Chancen dafür sind aber erwissenermassen deutlich kleiner.

Nina