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Populismusgefasel als Selbstzensur: Anhand des Diskurs um Bildungszugänge

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Anhand des Diskurs um Bildungszugänge Populismusgefasel als Selbstzensur

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Gesellschaft

In einem wichtigen Beitrag der Tagesschau wird dargestellt, warum Analphabetismus die Demokratie gefährden kann [1].

Bildung für's Leben im KRH, Klinikum Region Hannover.
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Bildung für's Leben im KRH, Klinikum Region Hannover. Foto: Bernd Schwabe in Hannover (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 9. September 2025
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Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischem dem Zugang zu Bildung und den Fähigkeiten und Möglichkeiten zu politischer und gesellschaftlicher Partizipation. Und selbst in der BRD haben bis zu 10 Millionen Menschen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben - eine erschreckende Bilanz für eines der reichsten Länder der Welt! Insofern ist es gut, wenn dies von Armin Himmelrath als WDR-Journalist thematisiert wird.

Bekannterweise ist schon Konservativen daran gelegen, Bildungszugänge nach Klassenhintergründen ungleich zu halten. Dies ist der Grund, warum an der unhaltbaren Trennung von Real- /Gemeinschafts- /Gesamtschulen und Gymnasium. Bekanntlich werden in vielen Bundesländern schon in der 5. Klasse, also mit ungefähr 10 Jahren oder in der 7. mit 12 Jahren die Weichen für die Bildungsqualität und damit künftige Lebenschancen gestellt. Elternhäuser aus bestimmten sozialen Milieus mit Bildungskapital oder besonders engagierte Lehrer*innen mögen dies ausgleichen - aufs Gesamte gesehen wird die Klassengesellschaft jedoch insbesondere auch über das Bildungssystem reproduziert.

Im genannten Beitrag geht es nun aber nicht um die traditionelle Ungleichheit der Chancen. (Von sozialen Rechten auf Bildung ganz zu schweigen!) Es geht um sogenannte "Populisten". Als die von diesen regierten Länder gelten demnach unter anderem "Ungarn, Polen, Italien oder auch Israel und USA". Dass in den genannten Ländern autoritär-konservative Regime bestehen, die sogenannte "illiberale Demokratien" durchgesetzt haben, wird dabei unterschlagen.

"Illiberale Demokratie" ist eine seltsame Beschreibung dafür, dass bestimmte formelle und institutionelle Rahmenbedingungen und Abläufe weiter bestehen (insbesondere Wahlen, scheinbar neutrale Gerichtsbarkeit, eingeschränkte Pressefreiheit), die politische Macht aber in immer kleineren Kreisen gebündelt wird, während superreiche Oligarchen immer weiteren bzw. direkteren Einfluss auf die Regierung ausüben.

Ebenso handelt es sich beim nun offenbar verordneten Schlagwort des "Populismus", um eine nichtssagende Chiffre für: "irgendwas ist da nicht so okay". Die genannten Regime sind allerdings nicht lediglich autoritär-konservativ und nationalistisch, sondern beteiligen auch neofaschistische Parteien und Gruppierungen an ihrer Regierung oder werden massgeblich von diesen beeinflusst. Die Verwendung der Bezeichnung "populistisch" ist somit hochgradig ideologisch. Sie dient zur Verschleierung des Inhalts und der Form der entsprechenden Regime und unterstellt im selben Zuge, so etwas könne es ja auch von "links" geben.

Das ist tatsächlich falsch. Allen "linkspopulistischen" Regimen und sozialen Bewegungen war daran gelegen, das Bildungsniveau der breiten Bevölkerung anzuheben, sie damit zu befähigen und ermächtigen - und sich auf diese Weise verständlicherweise auch ihre Zustimmung zu sichern. Das ist eine grundlegend andere Programmatik, als jene autoritär-konservativer Kreise mit ihrem strikt hierarchischen Zugangsregulierungen. Die einzige Ausnahme bildet das kommunistische Regime der Roten Khmer [2].

Der Populismus-Begriff war schon zuvor von enormer Inhaltsarmut gekennzeichnet. Meiner Ansicht nach arbeitet Ernesto Laclau in On Populist Reson [3] überzeugend heraus, dass Populismus ein Wesensmerkmal von Politik allgemein ist - und dies insbesondere von demokratischer Politik, mit welcher um Stimmenmehrheiten geworben wird. Konsequenterweise müsste man daher also den herrschaftlichen Modus von Politik kritisieren, wenn man Populismus kritisieren will. Daraus liessen sich verschiedene Schlussfolgerungen ziehen: Entweder man würde "Populismus" transparent, partizipativ und "demokratisch" anwenden (was durchaus möglich ist). Oder man würde populistische Poliktik insgesamt verwerfen und sich nach anderen Modi umschauen, um Dinge zu regeln.

Beides setzt wiederum die Verbreitung von Bildung als Vorbedingung für Emanzipation voraus. Anarchist*innen wollen Zweiteres - stehen damit aber weiterhin vor der Herausforderung, ob sie ihre Vorstellungen exklusiv in kleinen Kreisen umsetzen sollen, um deren Qualität zu bewahren, oder, ob bzw. inwiefern sie populäre Ansätze verfolgen, um grössere Bereiche der Bevölkerung für ihre Vorstellungen zu gewinnen.

Wie man es dreht und wendet: Mit dem Aufstieg der AfD und dem Umkippen der CDU verfolgen viele Journalist*innen der öffentlich-rechtlichen Medien - sicherlich anhand der Vorgaben ihrer Chefredakteur*innen - den vorauseilenden Gehorsam. Weil niemand seinen Job verlieren will, wird ein grösserer Teil von ihnen, ihre Arbeit verlieren, wenn die AfD an die Regierung kommt. Doch ihr Schatten eilt ihr weit voraus, wenn sogar auf den schwammigen Begriff "Rechtspopulismus" für die genannten Bestrebungen zur Zementierung der Klassengesellschaft via Bildungsungleichheit festgehalten wird.

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