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Bildung wird für alle Menschen zugänglicher Lassen digitale Lernformen neue Komplizenschaften zwischen Uni und Journalismus entstehen?

Gesellschaft

Die steigende Anzahl der Studienbewerber wird von der Universität mit digitalen Lernformen beantwortet – Online-Kurse etwa sind stark im Kommen. Professoren und Dozenten werden im Zuge dessen als Online-Redakteure gefordert.

Studentinnen bei der Erstellung ihrer Magisterarbeit.
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Studentinnen bei der Erstellung ihrer Magisterarbeit. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

16. Oktober 2013
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Doch entsteht auch umgekehrt ein neues Berufsfeld für Journalisten? Die Autorin Julia Müller erkundet die Möglichkeiten dieser Komplizenschaft.

Die Uni ist Umbruch: Dicke Schinken wälzen und in alten Zettelkatalogen recherchieren, gehört längst der Vergangenheit an. Dozenten laden ihre Powerpointpräsentationen und ihre Skripte hoch, sind “beinahe” rund um die Uhr per Email erreichbar. Reichlich unangestaubt boomt hier der Sektor E-learning und ein bestimmter Ansatz ganz besonders: sogenannte MOOCs.

Diese Massive Open Online Courses ermöglichen es Studenten im Netz Seminare zu belegen. Die Teilnehmerzahl ist unbegrenzt, auch geografische und gesellschaftliche Grenzen gibt es nicht. Für Julian van Dieken, der die Produktion des MOOCs “The Future of Storytelling” betreut, zeichnet dies den neuen Trend aus: “Da haben wir die Grundschullehrerin aus Virginia, den Soldaten aus Afghanistan oder aber auch einen Schüler aus Kenia. In einem “Klassenraum” sitzen dann also quasi Studenten und Studentinnen aus verschiedenen Ländern zusammen, die keine geographische Nähe haben”, erklärt er am 9. September bei einer Veranstaltung in der Bundeszentrale für politische Bildung.

Bildung wird für alle Menschen zugänglicher

Van Dieken findet die verschiedenen Nationalitäten und sozialen Hintergrunde besonders spannend. MOOCs ermöglichen es vielen jungen und auch älteren Menschen, kostenlos an Wissen und Bildung teilzuhaben. Dennoch ist die Abbrechquote hier nicht von der Hand zu weisen: So schliessen in den meisten Fällen nicht einmal 10% der Absolventen den Kurs erfolgreich ab, sondern brechen ihn schon frühzeitig ab – zum Beispiel aus Zeitmangel. Trotzdem ergeben sich durch dieses neue Modell der Bildung ganz neue Chancen: MOOCs stellen eine grosse Möglichkeit für wissbegierige US-Amerikaner oder auch Briten dar, da sowohl in den USA als auch in Grossbritannien Hochschulbildung mit sehr hohen Kosten verbunden ist.

Ein Jahr an einer Universität in London kostet circa 9.000 Pfund. Natürlich noch nicht inbegriffen das Geld für Bücher, Fahrkarten, Druckpatronen usw. Viele der Studenten nehmen dann einen Kredit auf, damit sie es sich leisten können, die Universität zu besuchen. Durch MOOCs wird Bildung, die schliesslich als essentielles Recht in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist, viel zugänglicher für alle Menschen. Es müssen nicht mehr horrende Preise für die Ausbildung gezahlt werden, so dass alle daran teilhaben und nehmen können. Mit allen sind in diesem Falle nicht nur Menschen verschiedener sozialer Hintergründe gemeint, sondern auch Menschen verschiedener Altersschichten sowie Länder und Kulturen.

Videos, Interviews, Übungen und Quizzen

So eignen sich MOOCs auch für RentnerInnen und PensionärInnen, die noch etwas für ihr Gehirn tun und sich weiterbilden wollen. Diese Eigenschaft trifft auch für Menschen zu, die in ganz anderen Bereichen arbeiten und sich dennoch für bestimmte Themen interessieren. Geisteswissenschaftler können Physik- oder Chemiekurse belegen, Banker auch mal Seminare zur Genderdarstellung in den Kurzgeschichten von Hemingway. Doch MOOCs sind nicht nur dazu gut, sich Zusatzwissen anzueignen, das nicht den eigenen Wirkungsbereich betrifft, sondern auch für die Vertiefung des Uniwissens. Mit Hilfe von Videos, Interviews, Übungen und Quizzen kann das, was in Vorlesungen oder Seminaren nicht verstanden worden ist, aufgearbeitet werden.

Vielleicht auch mit Hilfe eines Professors, der eventuell besser und einfacher erklären kann, als es der eigene tut. Ausserdem ist man durch das Forum mit anderen Studenten vernetzt und hat somit die Möglichkeit, auch Feedback von ihnen zu erhalten und sich mit ihnen auszutauschen. All diese Vorteile setzten allerdings auch einen Nachteil für die Produzenten, in den meisten Fällen Dozenten, voraus: MOOCs zeichnen sich oft durch Videos, Interviews, Quizzes und ein interaktives Forum aus, über das die Studierenden sich austauschen können. Das Produzieren solcher Materialien erfordert von DozentInnen mehr als das, was sie ursprünglich in ihrem Job tun.

Neues Arbeitsfeld für Journalisten?

Ihre Aufgaben bestehen nicht “nur noch” darin, den Unterricht vorzubereiten, durchzuführen und zu betreuen, sondern es kommen noch viele weitere “Rollen” für sie dazu: Sie sind InterviewerInnen, ProduzentInnen, RegisseurInnen, Community MangerInnen, RedakteurInnen und, und, und. Alles Fähigkeiten, die JournalistInnen besitzen sollten, um in ihrem Job erfolgreich arbeiten zu können. Den “klassischen Journalisten”, der mit einem Notizblock und einer grossen Menge “W-Fragen” bewaffnet auf einen Termin geht und dabei einen schicken Trenchcoat zur ewig glühenden Zigarette im Mundwinkel trägt, ist wohl ein romantisches Bild von gestern. JournalistInnen von heute müssen bloggen, Videos und Slideshows erstellen und nebenbei noch bei Twitter als Community Manager auf die Fragen und Kommentare ihrer LeserInnen reagieren. Einen Text “einfach nur” besonders lesernah zu gestalten – das ist zu wenig.

Sind Universitäten im Zeitalter der MOOCs also ein neues Arbeitsfeld für den von Umbrüchen geplagten Journalismus? Christina Maria Schollerer hat diese Frage schon längst für sich beantwortet. Die Konzeptorin und Autorin von MOOCs arbeitet bereits mit Journalisten zusammen: “Es ist kein Geheimnis, dass angehende (Video-)Journalisten häufig nicht in Geld, Ruhm und Prestigeprojekten schwimmen. Die Mitarbeit an einem MOOC ist eine tolle Möglichkeit, ein noch neues Format entscheidend mitzuprägen, zu experimentieren und ausserhalb des klassischen Zweigs Erfahrungen zu sammeln; auch wenn bis jetzt die Finanzierung solcher Projekte nicht eindeutig geklärt ist.”

Da das Erstellen eines MOOCs eine intensive Auseinandersetzung mit einem Thema und deren multimedial ansprechende, aber nüchterne Umsetzung erfordere, ist das ihrer Meinung nach, nicht weit von den journalistischen Fähigkeiten entfernt. Recht hat sie damit. So verbringt ein Journalist, egal ob er im Online-, Print-, Fernsehen- oder Hörfunkjournalimus arbeitet, einen grossen Teil seiner Arbeitszeit damit zu recherchieren, also Informationen zu sammeln und zu sichten. Da sie sowieso immer in neue, ihnen manchmal sogar gänzlich unbekannte Themenblöcke eintauchen, wäre das also nichts Neues für sie. Hinzukommen die Routine in Interviewsituationen und im Texteschreiben. Ihre audiovisuellen Fähigkeiten sind auch von Vorteil.

Profitabel für beide Seiten

Aus diesen Gründen und wahrscheinlich auch, weil Schollerer selbst während ihres Studiums für die Presse gearbeitet hat, ist sie der Verknüpfung von Universität und Journalismus positiv eingestellt. Trotzdem steht einer erfolgreichen Zusammenarbeit das liebe Geld im Weg. So gibt es noch kein Modell, dass die Finanzierung solcher MOOCs und somit auch der Produzenten zum Ziel hat. Dennoch gibt es bestimmte Förderungen, die beantragt werden können. Christina-Maria Schollerer macht das bei ihrem Projekt folgendermassen: “Wir finanzieren uns allein auf Basis des 25.000-Euro-Stipendiums des Stifterverbands und iversity und freiwilligem Engagement. ‘Normale’ US-MOOCs dagegen kosten schnell mal 250.000, so dass wir hier auf keinen Fall zu korrekten Marktpreisen arbeiten können.”

Alles in allem ist die Vorstellung, dass JournalistInnen für die Universität arbeiten, durchaus interessant. Abgesehen davon, dass die Uni ein zusätzliches Feld zum Brötchenverdienen ist, können JournalistInnen hier ihre Fähigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens ausbauen. Schollerer denkt sogar schon weiter. Sie möchte wissen wie MOOCs an einer Journalistenschule aussehen könnten. Aus Sicht der Universitäten birgt diese Entwicklung eigentlich auch nur Chancen: Die DozentInnen müssten nicht mehr neben ihrem ursprünglichen Job auch noch als Redakteur oder Interviewer arbeiten. Stattdessen könnten sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Obendrein von den Fähigkeiten der JournalistInnen profitieren. Mal sehen, was die Zukunft an neuen Komplizenschaften bringt.

Julia Müller
berlinergazette.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.

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