Vermisst jemand den Tyrannosaurus? Also spricht ein Verwirrter

Gesellschaft

Vorweg: Mein geistiges Vermögen ist ungefähr so überschaubar wie mein finanzielles. Ich meine sogar, es ist geschrumpft. Oder runzlig geworden, faltig, einfältiger?

Also spricht ein Verwirrter.
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Also spricht ein Verwirrter. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

20. Oktober 2020
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Korrektur
Es gibt Tage, an denen ich behaupte, diese Welt ist simpel. Es hat keinen Sinn, sie zu deuten, über sie zu debattieren, sie auf den Obduktionstisch zu legen und an ihr herum- und sie aufzuschnippeln und Teil für Teil zu messen, zu wiegen (wie man das so in Thrillern liest). Noch ein Film, noch ein Buch, noch eine Aufführung in den Medien und im Theater. Was für eine verquirlte Oper. Wenn es doch einfach ist, zwischen Bösen und Guten zu entscheiden. Denke ich an diesen guten Tagen. Gut ist gut, Böse ist böse, das lässt sich durchaus unterscheiden.

Es gibt Tage, an denen ich behaupte, diese Welt ist komplex. Auweia. Dann bin ich kurz vorm Durchdrehen. Ich erwache, und ich möchte nicht aufstehen. Bleiben. Im Bett. Wo es warm ist, trocken, sicher. Ich denke an Ameisen und Saurier. Ich trinke um elf Uhr ein erstes Glas Wein. Ich weiss, dass ich diese Welt nicht durchschaue, dass ich auf dieser Welt keinen Platz habe (ausser dem auf dem Stuhl grad). Ich weiss, diese Welt ist am Arsch, und alle, die auf ihr weilen, sind schuld daran. Wirklich alle, ausnahmslos, auch ich. Denke ich an diesen üblen Tagen.

Und? Was ist das nun? Die Welt? Ich auf ihr? Kurze Zeit nur, weiss ich, und ich weiss auch, dass der Welt (also: dem Planeten) mein Draufsein auf ihr so egal ist wie einer Schneeflocke, die einer Lawine nachschaut, die gleich ein Dorf zermalmt. Das Bild stimmt nicht ganz. Die Schneeflocke bin ich, die Lawine ist die Katastrophe. Und ich bin geschmolzen, bevor sie trifft. So ungefähr ist die Lage. Hin ist hin.

Ich bin des Lebens nichts überdrüssig. Ich möchte glauben, dass es nach mir weitergeht. Es kann doch nicht sein, dass die Flüsse, in denen ich schwamm, die Wälder, durch die ich wanderte, die Berge, die ich erklomm -, es kann doch nicht sein, dass das alles plötzlich ohne mich ist?

Ist es natürlich, naturmässig, naturgegeben. Ohne mich, na klar. Was ich meine: Aber das alles darf doch nicht ohne Menschen sein? Warum denn nicht? Ohne Menschen, na klar; vermisst jemand den Tyrannosaurus?

Wem liegt uns an seinem Herzen? Der Eidechse nicht, nicht dem Affen, nicht dem Maulwurf und nicht der Birke vor meinem Fenster. Wespen sind sowieso irre, und Sonnenblumen wiegen ihre schweren, symmetrischen Häupter im Wind – ohne Menschen. Schade ist es um die Trauben, die an den Hängen reifen und nicht gepflückt werden und in der Sonne und im Regen verkokeln zu Rosinen. Die auch niemand braucht. Ist ja niemand da, der nach ihnen langt. Und dann sehe ich die Eichhörnchen, die von Baum zu Baum springen, und ich weiss die Antwort auf die Frage, was ich (der Mensch, oha!) ihnen bin: etwas, das da ist, und wenn es nicht mehr da ist, dann ist es eben niemals dagewesen. Pumpe. Pompidou.

Ich befinde mich in einer beschissenen Lage. Aber nicht mehr lange, was mich beruhigt.

Eckhard Mieder