Zeitenwende im Urheberrecht Verfassungsgericht erlaubt Sampling

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Nach Jahrzehnten übermässig restriktiver Rechtsprechung im Urheberrecht könnte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zu Sampling eine Trendwende einleiten: Kunstfreiheit ist demnach wichtiger als Leistungsschutzrechte.

(K)ein Massstab - der durchschnittlich ausgestattete Tonträgerhersteller.
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(K)ein Massstab - der durchschnittlich ausgestattete Tonträgerhersteller. Foto: konzigraf (CC BY-SA 2.0 cropped)

2. Juni 2016
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Gerade einmal zwei Sekunden lang ist das Sample, das Moses Pelham aus Kraftwerks 1977 veröffentlichtem Track „Metall auf Metall“ kopiert und 20 Jahre später als Endlosschleife Sabrina Setlurs „Nur Mir“ hinterlegt hatte. Noch einmal 19 Jahre später entschied heute das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe darüber, ob Pelhams Nutzung der zweisekündigen Sequenz rechtmässig oder eine Urheberrechtsverletzung, genauer, ein Verstoss gegen das „Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers“ (§ 85 UrhG) darstellt. Laut Pressemeldung des BVerfG ist das Urteil überraschend eindeutig zu Gunsten der Kunstfreiheit ausgefallen (derVolltext des Urteils ist mittlerweile verfügbar):

«Die angegriffenen Entscheidungen [des BGH] verletzen drei der insgesamt zwölf Beschwerdeführer in ihrer Freiheit der künstlerischen Betätigung (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG)»

Mit dem Urteil des BVerfG geht ein beispielloser Rechtsstreit in die nächste Runde, der bereits zweimal zuvor vom Bundesgerichtshof (BGH) zu Gunsten der Rechteinhaber Kraftwerks und damit gegen ein Recht auf Sampling selbst kleinster Musikschnipsel ausgegangen war. Dementsprechend gross war auch das Interesse an der mündlichen Verhandlung vor derm BVerfG Ende letzten Jahres. Und kein Wunder, dass der Marathonprozess auch über einen eigenenEintrag im Online Remix-Museum verfügt. Dort schlussfolgerte Urheberrechtsexperte Till Kreutzer zum bisherigen Verfahrensverlauf,

«dass die Ausgleichsmechanismen des Urheberrechts, wie die Schöpfungshöhe oder das Zitatrecht, offenbar belanglos sind, wenn es um die wirtschaftlichen Interessen der Musikindustrie geht.»

So wurde bislang als Massstab für die Zulässigkeit von Sampling herangezogen, ob es einem „durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten“ möglich wäre, die Klangfolge selbst einzuspielen. Dieser Blickwinkel ignoriert jedoch technologischen Wandel und Remixkultur gleichermassen. Dank Internet und neuer digitaler Technik ist Sampling heute auch jenseits von Musikproduzenten mit jedem PC, ja selbst mit Smartphones möglich und verbreitet. Vor allem aber geht es beim Sampling eben nicht bloss um eine Tonfolge, sondern auch um eine Referenz. Was Sampling als Kulturtechnik so spannend macht, ist der Umstand dass das Alte im Neuen kenntlich bleibt und gleichzeitig neue kontextualisiert wird. Remix eben. Die bisherige Rechtsprechung zeigte sich gegenüber Sampling- und Remixkultur jedoch komplett ignorant.

Zeitenwende in der Rechtsprechung zum Urheberrecht?

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ändert sich diese Rechtsprechung grundlegend. Die in der Pressemeldung zitierte Urteilsbegründung liest sich dabei Streckenweise wie eine Streitschrift für einRecht auf Remix. So wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es beim Sampling eben um mehr geht als um das blosse „Nachspielen von Klängen“:

«Das eigene Nachspielen von Klängen stellt ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz dar. Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop.»

Überfallig und eindeutig auch die Anerkenntnis, dass die blosse Möglichkeit der Lizenzierung eben nicht ausreicht, um Kunstfreiheit zu garantieren, weil eine Lizenz – ganz unabhängig von beträchtlichen Rechteklärungskosten – ohne Angabe von Gründen einfach verweigert werden kann:

«Der Verweis auf die Lizenzierungsmöglichkeit bietet keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betätigungsfreiheit. Auf die Einräumung einer Lizenz zur Übernahme des Sample besteht kein Anspruch; sie kann von dem Tonträgerhersteller aufgrund seines Verfügungsrechts ohne Angabe von Gründen und ungeachtet der Bereitschaft zur Zahlung eines Entgelts für die Lizenzierung verweigert werden. Für die Übernahme kann der Tonträgerhersteller die Zahlung einer Lizenzgebühr verlangen, deren Höhe er frei festsetzen kann. Besonders schwierig gestaltet sich der Prozess der Rechteeinräumung bei Werken, die viele verschiedene Samples benutzen und diese collagenartig zusammenstellen. Die Existenz von Sampledatenbanken sowie von Dienstleistern, die Musikschaffende beim Sampleclearing unterstützen, beseitigen diese Schwierigkeiten nur teilweise und unzureichend.»

Im Ergebnis hält das BVerfG fest, dass „diesen Beschränkungen der künstlerischen Betätigungsfreiheit […] bei einer erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber[steht].“ Bei allen diesen Sätzen ist man versucht laut auszurufen: Ja! Genau so ist es!

Übrigens hält das BVerfG auch die Einführung einer Vergütungspflicht für Nutzungen im Rahmen der „freien Benutzung“ des § 24 UrhG für möglich:

«Hierbei könnte [der Gesetzgeber] der Kunstfreiheit beispielsweise durch nachlaufende, an den kommerziellen Erfolg eines neuen Werks anknüpfende Vergütungspflichten Rechnung tragen.»

Es ist zu erwarten, dass von Seiten der Musikindustrie mit dem heutigen Urteil der Startschuss zu einer diesbezüglichen Lobbyinitiative abgegeben werden wird.

Ganz abgesehen davon ist auch mit der Entscheidung des BVerfG das Verfahren immer noch nicht zu Ende. Der Fall geht jetzt zunächst zurück zum BGH, der dann wiederum entweder auf Basis des BVerfG-Urteils entscheiden oder den Fall dem EuGH hinsichtlich eines möglichen Vorrangs der EU-Urheberrechtsrichtlinie vorlegen kann.

Fazit

Mit seinem heutigen Urteil hat sich das deutsche Bundesverfassungsgericht überraschend deutlich für ein Recht auf Sampling ausgesprochen und damit der bislang praktisch bedeutungslosen „freien Benutzung“ des § 24 UrhG neues Leben eingehaucht. Denn wenn Sampling im Musikbereich in bestimmten Grenzen möglich ist, warum sollte eine freie Benutzung dann nicht auch in anderen Bereichen, in denen ein neues Werk unter Verwendung bestehender Werke entsteht, möglich sein? Zwar werden dadurch nicht automatisch auch andere Formen digitaler Netzkultur wie beispielsweise Meme legalisiert, aber die Bedeutung der Entscheidung ist dennoch kaum zu unterschätzen. Sie markiert eine Wende weg von allzu restriktiver Auslegung eines überbordenden Urheberrechts hin zu einem alltagstauglicheren Schutzniveau. Bleibt die Frage, ob auch der Gesetzgeber diese Wende nachvollzieht oder unter dem zu erwartenden Lobbydruck der Musikindustrie einknickt.

Leonhard Dobusch
netzpolitik.org

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.