Das Thema Massenüberwachung im Wahlkampf US-Wahlkampf: Wenig Hoffnung auf mehr Datenschutz

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NSA-Kritiker Rand Paul gibt auf. Heisst das für die NSA „business as usual“ im Jahr 2017? Von den übrigen Kandidat/innen kommt kaum Kritik an der Massenüberwachung.

Rand Paul bei einer Rede in New Hampshire.
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Rand Paul bei einer Rede in New Hampshire. Foto: Michael Vadon (CC BY-SA 2.0 cropped)

9. Februar 2016
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Die Vorwahlen in Iowa am Montagabend endeten mit mehr als nur einer Überraschung: Unter den Republikanern schnitt Marco Rubio unerwartet gut ab, Donald Trump schaffte es nur auf den zweiten Platz und Hillary Clintons Sieg auf Seiten der Demokraten beruht auf lediglich 0,3 Prozentpunkten Vorsprung zu ihrem Kontrahenten Bernie Sanders. Die Ergebnisse dieser Vorwahl haben bereits den Demokraten Martin O'Mally und den Republikaner Mike Huckabee dazu bewegt, ihre Kandidatur zurück zu ziehen. Nun taten es ihnen auch Rick Santorum und Rand Paul gleich.

Paul, der Republikanische Senator aus Kentucky, hatte in Iowa nur 4,5 Prozent der Stimmen erhalten. Mit seinem Rückzug verloren die amerikanischen Wähler/innen den einzigen Kandidaten, der sich mit leidenschaftlicher Hartnäckigkeit gegen die massiven Überwachungspraktiken der NSA aussprach. Was das für die Zukunft der NSA unter der nächsten Administration bedeutet, ist noch unklar. Denn beim Thema NSA-Überwachung und Datenschutz gibt es sowohl innerhalb der Republikanischen als auch der Demokratischen Partei unerwartete Differenzen, die sich in den Positionen der Kandidat/innen widerspiegeln. „Eure Telefondaten gehen die einen Dreck an“

Innerhalb der Republikanischen Partei ist Rand Paul Federführer der radikalliberalen Strömung, die sich grundsätzlich gegen eine starke, zentralisierte Regierung stellt. Ganz in dieser Tradition forderte der Kandidat Rand Paul, die gesetzliche Krankenversicherung („Obamacare“) aufzuheben, um sie stattdessen dem freien Markt zu überlassen, prangerte strengere Waffenkontrollen als eine unangemessene Einschränkung der in der Verfassung verbrieften Bürgerrechte an, und kritisierte die Eingriffe der NSA in die Privatsphäre der Bürger/innen.

Auf Rand Pauls Wahlkampf-Website war die Beendung der NSA-Überwachung eines der Hauptthemen. „Ihr habt Bürgerrechte und ein Recht auf eine Privatsphäre“, erklärte er in einem Wahlkampfvideo. „Eure Telefondaten gehören euch. Die Telefondaten von gesetzestreuen Staatsbürgern gehen die einen Dreck an!“

Eine derart vehemente Verknüpfung von Bürgerrechten mit Datenschutz war für Paul mehr als blosse Wahlkampfrhetorik. Als im Juni 2015 grosse Teile des Patriot Acts neu autorisiert werden mussten, inszenierte Paul eine zehnstündige Rede (es fehlten lediglich zwölf Minuten bis zum offiziellen „Filibuster“) um die Wahl zu blockieren. Die Sammlung von Metadaten sei „verfassungswidrig“, argumentierte der Senator. Die amerikanischen Bürger/innen verdienten eine ausführlichere Debatte über den Datenschutz und die Rolle der NSA. Unterstützt wurde Paul von seinem Wahlkampfrivalen Ted Cruz, dem Republikanischen Senator aus Texas, der eine Zeitlang das Mikrofon übernahm, um seinem Konkurrenten eine Atempause zu geben. Doch wird Cruz diese Rolle weiterhin übernehmen?

„Washington im Zaum halten“

Unmittelbar vor den Vorwahlen in Iowa war Ted Cruz Umfragen zufolge der zweitstärkste Republikanische Kandidat nach Donald Trump. Nun hat er in Iowa die Mehrzahl der Stimmen gewonnen. Auch er kritisiert den „aufgeblasenen“ Zentralstaat: Sein Plan „Fünf für die Freiheit“ (Five for Freedom) sieht die Abschaffung von fünf der grössten staatlichen Behörden vor, unter anderem des Bildungsministeriums und der zentralen Steuerbehörde. Washington, so steht es auf seiner Wahlkampfwebsite, müsse „im Zaum“ gehalten werden.

Bei Cruz geht das Misstrauen zu Washington, ebenso wie bei Paul, mit einer kritischen Haltung gegenüber des langen Arms der NSA einher. Nachdem die wichtigsten Artikel des Patriot Acts im Juni 2015 nicht verlängert wurden, stimmte er für den USA Freedom Act, eine Reform des Patriot Acts, mit der zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren die Überwachungsbefugnisse der NSA eingeschränkt wurden. Zwar ist die Massenüberwachung weiterhin erlaubt, jedoch werden die Metadaten nun bei den Telefongesellschaften gespeichert. Ausserdem bedarf es von jetzt an spezifischer Selektoren um diese Daten zu durchsuchen, erklärt die Digital-Rights-Organisation AccessNow.

Für Cruz ist der USA Freedom Act eine notwendige Reform der willkürlichen Massenüberwachung, die seit 2001 im Rahmen des Patriot Acts stattfand. Jedoch gibt es Zweifel daran, ob er Pauls Feldzug gegen die NSA alleine weiterführen wird, denn Cruz bleibt seiner radikalliberalen Stellung nicht immer treu: Als Cruz in der vierten Republikanischen Debatte wegen seiner Kritik an der NSA-Überwachung angegriffen wurde, verteidigte er diese mit der Begründung, das neue Programm führe zwar strengere Regelungen für die Durchsuchung von Daten ein, ermögliche aber insgesamt das Sammeln von mehr Telefondaten.

„Nicht weit genug“

Falls Cruz dem innerparteilichen Druck nachgibt, könnte der Demokrat Bernie Sanders die beste Hoffnung für Datenschützer/innen sein. Der Senator aus Vermont und selbsternannte Sozialist stimmte ebenso wie Paul gegen den USA Freedom Act. Beide begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Reform die Massenüberwachung nicht ausreichend einschränke. In einem seltenen parteiübergreifenden Moment unterstützte der Senator aus Vermont sogar Pauls zehnstündige Rede-Blockade gegen den USA Patriot Act. Nach der Verabschiedung des Freedom Acts erklärte Sanders in einem Interview mit MSNBC: “Ich habe gegen den ursprünglichen USA Patriot Act gestimmt und ich habe gegen die Neuautorisierung gestimmt. Obwohl der heutige Gesetzentwurf viel besser und ein Schritt nach vorne war, ging er nicht weit genug.“

Sanders beunruhigt nicht nur die Überschreitung des legitimen Zuständigkeitsbereichs des Staats, sondern auch die wachsende Macht der US-Konzerne. In demselben Interview forderte er eine landesweite Debatte: „Ist es den Menschen wohl bei dem Gedanken, dass das Amerika der Konzerne und die US-Regierung über so viele Details Ihres Privatlebens verfügen?”

„Whatever it Takes“

Der Liebling des Republikanischen Establishments sieht das jedoch ganz anders. Marco Rubio, Senator aus Florida, ist der Meinung vieler Republikaner nach der einzige Kandidat, der gegen Clinton gewinnen könnte. Googelt man auf Englisch die Frage „Wer kann Hillary besiegen?“ erscheint sogar ein Foto von Rubio mit dem Satz „Marco Rubio ist der zuverlässige Konservative, der Hillary besiegen kann.“ Schon jetzt stellt sich die Partei-Elite hinter ihn und fordert schwächere Kandidat/innen dazu auf, aus dem Wahlkampf auszusteigen.

Rubio äusserte scharfzüngige Kritik an seinen Republikanischen Rivalen - insbesondere an Ted Cruz - für deren mangelnde Unterstützung der staatlichen Überwachungsbefugnisse. „Manche meiner Republikanischen Kollegen treten auch als Präsidentschaftskandidaten an, haben jedoch die letzten Jahre damit verbracht, unsere Verteidigungs- und Geheimdienstprogramme zu schwächen“, beteuerte Rubio in einer Stellungnahme im Magazin Politico. Um Terrororganisationen wie den IS zu besiegen, würde er als Präsident „alles Nötige tun.“ Damit begründet Rubio sein Plädoyer für das Aufheben der Einschränkungen der Massenüberwachung im Ausland und die Wiederherstellung all jener Kapazitäten zur Informationssammlung, die durch den Freedom Act begrenzt wurden. “Wir wollen nicht am Tag nach einem Angriff aufwachen und uns wünschen, dass wir diese Programme gehabt hätten.”

Auch beim umstrittenen Thema Verschlüsselung ist Rubio ein traditioneller „Falke“: „Wir brauchen einen Echtzeit-Zugang zu allen belangbaren Informationen, die uns erlauben, amerikanische Leben zu retten“, argumentierte der Senator beim Wall Street Journal CEO Council Forum im November. Dazu bräuchte es eine bessere Kooperation zwischen Tech-Konzernen und der Regierung. In dem Punkt ist die Demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton ganz seiner Meinung.

„Es muss doch einen Weg geben“

Die ehemalige Aussenministerin Hillary Clinton wird unter Demokraten für ihre vagen Stellungnahmen zu Fragen der NSA-Überwachung stark kritisiert. Als sie in der dritten Demokratischen Debatte gefragt wurde, ob sie Tech-Konzerne zwingen würde, der Regierung Zugang zu verschlüsselter Kommunikation zu ermöglichen, wich sie aus: die Tech-Branche müsse mit der Regierung zusammen arbeiten, statt sie als Gegner zu sehen.

Experten wie beispielsweise Joseph Lorenzo Hall, Chief Technologist am Center for Democracy and Technology, beteuern, das Problem liege nicht in einem Mangel an wohlgesinnter Zusammenarbeit. Vielmehr sei es technologisch unmöglich, der Regierung einen Zugang zu verschlüsselten Daten zu verschaffen, der nicht auch für Hacker angreifbar wäre: „Man kann keine 'Hintertür' bauen, die nur die Guten durchlässt” erklärte Hall bei einer Diskussion in Washington Anfang des Jahres. Trotzdem besteht Clinton auf einer ungenauen „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ und behauptet zuversichtlich: „Ich glaube einfach, dass es einen Weg geben muss, und ich hoffe, dass die Tech-Firmen mit der Regierung zusammen arbeiten werden, um diesen Weg zu finden.“

Konkret Stellung zur NSA-Überwachung nahm Clinton erst in der Form eines Tweets im letzten März, in dem sie sich ausdrücklich für den USA Freedom Act aussprach: Der Gesetzentwurf sei “ein guter Schritt vorwärts in den fortlaufenden Bemühungen, unsere Sicherheit und Bürgerrechte zu schützen.”

Es ist zu hoffen, dass man bis zur Wahl im November mehr als 140 Zeichen über ihre Ansichten zum Thema erfahren wird. Clinton ist jedoch eindeutig nicht die schärfste Kritikerin der Massenüberwachung.

„Eine Sache, in der ich nicht involviert war“

Etwas abseits in der NSA-Debatte steht der Republikaner Donald Trump. In einem Interview mit MSNBC erklärte er, dies sei ein Thema, in dem er “nicht sehr involviert” gewesen sei. Allerdings stehe er eher auf einer Seite mit Rubio: Bei so Vielen, die “uns zerstören wollen”, sei es besser, auf Nummer sicher zu gehen.

Schwer zu sagen, was also die nächste Administration für die Erweiterung oder Einschränkung der staatlichen Überwachung bedeuten könnte. Auf jeden Fall ist Pauls Rückzug für Datenschützer und Aktivisten ein grosser Verlust, denn niemand sonst setzt sich in diesem Wahlkampf mit solcher Leidenschaft und Ausdauer für eine Einschränkung der staatlichen Überwachungsbefugnisse ein.

Hannah Winnick / Anna Fuchs
boell.de

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-SA 3.0) Lizenz.