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Freie Software und das kapitalistische Begehren

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Freiheit im Machtgefüge Freie Software und das kapitalistische Begehren

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Digital

Das Konzept von freier Software wird oftmals mit Kapitalismuskritik in Verbindung gebracht und als Beispiel für das Funktionieren von alternativen Produktionsprozessen angeführt.

Free software.
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Free software. Foto: Nunmap (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 25. Oktober 2023
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Doch wie viel Potential hat freie Software wirklich, das bestehende System der Ausbeutung anzukratzen?

Die Anfänge der Freiheiten

In den Anfängen der Digitalisierung war es vor allem an Universitäten selbstverständlich, den Code für Computerprogramme nach Belieben zu kopieren, zu verändern und die Anpassungen weiterzuverbreiten. Es war damals noch nicht üblich, die Weitergabe von Software an bestimmte Lizenzbedingungen zu knüpfen. Die Software, die meist auch im akademischen Umfeld entstand, war in der Regel Allgemeingut (Public Domain), also frei von Urheberrechten.

Erst in den 1970er und 1980er Jahren setzte ein Trend zur Kommerzialisierung von Software ein. Unternehmen fingen an, die Weitergabe von Software unter Bedingungen zu stellen oder sogar den Quellcode für sich zu behalten und nur das fertige Programm zu verkaufen. Als Reaktion auf diese Entwicklung wurde das bestehende System des Teilens formalisiert und mit dem Namen „freie Software“ versehen. Das Konzept der „freien Software“ wurde somit in den 1980er Jahren erdacht.

Die am weitesten verbreitete Definition von freier Software listet die folgenden vier Freiheiten, die freie Software ausmacht:
  • Die Freiheit, das Programm für einen beliebigen Zweck auszuführen
  • Die Freiheit, das Programm nach Belieben anzupassen
  • Die Freiheit, das Programm weiterzugeben
  • Die Freiheit, etwaige Verbesserungen am Programm weiterzugeben
Basierend auf dem Konzept freier Software entwickelten sich einerseits verschiedene Lizenzen, die diese Freiheiten garantieren sollen, und andererseits eine soziale Bewegung, eine Gemeinschaft von Hacker:innen, die diese Konzepte propagierten. Beeinflusst von dem Prinzip der Redefreiheit, wie sie im First Amendment der Verfassung der Vereinigten Staaten festgelegt ist, sowie von der Gegenkultur wie sie Ende der 60er Jahre an verschiedenen US-Amerikanischen Unis verbreitet war, wurde das Konzept der freien Software nicht nur als Mittel zur Privatkopie gesehen, sondern die bestehenden Machtverhältnisse damit aufzubrechen und zu unterwandern.

Damit zusammenhängend entwickelte sich als Gegenentwurf zum Copyright auch der Begriff des Copylefts: um zu garantieren, dass die Freiheiten erhalten bleiben, schreiben Copyleft-Lizenzen vor, dass etwaige Änderungen einem Werk wieder unter derselben Lizenz wie das ursprüngliche veröffentlicht werden müssen. Eine solche Klausel garantiert, dass die Software, das Werk frei bleibt.

Im Gegensatz dazu entstanden Lizenzen, die als permissiver oder freizügiger gelten: sie schreiben zwar vor, dass das ursprüngliche Copyright angegeben wird, die Software kann aber auch als proprietäre Software vertrieben werden – also als Software ohne Code und somit auch ohne Einblick in die eigentliche Funktionsweise1. Diese verschiedenen Ansätze zeigen schon, wie auf unterschiedliche Art versucht wird, verschiedenen Akteuren Freiheiten zu garantieren. Aus anarchistischer Sicht stellt sich natürlich auch die Frage, ob „Lizenzen“, also ein Konzept aus einem Rechtssystem, überhaupt fortschrittlich sein können?

Freiheit im Machtgefüge

In den Jahren vor der Jahrtausendwende kam aus Publicitygründen eine weitere Begrifflichkeit hinzu: Um sich von den ideologischen Wurzeln der freien Software zu distanzieren, wurde der Fokus von den Freiheiten zu den Eigenschaften der Software, quelloffen zu sein, gelenkt. So wurde der Begriff der „Open Source“-Software geschaffen. Heutzutage wird meistens von FOSS, also Free and Open Source Software2 gesprochen. Software, die in irgendeiner Art frei oder offen ist, ist aus der westlichen hochdigitalisierten Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Doch was ist übrig von den ursprünglichen propagierten Freiheiten? Big-Tech-Unternehmen wie Alphabet (Google) oder Meta (Facebook, Instagram) setzten von Anbeginn auf FOSS und gehören mittlerweile zu den grössten Unterstützern der FOSS-Gemeinschaft.

Selbst Microsoft, ein Konzern, der freie Software noch vor 20 Jahren als Krebsgeschwür bezeichnet hat, veröffentlicht Software unter freien Lizenzen. Der offene Entwicklungsansatz bietet den Vorteil von (unbezahlter) Mitarbeit durch Freiwillige. Software als FOSS zu veröffentlichen ist auch gute Werbung. Microsoft hat erkannt, dass sich auch mit Linux sehr gut Geld machen lässt. Das Unternehmen hat vor einigen Jahren sogar die weltweit grösste Plattform für quelloffene Software aufgekauft und damit Zugriff auf die neuesten Entwicklungen und Trends in der Community.

Ein Grossteil der Infrastruktur des Überwachungskapitalismus, wie zum Beispiel Facebook und Twitter, nutzen zur Ausbeutung unserer Daten zu einem grossen Teil freie Software. Doch nicht nur private Unternehmen sind auf den Geschmack gekommen, auch Regierungen nutzen freie Software, um ihre repressiven Systeme zu stärken. Es hat sich herausgestellt, dass sowohl Kapitalismus als auch Staaten sich sehr gut mit den Freiheiten von FOSS arrangieren können, und freie Software damit als Mittel für Zwecke genutzt wird, die im strikten Gegensatz zu einer befreiten Gesellschaft stehen.

Sind die Freiheiten also nur Verblendung, braucht es neuere Konzepte, um freie Software mit Gesellschaftskritik zu verbinden? In der Community wurden diese Fragen in den letzten Jahren intensiv und kontrovers diskutiert. Es wurden neue „ethical source“-Lizenzmodelle vorgeschlagen, die den Autor:innen von Software die Möglichkeit geben sollen, die Verwendung von Software einzuschränken. So bietet die „Hippocratic License“3 zum Beispiel die Möglichkeit, Software quelloffen zu veröffentlichen, aber gewisse „unethische“ Nutzungen (z. B. zur Strafverfolgung oder für Massenüberwachung) zu verbieten. Die Kritiker:innen dieser neuen Lizenzen merken zu Recht an, dass diese keine „freien“ Lizenzen seien, da sie die erste Freiheit einschränken: Die Freiheit, das Programm für einen beliebigen Zweck auszuführen.

Dieser Ansatz mag zwar puritanisch erscheinen, klar ist aber auch, dass der Erfolg von FOSS sehr stark damit zusammenhängt, dass die Freiheiten nicht diskriminieren. Die Frage, wieviel Freiheit die Lizenzen bieten sollen, erinnert ein wenig an das Popper'sche Toleranzparadoxon4: Welche Arten von Nutzung von Software können wir tolerieren? Und grundlegender gefragt: Kann „freie Software“ überhaupt dem Anspruch genügen, das bestehende System in Frage zu stellen, wenn sie gleichzeitig bestehende Machtpositionen festigt?

Was blieb übrig, worauf ist zu bauen?

Dennoch bietet FOSS auch das Potential für gesellschaftliche Veränderung. Die freien Lizenzen sind zwar nicht „einfach so“ das Wundermittel, mit dem der kapitalistische Normalzustand aufgebrochen wird, aber sie bieten Möglichkeiten Machtstrukturen zu dezentralisieren und den Menschen die Kontrolle über Technologie zurückzugeben. Freie Software und offene Standards bilden zum Beispiel die Grundlage für selbstverwaltete Mediennetzwerke wie sie vor 20 Jahren mit Indymedia entstanden sind oder in den letzten Jahren mit Mastodon.

In verschiedenen Ländern haben sich Communities gebildet, um mit freier Software digitale Kommunikationsnetzwerke zu schaffen, die abseits von kommerziellen oder staatlichen Anbietern funktionieren. FOSS ist auch die Basis für unterschiedliche Arten der Anonymisierung im Internet und ermöglicht so Aktivist:innen sich geschützt zu organisieren. Nicht zu vergessen sind auch die Produktionsprozesse von freier Software: ein grosser Teil der Softwareentwicklung passiert in selbstverwalteten Gruppen mit flachen Hierarchien, die sich ihre eigenen Strukturen zur Entscheidungsfindung schaffen und somit Parallelen zu Graswurzelbewegungen darstellen.

Wichtig anzumerken ist weiters, dass das Konzept von FOSS Vorbild für Initiativen abseits der digitalen Welt ist. Es gibt Versuche, über Lizenzen der Kommerzialisierung und Privatisierung von Kollektiveigentum Einhalt zu gebieten: Open Source Seeds5 versucht mit freien Lizenzen der Patentierung von Saatgut entgegenzuwirken. Open Source Ecology6 ist ein Projekt mit dem Ziel freie Implementierungen von Industriemaschinen zu schaffen.

Vielen wird auch Creative Commons ein Begriff sein, ein Set an Lizenzen, um Texte, Bilder, Videos oder Musik unter Copyleft zu veröffentlichen. Die Entwicklung von FOSS zeigt, wie ein Ansatz, der eigentlich eine fairere Verteilung von Gütern zum Ziel hatte, als Mittel für Ausbeutung und Machterhalt dienen kann. Dennoch ist freie Software ein Werkzeug, das genutzt werden kann, um bestehende Machtverhältnisse aufzubrechen, eine Idee, die als Inspiration für andere Umverteilungsprojekte dient und eine Möglichkeit, um Selbstorganisierung praktisch umzusetzen.

Bsc / emrawi

Fussnoten:

1 Die wohl bekannteste Copyleft-Lizenz ist die GPL, permissive Lizenzen sind z. B. die BSD Lizenz oder die MIT Lizenz

2 Oder auch FLOSS – Free/Libre Open Source Software

3 firstdonoharm.dev

4 Der Philosoph Karl Popper hatte in seinem 1945 erschienenen Buch „Die offene Gesellschaft“ das Toleranz-Paradoxon so beschrieben: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die neingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

5 https://www.opensourceseeds.org

6 https://www.opensourceecology.org