Wie ein konservativer Tech-Prediger sich die Zukunft vorstellt Wofür steht Peter Thiel?

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Im Silicon Valley bastelen Manager, Programmierer und Berater unablässig an einer besseren Zukunft für die Menschheit. Doch wie legitimieren die Tech-Prediger aus Kalifornien ihre Arbeit, die inzwischen eine gesellschaftspolitische Dimension hat?

Das konservative Silicon Valley hat sich seine Sitze in Washington ergattert und versucht nun aktiven Einfluss auf die Politik zu nehmen. Peter Thiel, 2016.
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Das konservative Silicon Valley hat sich seine Sitze in Washington ergattert und versucht nun aktiven Einfluss auf die Politik zu nehmen. Peter Thiel, 2016. Foto: Voice of America (PD)

15. Mai 2017
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Welche Motive verfolgen sie dabei? Berliner Gazette-Autorin Kim Ly Lam hat sich einen Vertreter des Valley genauer angeschaut: Den Trump-Berater und Milliardär Peter Thiel:

Die Technologiebranche ist eine der vielversprechendsten Industrien weltweit. So wird sie nicht nur als Antrieb für Fortschritt und Profit gelobt: Die post-fordistische Start-Up-Kultur des Silicon Valleys repräsentiert die modernen Werte unserer Gesellschaft und verspricht Gleichheit inmitten eines kreativen Arbeitsumfelds. Fast wird das Bild eines Wohlfahrtsunternehmens gezeichnet, das sich um die Bedürfnisse der Angestellten sorgt, welche im Gegenzug ihre Leistung und Effizienz steigern.

Die zahlreichen Berichte über Sushi-begleitete Hackathons und Mittagspausen im hauseigenen Spa locken nicht nur aufstrebende Entrepreneure und Informatiker an. Sie polieren das Image in der Gesellschaft und verteidigen die Anerkennung, die die Industrie geniesst. Doch, was aufhorchen lässt: Es werden politische Motive übertüncht.

Das Valley: überpolitisch

Wer mit dem Bewusstsein der Massenmedien einfache Assoziationen mit Silicon Valley knüpft, stösst zunächst auf ein überwiegend positives Bild. Die Bay Area wird von einer Politik geschätzt, die nicht nur wirtschaftlichen Wachstum durch die dort ansässigen Unternehmen erzielt, sondern auch aus militärisch-taktischen Gründen in den Sektor investiert. Seit den beiden Weltkriegen ist der US Staat eng mit der Entwicklung von Technologie verwoben, die Regierung hatte während der Krisenzeit Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen zusammengeführt und zu Erfindungen gedrängt. Nicht zufällig wurde die Computing Recherche der Stanford Universität von dem US-Verteidigungsministerium jahrelang mitfinanziert.

Diese staatlichen Vernetzungen werden in öffentlichen Diskursen nur spärlich debattiert. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Konsum. So überwiegt die Bewunderung der Bevölkerung angesichts neuer Produkte und Apps das gesellschaftliche Klima. Die Statussymbolik dieser Technologie hat einen regelrechten Hype um Silicon Valley ausgelöst, die Gesichter Nordkaliforniens mit Prestige aufgeladen und neue Strukturen sozialer Hierarchie geschaffen. Seltener werden die politischen Hintergründe und Konsequenzen dessen kritisch hinterfragt. Dabei haben sich führende Unternehmen dazu ausgesprochen, die Welt nach ihrer Ideologie zu verbessern. Dass dazu auch politische Mittel angewendet werden müssen, ist ein logischer Schluss.

Dennoch scheint Silicon Valley sich von den klassischen politischen Akteuren absetzen zu wollen, porträtiert es sich vorwiegend überpolitisch. Die Industrie verweist auf eine unausgesprochene Autorität, mit der ein Gestaltungsanspruch über unser aller Leben erhoben wird. Tagtäglich entscheidet die digitale Infrastruktur über unseren Informationenzugang und die damit verbundene Bewegungsfreiheit, während Algorithmen die verfügbaren Perspektiven und Sichtweisen filtern. Unser Dasein im Cyberspace wird längst von fremden Interessenträgern beeinflusst. Es stellt sich die dringende Frage, an welcher Stelle derer selbst erschlossene Autorität legitimiert wird. Dürfen private Firmen den öffentlichen Raum und dessen Nutzer im Netz formen und regulieren? Welche Folgen resultieren daraus? Die konventionelle Politik hängt mit der Überprüfung technologischer Produkte und der Forschung ihrer Effekte auf die Gesellschaft weit hinterher.

Die Vision als Legitimation

Obwohl das kritische Untersuchen der Vorgänge im Silicon Valley längst auf der Agenda stehen sollte, geniesst das Gebiet weiterhin eine bemerkenswerte Immunität. Seit Jahren äussern Futuristen, Ingenieure und Entwickler die radikalsten Ideologien unter dem Deckmantel der Technologie. So charakterisiert die Idee der Singularität viele Unternehmen und Vordenker des Silicon Valley. Sie zielt auf das Schaffen einer Superintelligenz und eines transhumanistischen Wesens ab, das mithilfe von Technologie von allen Zwängen befreit und grenzenlose Weite, Konnektivität und Potenzial erfahren soll. Eine faszinierende und zugleich abstossende Vorstellung, die – würde ein politischer Machthaber sie äussern – weltweit für Furore sorgen würde.

Stattdessen aber lässt die Öffentlichkeit die Silicon-Valley-Anhänger gewähren. Letztere verweisen auf einen angeblich deterministischen Willen der Technologie und beschwören damit die Unabwendbarkeit von technologischem Fortschritt als Treiber der Geschichte und als Versprechen eines besseren Lebens. Ingenieure und Entrepreneure bemächtigen sich einer Autorität, die sich eben auf jene Ideologie des Techno-Determinismus stützt. Das prüfende Auge des Volkes wird damit erfolgreich umgangen, profitreiche Projekte können in freier Bahn umgesetzt und auf dem Markt verkauft werden. Erst im Nachhinein und unter öffentlichem Druck werden die Konsequenzen der Technologien reflektiert, wie das Beispiel um Facebook, Mark Zuckerberg und dem Fake-News-Eklat veranschaulicht. Silicon Valley wird damit zum Spielplatz der Visionen und Futuristen.

Futurismus nimmt in diesem Kontext eine ganz besondere Stellung ein. Sheila Jasanoffs Werk “Future Imperfect: Science, Technology, and the Imaginations of Modernity” (2015) gibt einen Einblick in das Wechselspiel von materiellen und sozialen Innovationen. Technologie, erklärt sie, sei stets an einem sozialen Kontext gebunden und eine wichtige einflussreiche Kraft, die über die Gesellschaftsordnung bestimme. Mit diesem Verständnis würden sozio-technische Fiktionen konstruiert werden, die nicht nur widerspiegeln, was durch Wissenschaft und Technologie errungen werden kann; in erster Linie seien die visionären Fiktionen Abbild von fundamentaleren Ideen, moralischen und ideologischen Vorstellungen dazu, wie das Leben gelebt werden soll.

Kurzum: Die sozio-technische Fiktion entspringt in Wirklichkeit einer individuellen und gegebenenfalls persönlichen Ideologie. Aus ihr wird eine Vision von der Zukunft gestrickt, mit der die Daseinsberechtigung oder Entwicklung neuer Technologien begründet wird. Das Konstruieren dieser Zukunftsvisionen wird damit nicht nur zu einem mächtigen Instrument, um Technologie zu legitimieren; es erlaubt Silicon Valley die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung mitzubestimmen. Die wahren und individuellen Intentionen der Unternehmen und Interessenträger bleiben indes verborgen.

Wer den wirklichen Zweck seiner Technologie verstecken möchte, kann fortan Zukunftsbilder entwickeln und Probleme darin einbetten. Dies erlaubt der Industrie, ihre Produkte und Projekte zu rechtfertigen und ertragreiche technologische Lösungen anzubieten. Es folgt eine Beziehung der Abhängigkeit, in der sich die Konsumenten an den Versprechen und Visionen im Silicon Valley klammern, um vermeintliche Probleme zu umgehen. Was nun, wenn die wahre Intention gewisser Technologien politischer Natur ist?

Das konservative Netzwerk von Peter Thiel

Inmitten der freiheitlichen Fassade Silicon Valleys pocht tatsächlich ein konservatives Herz. Hatte man zuvor die Widersprüchlichkeit im Lifestyle der Entrepreneure bemängelt – auf der einen Seite Demonstrationen für Gleichberechtigung auf den Strassen Mountain Views, auf der anderen Seite die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte in den Fabriken Chinas – zog spätestens Thiels Unterstützung für Donald Trump während dessen Wahlkampagne einen feinen Riss durch das Bild des fortschrittlichen Valleys.

Für viele ist Peter Thiel die Verkörperung eines Entrepreneurs, der den Silicon Valley Dream lebt. Thiel wurde in Frankfurt geboren, zog bereits im jungen Alter in die Vereinigten Staaten und studierte später Philosophie an der Stanford Universität. Dort gründete er auch das konservative Studentenblatt The Stanford Review, um schliesslich seine ersten Weggefährten zu finden, die ihn in die Tech-Industrie folgen und seiner Risikoanlage bei PayPal beitreten würden.

Mittlerweile zählt der 49-Jährige zu den einflussreichsten Geschäftspersonen der Technologie-Branche (Platz 12 auf der Forbes Midas List 2017), sitzt auf dem Leaderboard Facebooks und verwaltet zahlreiche namhafte Hedgefonds und Firmen. Sein Netzwerk schliesst bekannte Persönlichkeiten wie Tesla CEO Elon Musk und Jim O'Neill ein, letzterer ein ehemaliger Vorsitzender bei Goldman Sachs mit politischer Laufbahn und zugleich der Ökonom, der den Begriff der BRIC Staaten prägte. Bis in die Unternehmen Uber, SpaceX, airbnb, Reddit und Square reichen seine Kontakte. Seit kurzem zählt er auch Trump zu seinem Bekanntenkreis.

Doch was treibt einen erfolgreichen Billionär wie Thiel aus der Tech-Branche in die Regierungskreise Trumps? Fest steht: Seit Ende des vergangenen Jahres befindet sich Thiel im Übergangsteam der US-Regierung. Eine Position, die Proteste im Silicon Valley auslöste. Nicht zuletzt aufgrund von Trumps Dekret „13769“, welches auch als „Muslim Ban“ handelt wird, polarisiert Thiel die Bay Area mehr denn je. Er wirkt wie ein Aussenseiter im Valley und doch hält er an der US-Regierung fest. Ein Blick auf die Ideologie Thiels wirft Licht auf seine Strategie.

Freiheit und Demokratie: inkompatibel?

Stöbert man durch Thiels literarische Arbeiten, fällt eine besonders auf. Mit seinem Essay The Education of a Libertarian löste Thiel in der Vergangenheit eine heftige Diskussion aus. Gewissermassen ragte dieser provozierende Text wie die Spitze eines Eisbergs aus den dunklen Gewässern des Valleys. Hatte der Entrepreneur zuvor schon kontroverse Thesen in alten Werken geäussert (– sein Buch „The Diversity Myth – Multiculturalism and Political Intolerance on Campus” (1998) polarisierte mit der Behauptung, dass Multikulturalisten die westliche Kultur schwächen bzw. degradieren wollten und dafür Minderheiten künstlich viktimisierten, um ihre Klagen zu rechtfertigen –) und den Begriff der Freiheit einem globalen pluralistischen Markt als Gegenpol gesetzt (– nach Thiel's Bestseller „Zero to One“ (2014) müsse ein kluger Geschäftsmann den pluralistischen Wettbewerb um jeden Preis vermeiden und sich auf den Bau eines Monopols konzentrieren –), so erreichte er spätestens mit folgender Aussage den Höhepunkt seiner Gewagtheit: „Most importantly, I no longer believe that freedom and democracy are compatible.” (The Education of a Libertarian, 2009.)

Den Begriff der „kapitalistischen Demokratie“ nennt Thiel ein Oxymoron. Denn während für die Demokratie pluralistische und kompetitive Strukturen unabdingbar sind, seien diese Gift für den Kapitalismus, der sich vor allem an monopolistischen Strukturen nährt. Auch müsse der Markt nach Thiels libertärem Blickwinkel von jeglicher Restriktion befreit werden, um einen Zustand wahrhaftiger Freiheit zu erlangen. Heisst: Regulative Politik wird nur dann geduldet, wenn sie der Monopolbildung dient und den Wettbewerb mindert. Den Protektionismus Trumps mit dem „America first“ begrüsst Thiel deshalb offen, ebenso wie die Minderheitenfeindlichkeit, die der westlichen Kultur dazu verhelfe, zur alten Grösse zurückzufinden. Klingt etwas rechtspolitisch? Es kommt noch radikaler. So nennt Thiel den Verzicht auf Politik eine Notwendigkeit, um Technologie zum Führer des Weltgeschehens und der Zukunft zu krönen:

“In the face of these realities, one would despair if one limited one's horizon to the world of politics. I do not despair because I no longer believe that politics encompasses all possible futures of our world. In our time, the great task for libertarians is to find an escape from politics in all its forms — from the totalitarian and fundamentalist catastrophes to the unthinking demos that guides so-called “social democracy.” (…) A better metaphor is that we are in a deadly race between politics and technology.” (The Education of a Libertarian, 2009.)

Dass Thiel trotzdem bei der Politik ansetzen muss, ist ihm bewusst. Die Unterstützung einer disruptiven Politik Trumps ist ein strategischer Schachzug, mit dem er sich und seinen Anhängern mehr Macht aneignet. Zahlreiche Gesichter aus der Tech-Branche haben es durch ihn bereits in das Übergangsteam von Trump geschafft (z.B.: Musk, Trae Stephens), und viele bekennen sich dazu, Kürzungen im Sozialsystem zugunsten erhöhter Investitionen im Technologiebereich gutzuheissen. Das konservative Silicon Valley hat sich seine Sitze in Washington ergattert und versucht nun aktiven Einfluss auf die Politik zu nehmen. Das hat es so noch nicht gegeben.

Schluss mit rosarot

Angesichts dieser neuen Realitäten wird es Zeit, dass das Silicon Valley seine politische Verantwortung anerkennt. Ideologien, die einen Politikersatz nach dem technologisch deterministischen Prinzip und der Kybernetik anstreben, also an eine Selbstregulierung des Systems glauben, sind riskant. Sie lehnen nicht nur soziologische Einflussfaktoren ab, indem sie sich dem Materialismus verschreiben und die Technologie zum Hauptakteur der Menschheit erklären; viel mehr verlagern sie die Macht auch zu eben jenen Personen, die diese angeblich heilbringenden Erfindungen steuern. Die Ingenieure, Entrepreneure und Investoren der Bay Area regulieren und regieren uns in einer Selbstverständlichkeit, die keine Zustimmung erfragt und einen Mangel ausweist. So existieren weder das notwendige Bewusstsein des Volkes über die Vorherrschaft der Technokraten, noch eine Haftung nach dem repräsentativen demos-Prinzip, wie sie in der Politik besteht.

Den Unternehmen wird an dieser Stelle eine Freiheit eigen, die die Bürde und Begrenzung der Aufsicht und Verantwortung abstreift. Fast könne man meinen, dass es doch taktisch angelegt sei, sich von der Politik zu distanzieren, um dem öffentlichen forschenden Blick zu entgehen. Zugleich hält das Valley seine eigenen Normen und Tätigkeiten für richtungsweisend und verlangt von der Gesellschaft, sich diesen zu unterwerfen. Dieser autoritäre Anspruch zeugt von einer Beziehung des Ungleichgewichts, in welcher die Seite der Tech-Elite dem Rest des Volkes ihre Version der Zukunft nicht bloss vorschlägt, sondern gar diktiert.

Sicherlich gibt es auch Idealisten im Silicon Valley, die an den freiheitlich dezentralisierten Charakter der Digitalisierung festhalten. Vielleicht ist es auch nur ein Selbstschutzmechanismus, wenn einige Ingenieure von ihrer utopisch-kybernetischen Weltanschauung sprechen. Fest steht jedoch, dass eine rosarote Brille der technologisch-deterministischen Immunität nicht ausreicht, um die progressiven Werte im Silicon Valley zu verwirklichen. Die Tech Gemeinschaft muss Verantwortung übernehmen und ihre multiplen politischen Positionen definieren und aussprechen, um das eigene innere Ungleichgewicht – die Machtverlagerung in den konservativen Kern – zu überwinden. Es sollten Strukturen oder zumindest Grenzen geschaffen werden, um intransparente Machtspiele einzudämmen, Prozesse der Legitimierung einzuschlagen und Verantwortung einzufordern. Nur dann kann Silicon Valley pluralistisch und demokratisch gelebt werden – zumindest in dem Masse, wie es behauptet zu sein.

Kim Ly Lam
berlinergazette.de

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