per App auf dem Smartphone soll den Armen Facebooks Auswahl von Internetangeboten und Facebooks Form der Konnektivität aufprägen. In Indien hat dieses
neokoloniale Vernetzungsprojekt heute, am 8.2.2016 aufgrund massiven Widerstands einen herben Rückschlag erlitten.
Google und Facebook wollen jeweils ein möglichst engmaschiges Netz über die Welt legen, das alle mit allen und allem verbindet. Insbesondere die noch unerschlossenen Gegenden ärmerer Länder sollen unter grossem technischen und finaziellen Aufwand (Ballons, Satelliten, Drohnen) vernetzt werden. So ist Facebooks grösste philantropische Initiative Free Basic imperialer Anspruch, die Entwicklungs- und Schwellenländer informations-technologisch zu erobern.
Man kartografiert nichts, was man sich nicht anzueignen gedenkt
Es geht um nicht weniger als die weltweite Erschliessung der Kommunikation als maximalinvasive Manipulationsmöglichkeit aller
Menschen. So wie die politische Ökonomie
herrscht, in dem sie uns die Freiheit
konkurrierender wirtschaftlicher Interessen
lässt. So kontrolliert und lenkt die Kybernetik,
in dem sie uns zugesteht zu kommunizieren und Informationen
abzurufen. Free Basics soll rund eine Mrd.
bislang unerschlossene Inder*innen in Facebooks Umsonst-
Netz bringen. Das Einengen ihres Informations-Horizontes auf eine Filterblase von weniger als 40
Plattformen und Dienste-Anbieter, die mit Facebooks
IT-Sicht auf die Welt konform gehen, stellt eine neue
Stufe von kolonialer Entmündigung dar.
Ein technologischer Angriff ganz im Sinne von Schumpeters
Schöpferischer Zerstörung: radikale Zerschlagung
überkommener Informations- und Sozialstrukturen
zugunsten maximaler Isolierung des Individuums
um jeden einzeln gänzlich neu in ein Netz algorithmisch
gelenkter Interaktion einweben zu können. Kein
Zugriff, keine Manipulation lässt sich umfassender gestalten
und das ohne unmittelbare Anwendung von
Zwang. Heute spricht man im Silicon Valley bei dieser
Strategie der unumkehrbaren Veränderung sämtlicher
Lebensgewohnheiten von disruptiven Innovationen:
Wir erzeugen Produkte, ohne die man nicht mehr
leben kann. Das gesellschaftliche Bewusstsein für die
Konsequenzen dieses tiefgreifenden Wandels hinkt
so weit hinterher, dass deren technokratische Macher*innen leichtes Spiel haben. Sie brauchen unsere
Kritik oder Gegnerschaft derzeit kaum zu fürchten.
Während sich im Kolonialismus des 19 Jahrhundert
die christlichen Missionare noch die Mühe machten,
getrennt von den einfallenden Kolonialtruppen zu
reisen, kommen im heutigen Techno-Imperialismus Bibel
und Knarre gemeinsam daher - in Form einer smarten
Technologie, die den Eroberten die Vernetztheit und
die Macht zu teilen bringt. Selbstverständlich zu den
Konditionen des Eroberers.
Techno-imperiale Charity Strategien
Hübsch verpackt als Entwicklungshilfe investiertebereits Microsoft in den 90ern viel Geld in Computer-
Schulungszentren in Indien. Die wenig überraschende
Bedingung war der Betrieb sämtlicher Rechner unter
Windows und die Nutzung von Microsofts Programmen.
Mehrere Generationen von Schüler*innen erwarben
daraufhin sämtliche Computer-Fähigkeiten unter
der Alleinherrschaft von Microsoft: von der Anwendungssoftware
über die Systemadministration bis
zur Software-Entwicklung. Alles, was nicht Hardware
war, war Microsoft.
Bill Gates raubte Hunderten
von Millionen Kids die Perspektive auf Kenntnisse zur
Entwicklung von freier Software sowie die Vorteile bei
deren Nutzung. Das mag Computer-fernen Menschen
spitzfindig erscheinen, doch für die heutige Form des
Crowdworking war die Eroberung und lenkende
Erziehung der Jugend in Ländern wie Indien zu digitalen
Arbeitsnomaden eine wichtige Voraussetzung.
In vielen lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern
markierte die Initiative des Bostoner MIT One
Laptop Per Child einen weiteren technologischen
Eroberungszug. Auch dieses zunächst selbstlos daher
kommende Projekt (jedem Kind soll ein Laptop geschenkt
werden) verblieb im klassisch paternalistischen
Verständnis der IT-Entwicklungshilfe, in der häufig
weisse, männliche IT-Unternehmer armen, unterentwickelten
Kindern im globalen Süden eine glorreiche
Zukunft versprechen, sollten sie dieses Gerät, diese
App, oder was auch immer nutzen.
Die Einschränkungen bzw die Bevormundung der
zu entwickelnden Armen im Rahmen der aktuellen
Zwangsbeglückung von Facebook reichen deutlich
weiter. Und tatsächlich ist auch die Dankbarkeit sehr
viel kleiner und der Gegenwind deutlich heftiger.
Widerstand auf hohem Niveau
Obwohl Facebook sein zensiertes Umsonst-Internet alsEmpowerment darzustellen versucht, dominieren die
Begriffe der Netzaktivist*innen und kleinen Start-Ups
rund im die Initiative SaveTheInternet.in die breite
öffentliche Debatte. Free Basics wird dort mit Bildern
wie grüne Gärten umgeben von hohen Mauern
belegt.
Als Zuckerberg im Herbst letzten Jahres auf
einem viel beachteten Besuch in Indien aussprach:
Besser ein bisschen, als gar kein Internet, wurden die Vorwürfe seiner teils prominenten Gegner*innen noch
deutlicher. Von Landnahme (landgrab) war die Rede
und von ökonomischem Rassismus. Die Diskussion
kochte so hoch, dass mehrere Unternehmen - so auch
die Indian Times als eines von 37 auserwählten Unternehmen
deren Webseite (neben facebook) ab Ende
November Indien-weit im beschränkten Zuckerberg-Internet
zugänglich sein sollten, die Kooperation mit
facebook aufkündigten. Sie schlossen sich der Kampagne
für Netzneutralität an, die mit über 400.000
Menschen gegen das Facebook-zentrierte Internet
protestierten.
Der öffentliche Druck mit der Forderung nach unbeschränktem
Internetzugang geht so weit, dass sich am
24.12.2015 die indische Behörde zur Regulierung der
Telekommunikation (TRAI) genötigt sieht, das Projekt
auf Eis zu legen zumindest solange bis die in der
Debatte aufgeworfenen Fragen zur Netzneutralität
hinreichend geklärt sind. Tags darauf findet sich ein
bemerkenswert klarer Kommentar im (keineswegs
linken) Indian Express: «(...) Diese Millionen von Nutzern ausserhalb von Europa
und der USA müssen als gleichwertige Nutzer online
gebracht werden, andernfalls wird die Digitalisierung
nur die Ungleichheiten von Klasse, Geschlecht und Rasse reproduzieren, die wir dadurch zu eliminieren versuchen,
dass wir allen unbegrenzte Information verschaffen.»
Seitdem inszeniert Facebook eine regelrechte PR-Schlacht
mit zweifelhaften Methoden. Zuckerberg
fordert alle Facebook-Nutzer*innen auf, mit einem
vorformulierten Schreiben gegen die Abschaltung zu
protestieren und den Weiterbetrieb von Free Basics
bei der Aufsichtsbehörde einzufordern. Die Kampagne
SaveTheInternet.in hat zahlreiche Fälle protokolliert
in denen Nutzer*innen beschreiben, dass sie
ohne ihr Zutun oder sogar trotz ihrer Ablehnung dieses
Schreibens als Unterstützer der Facebook-Kampagne
hinzugefügt wurden. Auch deaktivierte Facebook-Pro-
file sollen plötzlich als Unterstützer*innen agiert
haben.
Seine Gegner*innen diffamiert er mit den
Worten: Anstatt allen Zugang zu einigen Basis-Internetdiensten
zu geben, fordert eine kleine Gruppe von Kritikern, dass alle gleich viel bezahlen sollen um
sämtliche Internetdienste erreichen zu können; auch
wenn das bedeutet, dass 1 Mrd. Menschen sich gar
keinen Zugang zu irgendeinem Dienst leisten können.
Mit einer gigantischen PR-Kampagne #DigitalIndia
versuchen Zuckerberg und der Indische Premier Modi
gemeinsam verlorenes Terrain zurück zu gewinnen. Erfolglos
am 8. Februar hat die Aufsichtsbehörde dem
Projekt endgültig eine Absage erteilt: Kein Anbieter
dürfe auf Baisis der Inhalte diskriminierende Tarife
anbieten. Schluss, aus, Ende; zumindest für die nächsten
zwei Jahre ist diese Entscheidung unumstösslich.
Der breite Widerstand gegen Facebooks koloniale
Bevormundung hat Signalwirkung für weitere 35 Länder
in denen Free Basics bereits läuft: Am 2. Januar
diesen Jahres schaltet auch Ägypten nach nur zwei
Monaten das Facebook Netz wieder ab ohne eine
Begründung zu nennen. Auch in Nigeria machen sich
starke Proteste gegen eine begrenztes Internet breit.
Hier lautet der Slogan der Bewegung:
All the internet. All the people. All the time
Damit ist der moderne Techno-Imperialismus natürlichnicht gebannt. Weiterhin zahlt Facebook Menschen in
Indien, Mexiko, der Türkei und den Philippinen nur vier
Euro pro Stunde für die Suche nach Nacktfotos und
Pornografie auf seinen Seiten. Das ist die Hälfte des
US-amerikanischen Mindestlohns. Und natürlich auch
jenseits von Facebooks unmittelbarer Einflusssphäre
arbeiten weiterhin viele der Armen in Asien und Afrika
zu Hungerlöhnen auf den Müllhalden, auf denen allein
aus den USA 10 Millionen Tonnen Elektronikschrott
lagern. Und weiterhin arbeiten Kinder in den (Coltan-)Minen zur Gewinnung der seltenen Erden, die zur Deckung
unseres Smartphone-Hungers benötigt werden.
Die Hauptlast des technologischen Angriffs bleibt also
weiterhin ganz unsmart kolonial exportiert.
Entschlüsselung auf Zuruf in nur einem Tag gekippt
Weltweit versuchen derzeit Regierungen in einemneuen Anlauf starke end-to-end-Verschlüsselung von
Kommunikation und Datenspeicherung auszuhebeln.
Die Strategie dabei: die Geheimdienste versuchen
nicht mehr nur über eine back-door in verschlüsselte
Dokumente, Mails, Sprach- und Text-Nachrichten
einzudringen. Mit Verweis auf die globale Terrorismusgefahr
fordern die Sicherheitsbehörden vielmehr
offensiv durch die front-door gehen zu dürfen.
Während die indische Regierung zuvor die maximal
zulässige Schlüssellänge begrenzt hatte, lancierte sie
im September 2015 einen Gesetzentwurf, nach dem
jede/r den Inhalt ihrer verschlüsselten Kommunikation
90 Tage lang im Klartext vorhalten muss, um ihn bei
Aufforderung den Sicherheitsbehörden ausliefern zu
können. Diese heimische Entschlüsselungs-Vorratsdatenspeicherung
sollte sowohl für jeglichen privaten als
auch geschäftlichen Datenverkehr gelten.
Die Empörung und der unmittelbar folgende Widerstand
waren überwältigend gross. Am Montag, den
21.9.2015 veröffentlicht und am späten Nachmittag
um die Ausnahmen WhatsApp und Facebook korrigiert,
wurde der Gesetzesvorschlag am Dienstag
(nach nur einem Tag!) gänzlich zurückgezogen.



