In der radikalen Linken wächst seit einigen Jahren wieder das Interesse am Aufbau konkreter Gegenmacht durch Selbstorganisation und direkte Aktion. Die Bereitschaft, entsprechende Organisierungsmodelle zu entwickeln, wurde u. a. durch die jüngste Welle konfliktorientierter Selbstorganisierungen in Südeuropa befeuert. Von ihnen ist die spanische PAH, in der sich Tausende Menschen gegen Zwangsräumungen organisieren, das prominenteste Beispiel.
Ihr Erfolg resultiert aus einer politischen Praxis, die entlang von Alltagskonflikten entwickelt wird. Ein ähnlicher Ansatz, der im deutschsprachigen Raum aber noch weitgehend unbekannt ist, stammt aus den USA. Solidarity Networks versuchen die Erfahrungen aus Community Organizing, gewerkschaftlichem Organizing und Anarchosyndikalismus zusammenzuführen. Heute gibt es in zahlreichen nordamerikanischen Städten Gruppen, die sich nach diesem Vorbild zusammenfinden.
Was unser Interesse geweckt hat, war die Idee, sich nicht ausschliesslich gegen Chefs, das Jobcenter oder innerhalb eines Wohnhauses zu organisieren. Vielmehr wird von einer proletarischen (Alltags-)Erfahrung ausgegangen, die ein Gefühl umfassender Klassensolidarität produzieren kann. So können vielfältige Widersprüche und Konflikte in den Blick genommen werden, die sich aus unserem prekären Alltag ergeben. Vor unserem inneren Auge sahen wir ein kämpferisches Kollektiv, das mehr soziales Netzwerk als politische Gruppe ist. Eine Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Biographien, die sich gerade dadurch befähigen zu kämpfen und zu gewinnen. Die Vorstellung, eine Organisierung aufzubauen, in die wir auch unsere eigenen Alltagskonflikte einbringen können, hat uns motiviert diese Broschüre zu übersetzen.
Sie kann aber keine Blaupause liefern. Strukturen müssen sich entlang der Anforderungen und Bedürfnisse der Beteiligten entwickeln. Uns hat sie dennoch geholfen, gemeinsam ins Gespräch zu kommen und eine deutlichere Vorstellung von ersten Schritten zu entwickeln. Darüber hinaus hat sie uns Mut gemacht, einfach zu beginnen. Und das ist - wir müssen es betonen - ein Akt der Selbstverteidigung. Wenn wir also davon sprechen, erst wieder gemeinsam kämpfen zu lernen, sagen wir das mit dem Ernst derjenigen, für die politische Organisierung eine Notwendigkeit ist. Die Veröffentlichung dieser Broschüre ist auch dem Wunsch geschuldet mit allen ins Gespräch zu kommen, die ähnliche Experimente wagen. Denn wir werden noch viele solcher Versuche brauchen, um Arbeitszwang und Herrschaft zu überwinden.

Bild: Deutsche Ausgabe der Broschüre «Solidarische Netzwerke - Ein Leitfaden».
Mit dem Verweis auf angebliche „Integration“ wird von Regierungs- und Kapitalseite weiter versucht werden die Löhne zu senken und der Druck auf die Belegschaften weiter zu steigern. Menschen werden Wohnungen und Unterkünfte zugeteilt - dagegen entstehen rassistische Mobilisierungen. Tägliche sexualisierte Gewalt gegen Frauen wird nur dann kritisiert, wenn angeblich oder tatsächlich, männliche, nicht-weisse Geflüchtete oder Migranten die Täter sind. Die Reaktion von bürgerlicher und rechter Seite ist in der Regel der rassistische „Kampf der Kulturen“. Die Liste solcher Verrücktheiten liesse sich beliebig verlängern.
Für uns stellt sich die Frage: Werden diese Auseinandersetzungen alle auf das „Punktekonto“ der Rechten gehen, oder lässt sich eine linke Alternative nicht nur denken, sondern auch in die Praxis umsetzen?! Dafür braucht es die inhaltliche Debatte – aber auch das Handwerkszeug für die tägliche Arbeit – Letzteres wollen wir euch hier an die Hand geben. Wir sind zuversichtlich, dass ihr als Lesende viele Anregungen bekommen werdet. Wir freuen uns auf die kommenden Diskussionen mit euch!