Samuel Stuhlpfarrer: Kommen. Gehen. Bleiben Andrej Holm im Gespräch mit Samuel Stuhlpfarrer
Sachliteratur
Für einige Wochen war Andrej Holm im Spätherbst 2016 bundesweit zum Politikum geworden.
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26. September 2018
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Doch jetzt hat der Wiener Mandelbaum-Verlag unter dem Titel „Kommen. Gehen. Bleiben.“ einen Interviewband herausgegeben, in dem Holm zu den dramatischen Wochen im Dezember 2016/Januar 2017 ausführlich Stellung nimmt. Der Herausgeber Samuel Stuhlpfarrer hatte Holm als Mieteraktivisten kennen gelernt. Bei aller Grundsympathie für ihn hat Stuhlpfarrer genügend Distanz, auch kritische Fragen anzusprechen. So bekundet er, es ganz schwer nachvollziehen zu können, dass Holm als Jugendlicher die Verteidigung der DDR auch mit der Waffe in der Hand als ehrenvolle Aufgabe empfand.
Die Kapitel, in denen Holm beschreibt, wie er sich vom DDR-System abwandte und Teil einer ausserparlamentarischen Linken wurde, sind auch deshalb sehr informativ, weil Stuhlpfarrer seinen Interviewpartner auch mit Widersprüchen konfrontiert. So fragte er, wie es zusammenpasse, dass er 2007 gegenüber FreundInnen und GenossInnen seine Stasikontakte damit erklärt hat, dass er damals unpolitisch gewesen sei, aber gleichzeitig eine kommunistische Jugendorganisation mit gegründet hatte. Holm räumt ein, dass diese Aussage verkürzt war.
Erfreulich ist, dass hier auch an den heute weitgehend vergessenen ausserparlamentarischen Widerstand der früheren 1990er Jahre erinnert wird, in dem Holm aktiv war. Das Kürzel WBA steht heute für „Wir bleiben Alle“. Für Holm und seine damaligen MitstreiterInnen aus Ostberlin war es die Abkürzung für die Wohnbezirksausschüsse, in denen manche schon Mitte der 1980er Jahre gegen die Kahlschlagpolitik der SED aktiv waren. Doch auch Holm und sein Interviewer erzählen nicht die ganze Geschichte seines ausserparlamentarischen Engagements.
Kein Wort über die Zeitschrift Radikal, die schliesslich der offizielle Grund für seine gesamtdeutsche flächendeckende Überwachung seit 2005 war. Wenn Holm erklärt, dass nach der Mainzer Strasse die meisten Initiativen nur noch reformerische Verbesserungen im Stadtteil durchsetzen wollten, ist das zumindest ergänzungsbedürftig. Es gab auch danach noch eine ausserparlamentarische Linke in Ostberlin, die sich klar als Gegnerin des nun gesamtdeutschen Staates sah und sich damit in die Tradition der linken DDR-Opposition stellte. Es ist schade, dass dieser Strang der ostdeutschen Linken ausgeblendet wurde.
Aber es ist auch verständlich, dass Holm sich seinen weiteren politischen und vor allem auch wissenschaftlichen Werdegang nicht verbauen will. Daher findet sich auch kein kritisches Wort von Holm zum Verhalten der Leitung der Humboldtuniversität in dem Buch. Seine, später zurückgenommene, Entlassung, wegen angeblich falscher Angaben bei der Einstellung, führte zu einer studentischen Protestbewegung, die für einige Monate ein Hochschulgebäude an der Humboldt-Universität besetzt hielt und Kontakte zur MieterInnenbewegung aufbaute. Holm hat sie auf Anraten seiner AnwältInnen nicht besucht.
Am Ende des Buches wird Holms Rücktrittserklärung vom Januar 2017 dokumentiert. „Berlin wird eine soziale und gerechte Stadt werden, wenn wir es wollen“, heisst es dort am Ende. Dafür allerdings braucht es eine starke ausserparlamentarische Linke. Der Interviewband kann, bei mancher Kritik im Detail, dazu ermutigen.
Samuel Stuhlpfarrer: Kommen. Gehen. Bleiben. Andrej Holm im Gespräch mit Samuel Stuhlpfarrer. Mandelbaum Verlag, Wien 2014, 234 Seiten, ca. SFr 22.00. ISBN 978-385476-666-7
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